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       # taz.de -- Kommentar Überwachung: Spion ohne Körper
       
       > Gehackte Politiker-Telefone, fehlender Aufklärungswillen staatlicher
       > Behörden, immer neue Skandale. Warum bleibt die Empörung noch immer aus?
       
   IMG Bild: Hacker sollen uns schützen – und zwar mit allen Mitteln und ohne transparente Kontrolle
       
       Als Randnotiz des Berliner Politikbetriebes wurde in dieser Woche der
       NSA-Skandal zurück ins Bewusstsein gespült. Dem Vorsitzenden des für die
       Aufklärung des Geheimdienst-Epos zuständigen Bundestagsausschusses, Patrick
       Sensburg, wurde [1][eventuell das Mobiltelefon gehackt]. Dass dieses
       besonders geschützte Gerät anscheinend ohne große Umstände in unbefugte
       Hände gelangen konnte, wird kopfschüttelnd zur Kenntnis genommen.
       
       Die Sitzungen des NSA-Untersuchungsausschusses selbst treffen auf noch
       weniger Aufmerksamkeit. Da berufen sich die Vertreter der Geheimdienste auf
       Erinnerungslücken und eingeschränkte Aussagegenehmigungen. Akten werden
       geschwärzt oder gar nicht geliefert. Dabei sollte dort ein Licht geworfen
       werden auf den behördlichen full take, die illegale Mitnahme, Speicherung
       und letztlich Verarbeitung aller verfügbaren Daten.
       
       Netzpolitische Aktivisten [2][bloggen zwar tapfer live] aus dem Bundestag
       für den kleinen Kreis des interessierten Fachpublikums. Doch schon seit den
       ersten Enthüllungen von Edward Snowden macht sie die mangelnde Empörung, ja
       zur Schau gestellte Gleichgültigkeit der meisten anderen ratlos.
       
       Wie soll man auch verstehen, dass Menschen, die in ihren Gärten mit
       liebevoll großgezogenen Hecken den Blick auf ihre Gemüsebeete versperren,
       kein Ärgernis darin erkennen wollen, dass es eine Instanz gibt, für die
       kein Sichtschutz gilt, die alles sieht und hört? Um aber wahrzunehmen, dass
       so ein allmächtiger Staatsapparat eine große Bedrohung sein kann, vor
       dessen Blicken man sich schützen sollte, braucht es nicht nur einen klaren
       Begriff von der zu verbergenden Sache, im Falle der elektronischen
       Überwachung also vom immer perfekteren digitalen Abbild der eigenen Person.
       
       ## Bei der Gartenhecke ist es einfach
       
       Es braucht auch einen Begriff von der Instanz, vor der etwas verborgen
       werden soll. Bei der Gartenhecke ist die Sache einfach. Sie schützt vor den
       Nachbarn, die sichtbar sind, selbst Augen im Kopf haben und dazu vielleicht
       einen vertratschten Charakter. Dass die Überwachungsbehörde stets auf
       beiden Seiten der Hecke steht, dabei aber keine körperliche Erscheinung hat
       und keine physischen Spuren hinterlässt, ist viel schwerer zu fassen.
       
       Schon der Raum, in dem wir physisch leben, stellt höchste Anforderungen an
       unser Beobachtungs- und Urteilsvermögen. Er ist voller Gefahren, einige
       davon sind sogar lebensbedrohlich. Die Angst vor diesen Gefahren hat uns
       unter anderem die Polizei, das Gesundheitsamt und die Jugendfürsorge
       beschert. Diese Angst existiert natürlich auch im digitalen Raum und
       verstärkt sich dort durch das Unbehagen gegenüber diesem körperlosen, kaum
       fassbaren Raum.
       
       So selbstverständlich sich die allermeisten Menschen hoch entwickelter
       Technik bedienen, so abgekoppelt ist ihr Verständnis für die Funktionsweise
       der Hard- und Software, mit deren Hilfe sie arbeiten, plaudern oder
       flirten. Die allem hinterlegte Welt der Programmiersprachen ist noch immer
       ein magisches Brevier. Es zu verstehen hebt die Verständigen, die „Hacker“,
       über das Durchschnittsdasein, im guten wie im schlechten Sinne.
       
       Die Bedrohung durch den Hacker, der mit seinen Kenntnissen die ganze Welt
       in den Abgrund stürzen kann, ist schon lange Filmstoff, nur ist er gar kein
       anarchistischer einsamer Wolf mehr, wenn er denn überhaupt jemals einer
       war. Heute ist der Hacker im besten Fall ein Bürgerrechtsaktivist. Viel zu
       oft jedoch ist er Dienstleister für mafiöse Organisationen oder arbeitet
       gleich als gut bezahlter Computerspezialist im Dienste der
       Sicherheitsorgane. Da soll er uns dann schützen vor den Terroristen, den
       Kinderschändern, den Kreditkartenbetrügern – und zwar mit allen Mitteln,
       also allen Daten, aber ohne jede transparente Kontrolle.
       
       Das verstehen und kritisieren zu können, ist die dringlichste
       Herausforderung für den modernen Menschen; ihm die Mittel an die Hand zu
       geben, die alltäglich verwendete Technik zu durchschauen, sie im weitesten
       Sinne zu beherrschen, jene der technologisch-politischen Aktivisten. Denn
       nur in Kenntnis und Verständnis der tatsächlichen Gefahr aus dem digitalen
       Raum kann aus Resignation und Gleichgültigkeit politische Empörung und aus
       irrationaler Angst qualifizierte Teilhabe am technischen Fortschritt
       werden.
       
       6 Mar 2015
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Spionageverdacht-im-NSA-Ausschuss/!155818/
   DIR [2] http://netzpolitik.org/2015/live-blog-aus-dem-geheimdienst-untersuchungsausschuss-dr-urmann-leiter-der-technischen-aufklaerung-des-bnd/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniél Kretschmar
       
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