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       # taz.de -- Folk Music aus Marokko: Genießen, denken, lächeln
       
       > Die Sängerin Oum El Ghaith Benessahraoui lässt den Hörer auf ihrem Album
       > „Soul of Morocco“ die kulturelle Vielfalt ihres Landes spüren.
       
   IMG Bild: Will den afrikanischen Wurzeln in der Musik Marokkos Raum geben: Oum El Ghaith Benessahraoui.
       
       Eine progressive Frau, die sich von nichts und niemandem diktieren lässt,
       wie sie sich geben soll. Eine Muslimin, die in schulterfreien Kostümen
       auftritt und darin zu traditionellen marokkanischen Folkrhythmen und
       Fusionsounds tanzt. Applaus, Applaus aus der westlichen Welt, gefundenes
       Fressen für die Medien, seht her, so eine fortschrittliche Muslimin, ist
       das nicht toll?
       
       Sicher ist sie äußerst verhasst in ihrer Heimat, verstoßen von den
       konservativen Eltern, bedroht im Alltagsleben. So in etwa funktioniert das
       Klischee. Nicht, dass es keine derartigen Geschichten gibt. Nur hat Oum,
       die marokkanische Sängerin, die in schulterfreien marokkanischen Gewändern
       zu traditionellen Folkrhythmen und Fusionsounds tanzt, so gar keine Lust,
       sich in dieses Klischee pressen zu lassen.
       
       Oum mag die Frage nicht, wie es sich anfühlt, eine selbstbewusste Sängerin
       in einer islamischen Gesellschaft zu sein. Vielleicht würde sie sogar
       genervt darauf reagieren, doch man kann sich nur schwer vorstellen, dass
       diese fröhliche Frau jemals genervt ist.
       
       Lieber lacht sie. „Als Frau auf der Bühne zu stehen, ist für mich nie ein
       Problem gewesen, weder im Ausland noch zu Hause in Marokko“, sagt sie.
       Probleme sind eben relativ. Für Oum jedenfalls sind unterschiedliche
       Reaktionen keine Probleme. Ihr muslimischer Glaube spielt für sie privat
       eine Rolle. Doch er steht eben nicht im Vordergrund. „Er steht mir nicht
       auf die Stirn geschrieben, so im Sinne von: Hallo, ich bin Oum El Ghaith
       Benessahraoui, und ich bin Muslimin.“ Da lacht sie gleich wieder. „Wenn ich
       eine weiße Frau treffe, frage ich sie doch auch nicht gleich, ob sie Jüdin
       oder Christin ist, und wie sich das anfühlt.“
       
       Mit 15 Jahren fing Oum an, in einem Gospelchor in ihrer Heimatstadt
       Marrakesch zu singen. In der Freizeit hörte sie am liebsten Black Music und
       US-R&B der achtziger und neunziger Jahre, besonders Whitney Houston hatte
       es ihr angetan. Nach der Schule entschied sich Benessahraoui zunächst für
       ein Architekturstudium. Kurz vor Abschluss wusste sie plötzlich, dass es
       nur einen Weg für sie geben könnte, und dieser lag in der Musik. Ihre
       Entscheidung für die künstlerische Laufbahn hatte auch mit einem tiefen
       Bewusstsein dafür zu tun, dass das, was sie beschäftigte, in der Musik und
       auf der Bühne besseren Ausdruck finden würde als in der Arbeit in einem
       Architektenbüro.
       
       ## Singen in Darija
       
       Fragen nach ihrer eigenen weiblichen Identität und der ihres Landes, Fragen
       nach verschiedenen Geschichten und Einflüssen sind es, die die 36-Jährige
       interessieren, sowohl privat als auch künstlerisch. In ihrer Musik treffen
       sich Sound-Genres wie Soul und Jazz, kubanische und südamerikanische
       Rhythmen sowie Klänge aus der Kultur der marokkanischen Berber. Sie singt
       vornehmlich in der maghrebinischen Umgangssprache Darija, um, wie sie sagt,
       von ihrer Generation verstanden zu werden, aber auch auf Englisch.
       
       Oums aktuelles Album „Soul of Morocco“ versucht außerdem, den afrikanischen
       Wurzeln des Landes einen Raum zu geben. „Die Menschen hier in Marokko
       vergessen gerne, dass sie eigentlich Afrikaner sind“, sagt Oum. „Und wenn
       jemand sagt: Ich fahre nach Afrika, dann denkt man doch auch eher an Mali
       als an Marokko.“
       
       ## Nichts verstecken
       
       Oum findet, ihr Land dürfe seine vielfachen kulturellen Einflüsse nicht
       verstecken, um eine vermeintlich einheitliche gesellschaftliche Identität
       zu präsentieren. In der Musik sieht sie ein geeignetes Mittel, Pluralität
       offen zu zeigen, ohne dass dabei ein Problem entsteht. „Unterschiedliche
       Klänge können nebeneinander existieren und zusammen etwas Eigenes
       ausdrücken“, erklärt sie. Die Message, die diesem Gedanken innewohnt, liegt
       ihr sehr am Herzen, und so sehr sie sich in diese Richtung lesen lässt,
       richtet sie sich doch nicht nur gegen jegliche Form von religiösem
       Fanatismus.
       
       Oum sieht darin vielmehr eine global gültige Grundüberzeugung, die sie über
       Marokko hinaus verbreiten will. „Soul of Morocco“ ist nach „Lik’Oum“ (2005)
       und „Sweerty“ (2012) erst ihr drittes Album, das nach Erfolgen in
       Frankreich nun auch in Deutschland erscheint.
       
       Dass Oum nicht darauf aus ist, orientalistische Klischees zu bedienen und
       ein möglichst touristenfreundliches Bild ihres Landes zu vermitteln, wird
       schnell klar. Durchaus kritisch setzt sie sich mit dem kulturellen Leben in
       ihrem Heimatland auseinander. „Immer noch gibt es wenig Möglichkeiten,
       außerhalb der großen Städte aufzutreten. Immer noch kommen Kinder in den
       Schulen nicht wirklich mit Kultur in Kontakt“, meint sie.
       
       Auch im Gesundheitswesen und in der Bildung gebe es noch große Lücken. So
       gelten etwa 30 Prozent der über 15-jährigen Marokkaner als Analphabeten.
       Oum ist überzeugt, dass sich allmählich die Dinge zum Besseren ändern
       werden. „Es gibt viele kulturelle Initiativen, die nicht erst auf
       staatliche Förderungsprogramme warten“, meint sie. „Außerdem hat sich in
       Sachen Meinungsfreiheit einiges getan.“
       
       Anfang 2011, als sich die Menschen im „arabischen Frühling“ gegen die
       Regime ihrer Länder erhoben, gab es auch in Marokko heftige Proteste. König
       Mohammed VI. reagierte besänftigend, indem er eine Verfassungsreform
       veranlasste, laut der er einen Teil seiner Rechte an das Parlament abgeben
       musste. Außerdem verpflichtete er sich, den Regierungschef aus der Partei
       zu ernennen, die bei der Wahl die meisten Stimmen bekam. Auf seine
       Unantastbarkeit und Vormachtstellung als König aber wollte das Oberhaupt
       nicht verzichten.
       
       ## Skepsis bewahrt
       
       Während die Revolution in anderen arabischen Ländern im Sommer 2011 immer
       mehr an Fahrt gewann, aber auch immer verheerendere Auswirkungen zeigte,
       stimmten die Marokkaner für ein Inkrafttreten jener Verfassungsreform und
       standen wenig später an den Wahlurnen für ein neues Parlament.
       
       Gern wird Marokko seither als Musterbeispiel für ein geschicktes Umgehen
       mit den Unruhen des Arabischen Frühlings genannt. Doch Oum sieht diese
       Interpretation skeptisch. „Ich war nie ein Freund dieser Metapher des Zuges
       der Arabischen Revolution, auf den alle aufspringen. Es gab viele
       Unterschiede in den Anliegen der Leute von Land zu Land.“ Man müsse deshalb
       Marokko in seinen Eigenheiten betrachten. Einen König zu haben und ihn zu
       lieben, meint Oum, sei etwa für viele Europäer ein befremdlicher Gedanke.
       In Marokko aber spiele das für viele eine nicht zu unterschätzende Rolle.
       „Mohammed VI. kommuniziert immerhin mit seinem Volk,“ sagt sie, „anders als
       sein Vater, Hassan II.“
       
       Oums eigenes politisches Engagement drückt sich vor allem in dem aus, was
       sie am besten kann: in der Musik. Wie nebenbei flicht sie Themen in ihre
       Auftritte und Songs ein, die ihr wichtig sind. Das Video zu ihrer Single
       „Taragalte“ etwa ist eine Hommage an das Dorf M’Hamid, eine Oasenstadt im
       Süden Marokkos. Im Video sitzt Oum im Schneidersitz und in schulterfreiem
       Oberteil im Sand und singt in die Wüste hinein.
       
       Es sind viele kleine Botschaften, die sich hieraus lesen lassen – Hinweise
       auf die pluralen Wurzeln ihres Landes fernab von den „fortschrittlichen“
       Städten, ihr eigener Auftritt in einem Mix aus westlichen und
       orientalischen Kleidern.
       
       ## In die Wüste
       
       Oum gefällt diese subtile Art, symbolische Akzente zu setzen. „Provokation
       ist überhaupt nicht mein Ding“, meint sie. „Ich will, dass du nachdenkst
       und reflektierst, aber du sollst dabei lächeln und dich gut fühlen.“ Am
       Ende singt sie auf Englisch: „Come on and join us at Taragalte“.
       
       Sie ist Patin des Kulturfestivals „Taragalte“, das jedes Jahr in M’Hamid
       stattfindet. Es ist ihre Art, an den Zuständen, die sie kritisiert, etwas
       zu ändern und künstlerisches Leben in eine abgelegene Region zu bringen.
       Klar, dass ihr neues Album, das im September erscheinen soll, nicht etwa in
       einem Aufnahmestudio in Casablanca oder Marrakesch aufgenommen wird. Oums
       Sachen sind schon gepackt. Nun geht es mit der Band in die Wüstenstadt
       M’Hamid.
       
       5 Mar 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Carla Baum
       
       ## TAGS
       
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   DIR Marokko
       
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