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       # taz.de -- Türkiyemspor in der Krise: Fußball als Utopie
       
       > Der Kreuzberger Klub Türkiyemspor ist finanziell und sportlich
       > abgestürzt. Zuletzt gab es auch noch Homophobie-Vorwürfe gegenüber dem
       > Vorstand.
       
   IMG Bild: Ein Bild aus glücklichen Tagen (2008): Der Sportverein Tuerkiyemspor Berlin verkauft vor seinem Vereinsheim im Stadtteil Kreuzberg deutsche und türkische Fahnen und Fan-Artikel.
       
       Bis zu einem bestimmten Punkt verläuft diese Geschichte wie ein Märchen. Da
       ist dieser kleine Stadtteilklub aus Kreuzberg, entstanden 1978 aus einer
       Freizeitmannschaft. Der Verein, überwiegend aus türkischen Migranten
       bestehend, kämpft sich durch die Niederungen des deutschen Amateurfußballs
       bis fast in die Profiligen vor. Türkiyemspor, so der Name dieses
       Märchenklubs, wird zur Legende. Ende der Achtziger Jahre spielt das erste
       Männerteam vor mehr als 10.000 Menschen, läuft Hertha BSC und Tennis
       Borussia den Rang ab. Türkiyemspor ist damit der berühmteste deutsche
       Migrantenklub.
       
       Nicht nur das. Gleichzeitig wird der Verein zum Synonym für das Leben in
       Kreuzberg, für einen Gesellschaftsentwurf des solidarischen Nebeneinanders
       vieler verschiedener ethnischer und sozialer Gruppen. „Türkiyem“, so die
       Kurzform des Vereinsnamens, nutzt die integrative Kraft des Sports und des
       Fußballs, um das zu tun, wofür ein Verein dem Wortsinne nach da ist: zu
       vereinen.
       
       Denn die wahre Stärke des Klubs zeigt sich dann, als in den Neunzigern und
       in den Nullerjahren der sportliche Erfolg ausbleibt. Gegenüber Anfeindungen
       und Hass – Diskriminierung und Auseinandersetzungen mit Nazis sind
       zeitweise für die Teams des Klubs Alltag – verteidigt man offensiv den
       alternativen Lebensentwurf.
       
       Von außen wurden die Stärken des Klubs erst spät erkannt: Die Unterstützung
       für den Verein kam zunächst vor allem aus der Bevölkerung – in den
       Neunzigern auch von der Antifa. Der Berliner Fußball-Verband (BFV) hingegen
       behandelte den Klub lange stiefmütterlich: Noch bis vor fünf Jahren hatte
       Türkiyem keine eigene Sportanlage – so bestand die absurde Situation, dass
       ein inzwischen mit Integrationspreisen überhäufter Klub keine eigene
       Spielstätte hatte und ständig umziehen musste.
       
       Dabei war Türkiyem längst zur gelebten sozialen Utopie geworden. Dieser
       Klub, der derzeit gerade mal 421 Mitglieder zählt und in dessen Geschäfts-
       und Vereinsführung es oft chaotisch zugeht, ist ein gesellschaftliches
       Phänomen. Hier spielen türkische wie kurdische und deutsche Kicker
       zusammen; insgesamt spielen mehr als 20 verschiedene Nationalitäten in den
       26 Teams des Vereins. Evangelische wie katholische Christen, sunnitische
       wie alevitische Muslime. Junge linke Politaktivisten und gesetzte ältere
       Männer.
       
       ## LSVD-Werbung auf Trikots
       
       In allen Belangen der Integration gilt der Klub als vorbildlich: 2004
       gründet er eine eigene Mädchen- und Frauenabteilung: Heute ist sie die
       größte, die es in einem migrantisch geprägten Klub in Deutschland gibt.
       Seit 2006 kooperiert Türkiyemspor mit dem mit dem Lesben- und
       Schwulenverband (LSVD), ab 2013 wirbt das dritte Team des Klubs sogar auf
       Trikots mit dem Logo des Homosexuellenverbands. Und selbst, als der Verein
       2011 insolvent war, dachte man sich: Das ist Türkiyem, die schaffen das
       schon irgendwie.
       
       Seit mehreren Monaten aber bekommt die Heile-Welt-Fassade des Klubs mehr
       und mehr Risse. Der negative Höhepunkt ist im Oktober vergangenen Jahres
       erreicht. Nach einem Konflikt mit der LSVD-nahen dritten Mannschaft soll
       diese vom Spielbetrieb abgemeldet werden. Deren Vorwurf gegenüber dem
       Vorstand: homophobe Vorbehalte. Jörg Steinert, Geschäftsführer des LSVD in
       Berlin-Brandenburg und Aufsichtsrat bei Türkiyemspor, tritt von seinem
       Posten zurück. Der Klub scheint gespalten zwischen konservativen und
       progressiven Kräften. Ist das das Ende einer Utopie?
       
       ## Wie geht es weiter mit dem sozialen Projekt Türkiyemspor? Mehr dazu
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       27 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Uthoff
       
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