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       # taz.de -- Fotoplattform als digitales Tagebuch: 365 Tage, 365 Bilder
       
       > Noch ist sie ein Geheimtipp, die Fotoplattform „365project.org“. Die
       > Idee: Jeden Tag wird das eigene Leben in nur einem Bild festgehalten.
       
   IMG Bild: Ein Tag im Leben von User SquamLoon. Er ist einer von 170.000 Nutzern auf „365project.org“.
       
       Das Foto der Woche trieft vor Romantik. Ein aufgeschlagenes Buch, zwei
       Seiten biegen sich in die Mitte und formen ein Herz vor einem roten
       Hintergrund. Damit hat es sich durchgesetzt gegen die Aufnahme eines alten
       steinernen Torbogens im Morgenlicht und ein Quartett Möwen, das sich im
       feuchten Sand spiegelt. Vielleicht, weil KWind, wie sich die Fotografin
       nennt, ihr Bild raffiniert in eine ganze Serie eingebettet hat. Den ganzen
       Februar über hat sie Tag für Tag Herzen fotografiert: geformt aus Draht,
       gelegt aus bunten Knöpfen, aus einer Melone geschnitten. Sie hat sich etwas
       einfallen lassen. Muss sie auch. [1][KWind] hat sich vorgenommen, ein Jahr
       lang täglich ein Foto zu machen. Das ist die Idee hinter
       [2][365project.org].
       
       Momentan ist die Foto-Plattform noch ein Geheimtipp. Es sind
       leidenschaftliche Hobbyfotografen aus aller Welt, die hier wie in einer Art
       Tagebuch ihr Leben in Bildern festhalten. Die Idee dazu hatte der Engländer
       Ross Scrivener. „Meine Seite ist für Leute gedacht, die an ihrer Fotografie
       arbeiten möchten. Wer jeden Tag ein Bild macht, wird automatisch besser“,
       sagt der 28-Jährige. Gleichzeitig geht es darum, sich auch „an die kleinen
       Momente im Leben“ zu erinnern.
       
       Scrivener begann als Teenager zu fotografieren, seit er 18 ist geht er
       nicht mehr ohne Kamera aus dem Haus. In 2006 startete er 365project.org.
       [3][„Ich wollte mein Leben dokumentieren und festhalten, auch die
       langweiligen Tage“, sagt der freie Webentwickler.] Anfangs hatte seine
       Seite kaum Zulauf. Erst 2010 meldeten sich plötzlich einige Tausend Nutzer
       an, das Foto-Projekt war ihr Neujahrsvorsatz. Scrivener war auf solch einen
       Ansturm nicht vorbereitet. „Ich hatte ein paar wirklich hektische Tage“,
       erinnert er sich.
       
       Heute zählt seine Webseite 170.000 Nutzer, von denen momentan etwa 20.000
       regelmäßig Bilder posten - verschwindend wenige im Vergleich zu einem
       Foto-Netzwerk wie Instagram. Ende des vergangenen Jahres meldete der Dienst
       300 Millionen aktive Nutzer. Dagegen hat Scriveners 365project.org fast
       etwas familiäres. Er managt die kostenlose Plattform immer noch alleine,
       oft bleibt keine Zeit, um auf die Fragen der Mitglieder einzugehen. Dadurch
       hat sich eine rege Community gebildet. In verschiedenen Foren diskutieren
       die Nutzer wie die Seite verbessert werden kann, geben sich gegenseitig
       Tipps für bessere Fotos oder tauschen sich über neue Trends und Software
       aus.
       
       ## Mal als Zombie, mal als feenhafte Wesen
       
       Nicht zu verwechseln ist das 365-Tage-Projekt mit Apps wie Everyday, mit
       der Nutzer täglich ein Foto von sich machen und das Resultat in einem
       Videoschnittprogramm aneinanderreihen. Zwar gibt es durchaus auch Selfies
       auf der Seite, doch selbst die haben meist noch eine künstlerische
       Komponente. Nutzer Five plus Two etwa, hinter dem sich gleich sieben
       Hobbyfotografen verbergen, postet jeweils eine Woche lang täglich
       Selbstportraits zu einem bestimmten Thema. Die Fotografen spielen mit
       Feuer, machen sich zu Hauptdarstellern eines Buches, präsentieren sich mal
       als Zombie, mal als feenhafte Wesen.
       
       Generell bleibt aber den Mitgliedern überlassen, was sie fotografieren:
       Landschaftsaufnahmen, Tierbilder, Streetfotografie, Familienaufnahmen,
       Makros, was eben gerade vor die Linse kommt. Jeder kann sich außerdem an
       wöchentlichen Wettbewerben beteiligen, mal geht es darum einen langweiligen
       Alltagsgegenstand in Szene zu setzen, mal soll das Foto einen Begriff, z.
       B. Transport, Kommunikation oder Neuanfänge, interpretieren. Aus den
       eingereichten Aufnahmen wählt derjenige, der den Wettbewerb gestartet hat,
       fünf aus, über den Gewinner stimmen dann alle Nutzer ab.
       
       Wie in anderen sozialen Netzwerken können sich die angemeldeten Fotografen
       gegenseitig folgen, Beiträge kommentieren und - ähnlich den Likes bei
       Facebook - für gelungene Bilder Sternchen vergeben. „Man verfolgt das Leben
       anderer Tag für Tag, lernt sie auf eine visuelle Art und Weise kennen",
       beschreibt Scrivener, was seine Webseite ausmacht.
       
       ## Viele beenden ihr Projekt nicht
       
       „Viele haben über die Seite lebenslange Freundschaften geschlossen und sich
       auch schon im realen Leben getroffen.“ Die Fotos mit den meisten
       Kommentaren und Sternchen schaffen es auf eine Favoritenliste. Aber auch
       wer neu ist, kann schnell Follower gewinnen. Die aktuellen Fotos der Nutzer
       werden in einer eigenen Galerie gezeigt, außerdem gibt es einen eigene
       Kategorie für „Neue Gesichter“.
       
       Die größte Herausforderung ist es, das Projekt 365 Tage lang durchzuhalten.
       Jeden Tag und bei jedem Wetter zu fotografieren, Bilder hochzuladen und zu
       kommentieren erfordert Zeit und viel Ausdauer. Laut Scrivener beendet ein
       Großteil der Nutzer sein Projekt nicht. Aber diejenigen, die es schaffen,
       hören oft nicht nach einem Jahr auf, sondern machen weiter. „Es muss zur
       Gewohnheit werden, täglich zu fotografieren, nach etwa einem Monat wird es
       einfacher“, sagt Scrivener. „Und wenn man doch mal einen Tag verpasst,
       bedeutet das nicht das Ende der Welt, dann macht man einfach morgen
       weiter.“
       
       1 Mar 2015
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://365project.org/kwind/365/2015-02-20
   DIR [2] http://365project.org/
   DIR [3] http://365project.org/Scrivna/profile
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christine Luz
       
       ## TAGS
       
   DIR Instagram
   DIR Johannes Caspar
   DIR Andy Warhol
   DIR Datensicherheit
       
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