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       # taz.de -- Neues Album von Rone: Alles gerät ins Schleudern
       
       > Nachts, wenn er nicht schlafen konnte, bastelte Erwan Castex alias Rone
       > an Sounds. „Creatures“ heißt das dritte Album des Autodidakten.
       
   IMG Bild: Schlaflos in Paris: Erwan Castex alias Rone.
       
       Erwan Castex wäre nie auf die Idee gekommen, seine selbstgebastelten Tracks
       an ein Label zu schicken. Er verstand sich nicht als Musiker, höchstens ein
       Frickler wollte er sein. Erst als ein Freund ihn beharrlich dazu ermutigte,
       wagte er den Versuch, legte sich den Künstlernamen Rone zu und ging mit
       seiner Musik an die Öffentlichkeit. Wider Erwarten reagierten die
       angesprochenen Labels ausgesprochen positiv. Rones Wahl fiel auf InFiné,
       ein auf neue elektronische Klänge spezialisiertes Pariser Label.
       
       2009 erschien sein Debütalbum: „Spanish Breakfast“. Das heimste jede Menge
       euphorische Rezensionen ein. Die Kritik kürte Rone sofort zu einem der
       talentiertesten Electronica-Vertreter Frankreichs und sprach davon, sein
       Sound klinge zugleich rüstig und zart, verwirrend und beschwichtigend. Nun
       ist sein drittes Opus „Creatures“ erschienen.
       
       Über den unerwarteten Erfolg als Musiker wundert sich der 1980 in
       Boulogne-Billancourt bei Paris geborene Castex selbst am meisten.
       Ursprünglich hegte er keinerlei musikalische Ambitionen: Er studierte Film
       an der Sorbonne Nouvelle. Immer, wenn er mal wieder nicht schlafen konnte,
       klemmte er sich an seinen Computer und bastelte Sounds und Melodien.
       
       Als Kind hatte er schon Versuche unternommen, ein Instrument zu lernen.
       Zuerst Klavier, dann Saxofon: „Ich hatte wenig Glück mit meinen Lehrern“,
       erinnert er sich. „Üben gestaltete sich zu einer Art Pflicht, die mir stets
       zuwider war.“ Und überhaupt, kam dem Jazzfan schnell die bittere
       Erkenntnis, er würde sowieso nie wie Charlie Parker spielen können. Er gab
       auf.
       
       ## Die Lust an der Entgleisung
       
       Erst als er realisierte, dass auch sein Computer als Musikinstrument
       fungieren kann, macht es klick: „Danach versuchte ich zu verstehen, wie
       alles funktioniert.“
       
       Damals, Anfang der nuller Jahre, waren ihm keine Lehrer bekannt, die ihm in
       Sachen elektronischer Musik hätten Rat geben können. Für ihn bedeutete das:
       „Keinerlei Regeln, keine Grenzen, die totale Freiheit!“ Mit gehackten
       Programmen ging das Experiment los, doch die Software war anfällig,
       verursachte immer wieder Abstürze. Gerade für den Datencrash begeisterte
       sich Rone. Solche Kollisionen spornten ihn erst recht an, sich immer weiter
       in das Austüfteln raffinierter Klangtexturen zu vertiefen.
       
       Inzwischen verfügt er über einen beachtlichen Fuhrpark an Hardware,
       Synthesizer, Sequenzer und Drumcomputer. Den technischen Luxus versteht
       Rone als erweiterte Möglichkeit zu schier unbegrenzten Unfallvariationen.
       Ganz bewusst vermeide er, sein elektronisches Arsenal komplett im Griff zu
       haben.
       
       „Mich fasziniert das Gefühl, wenn mir die Dinge entgleiten“, sagt er. „Es
       gibt Tage, an denen ich meine Maschinen bis zum Anschlag aufdrehe, mit der
       Technik aneinandergerate, nur damit sie sich ein wenig selbst ausdrücken
       kann.“ Die resultierenden, unvorhergesehenen Klangskulpturen faszinieren
       Rone derart, dass sie oft den Ausgangspunkt für seine Stücke liefern.
       
       ## Das Bild eines Vulkans
       
       Der Track „Ouija“ ist nach diesem Prinzip entstanden. Beginnend mit
       gedämpften Wummern, türmen sich alsbald immer eindringlicher schallende
       Orgelarpeggien auf, unterstrichen von Rasseln, einer singenden Männerstimme
       und kühl peitschenden Heart-, Slap- und Clapbeats. Alles gerät ins
       Schleudern, fängt sich wieder und stapelt sich zu einem geschickt
       kakofonischen Ensemble auf.
       
       Oft beschwören Rones Kompositionen das Bild eines Vulkans herauf, kurz vor
       dem Ausbruch: Die Elemente brodeln vor sich hin, erhitzen und verdichten
       sich zu einer glühenden und zähflüssigen Masse – die dann aber doch nicht
       immer zünden mag. Frust kommt trotzdem nicht auf.
       
       „Das ist eine Reminiszenz an meine Kindheitstage, als ich an Mutters
       Rockzipfel hing, während sie klassische Musik hörte.“ Rone liebte „diese
       langen Stücke, die sich durch allerlei Energien und Atmosphäre schlängeln,
       Momente der großen sinfonischen Aufregung, die dann plötzlich verstummen –
       nur um ganz langsam und sanft wieder Fahrt aufzunehmen“. Damals mochte er
       besonders „die offensichtlichen Sachen“: Chopin, die minimalen
       Klavieretüden Saties, „oder auch Bartók und sein kindliches Universum. Es
       war wie Kino!“
       
       In Frankreich stehen Rones Kompositionen unter dem Generalverdacht, sie
       würden einem Drehbuch folgen und sich der großen Leinwand geradezu
       anbiedern. Nein, nein, er wolle lediglich seine Launen widerspiegeln,
       kontert der Musiker, und einfangen, was er so fühlt, während er die Songs
       komponiert.
       
       ## Zorn oder Whiskey
       
       Bei „Ouija“ war das vor allem Zorn, den er sich durch seine Maschinen aus
       dem Leib schreien musste. Als er sich an „Acid Reflux“ setzte, nippte er
       dagegen entspannt an einem Glas japanischen Whiskey – und wie hinter einem
       betäubenden Klangteppich murmeln die gedämpften Sounds des am Stück
       beteiligten Jazztrompeters Toshinori Kondo.
       
       „Wenn ich den Track höre, spüre ich noch immer die Wirkung des Alkohols“,
       witzelt Rone, um ernst hinzuzufügen: „Beim Komponieren versuche ich nicht
       allzu sehr zu intellektualisieren. Ich will meine Ideen einfach nur
       ausleben, ohne Angst zu haben, mich lächerlich zu machen – und das Gefühl
       wiederherstellen, das ich hatte, als ich noch für mich allein Musik gemacht
       habe.“
       
       Der Übergang von der ungezwungenen Anonymität zur großen Bühne hatte starke
       Selbstzweifel bei Rone ausgelöst: „Als ich mich plötzlich im
       Scheinwerferlicht wiederfand, vor 10.000 Zuschauern, dachte ich: Was mache
       ich hier eigentlich? Wer bin ich überhaupt?“ Der Autodidakt befürchtete, er
       sei nun ein Hochstapler.
       
       2013 erzählte InFiné-Labelgründer Alexandre Cazak der Zeitung Télérama:
       „Ich musste ihm das Debütalbum quasi aus den Rippen schneiden. Wie
       kompliziert es beim zweiten Album war, davon will ich gar nicht erst
       reden.“ Eine monatelange Schaffenskrise hatte Rone schließlich ins Exil
       nach Berlin getrieben, wo das zweite Werk „Tohu Bohu“ dann doch Gestalt
       annahm. Von den Künstler-Neurosen ist auf dem neuen Album „Creatures“
       nichts mehr zu merken.
       
       ## Geistesverwandte finden
       
       Auch beim Interview gibt sich Rone betont selbstbewusst, und so wagt man zu
       fragen, ob er sich bei dem Song „Calice Texas“, der Gesang, Pauken und
       Blechbläser äußerst melodramatisch aufbläst, möglicherweise etwas verrannt
       habe? Rone kichert. „An dem Song scheiden sich die Geister! Ein Kumpel ruft
       mich an und erzählt, er habe vor Rührung geweint. Ein anderer meinte: Was
       soll dieser Kitsch, ich verstehe dich nicht mehr!“ Rone selbst findet: „Ich
       habe dabei mit Billo-Sounds geflirtet, aber ich stehe voll und ganz dazu.“
       
       Also keine Krise mehr? Rone widerspricht: „Wenn du als gequälter Mensch
       geboren wurdest, bleibst du für immer gequält. Aber man kann lernen mit
       seinen Ängsten zu leben“.
       
       Keine Therapie habe ihm dabei geholfen – sondern die Begegnung mit
       geistesverwandten MusikerInnen, die über eine weit klassischere Laufbahn
       verfügten als er. Etwa der Cellist Gaspard Claus, der Multiinstrumentalist
       Bachar Mar-Khalifé oder Bryce Dessner, Gitarrist der US-Band The National,
       die Rone bei Festivals kennenlernte.
       
       Er lud sie alle ein, bei „Creatures“ mitzuwirken. Zum Teil schickten sich
       die Musiker Trackfragmente im Pingpong-Verfahren hin und her, teilweise
       begaben sich die Beteiligten zum Arrangieren auch zusammen mit Rone ins
       Studio. „Zunächst war ich ziemlich eingeschüchtert. Ich kann Noten nur
       schlecht lesen, die Mitmusiker haben mich durch ihre Neugierde und
       Offenheit von meinen Komplexen befreit.“ Gespielt emphatisch fährt Rone
       fort: „Wenn mich jemand fragt, was ich beruflich mache, erkläre ich klar
       und deutlich: Ich bin Musiker.“
       
       26 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Elise Graton
       
       ## TAGS
       
   DIR elektronische Musik
   DIR Marokko
   DIR Umweltschutz
       
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