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       # taz.de -- Journalist über rechten Terror: „Nazis lesen keine Comics“
       
       > David Schraven hat über die Dortmunder Neonazi-Szene berichtet. Im Comic
       > „Weiße Wölfe“ wird seine Recherche nun nacherzählt.
       
   IMG Bild: Szene aus „Weiße Wölfe“: Combat 18, ein bewaffneter Arm des Neonazi-Netzwerks „Blood and Honour“.
       
       taz: Herr Schraven, „Weiße Wölfe“ ist ein Comic, der auf investigativer
       Recherche basiert. Er handelt von der Dortmunder Neonazi-Szene und deren
       Verbindungen zum NSU. Das ist nichts Neues. Warum sollte man ihn trotzdem
       lesen? 
       
       David Schraven: Über die Verbindungen zwischen der Dortmunder Szene und dem
       NSU ist viel bekannt. Das stimmt. Einiges davon habe ich selbst
       recherchiert und veröffentlicht. Darüber hinaus gibt es aber einen
       Erzählstrang, den man noch nicht kennt.
       
       Und der wäre? 
       
       Das ist die ganz persönliche Geschichte eines Neonazis, der erstmals Belege
       dafür liefert, dass es in Dortmund eine C18-Gruppe gab …
       
       … C18 steht für Combat 18. Das ist der bewaffnete Arm des Neonazi-Netzwerks
       Blood and Honour. 
       
       Diese Terrorzelle funktionierte nicht nur in der Stadt, sondern stand mit
       anderen Gruppen außerhalb Deutschlands in Kontakt. Da haben sich Mitglieder
       aus der Terrorzelle in Deutschland mit den Mitgliedern einer Terrorzelle in
       Belgien zusammengetan. Diese Terrorzellen haben nicht nur kooperiert,
       sondern es wurden auch deutsche Mitglieder in Belgien ausgebildet, und zwar
       vom Militär, von belgischen Offizieren. Gemeinsam haben sie konkrete
       Anschläge geplant und es gab grenzüberschreitenden Waffenhandel. Das hat
       man so noch nirgendwo gelesen.
       
       Wie sind Sie denn an diese Informationen gekommen? 
       
       Die Recherche mit allem Drum und Dran hat bestimmt zwei Jahre gedauert. Ich
       habe nach einer Antwort auf die Frage gesucht, warum zwei Typen mit dem
       Wohnmobil von Thüringen nach Dortmund fahren, um einen Kioskbesitzer
       umzubringen.
       
       Gemeint sind Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die beiden NSU-Mitglieder, die
       unter anderem acht türkischstämmige und einen griechischen Kleinunternehmer
       ermordeten, darunter 2006 Mehmet Kuba? 
       
       Nach Dortmund fahren ergibt keinen Sinn. Die Autobahnen sind scheiße und in
       der Dortmunder Nordstadt ist nichts los. Also wollte ich wissen, warum
       Mundlos und Böhnhardt ausgerechnet dort hin sind. Im Laufe der Zeit habe
       ich den Sprung in die Szene geschafft und konnte auf Naziseite
       recherchieren.
       
       Haben Sie sich als Journalist zu erkennen gegeben? 
       
       Ja, klar.
       
       Und die Nazis erzählen dann einfach? 
       
       Erst mal nicht. Dafür braucht man Zeit und viele Treffen. Aber das sind
       auch Menschen, und Menschen wollen darüber reden, was sie gemacht und was
       sie erlebt haben. Und wenn sie extreme Sachen gemacht haben, wollen sie
       über extreme Sachen reden. Man muss ihnen nur die Gelegenheit dazu geben,
       sie nicht in die Pfanne hauen, ganz normal nachfragen, wieso, weshalb. Dann
       erklären die einem das. Aber das kostet Zeit und Geld. Und das ist bei den
       großen Verlagen oft nicht da.
       
       Sie haben die Geschichte als Comic veröffentlicht. Läuft man damit nicht
       Gefahr, dass die Geschichte gar nicht als real wahrgenommen wird? 
       
       Das finde ich nicht. Im Gegenteil. Das Aha-Erlebnis ist am Ende viel
       stärker, wenn du mit einem Mal begreifst: Das ist alles wahr. Mehr noch:
       Das passiert überall. Die einzelnen Anschläge auf Migranten und
       Flüchtlingsunterkünfte sind eine Kommunikation unter den einzelnen
       Terrorgruppen. Die warten darauf, dass sich die Anschläge verdichten, damit
       sie den großen Anschlag planen können. Und dann kannst du in die Zeitung
       gucken und siehst mit einem Mal, wie sich die häufen, und erkennst den
       Zusammenhang.
       
       Trotzdem: Die große Headline bekommt man so nicht. Ein Comic wird nur in
       der Nische wahrgenommen. Warum haben Sie das nicht aufgeschrieben, sondern
       eine grafische Reportage daraus gemacht? 
       
       Weil ich an neue Zielgruppen ranwill. Wenn ich eine lange Reportage
       schreibe und die in den üblichen Medien veröffentliche, dann erreiche ich
       damit immer dieselben Leute und die sagen dann genau wie Sie: „Nee, warum
       denn schon wieder so was? Haben wir doch schon tausend Mal gelesen.“ Die
       lernen nur einen kleinen Mosaikstein dazu. Aus der Bubble komme ich so
       nicht raus. Ich kümmere mich aber gar nicht um die Bubble, die können mich
       alle mal. Ich erreiche andere Leute, neue Leute, die von all dem noch
       nichts gehört haben. Mit ein bisschen Glück sind das junge Leute. Große
       Verlage können solche Experimente nicht wagen. Wir schon.
       
       „Wir“, das ist das Recherchebüro Correctiv, das gemeinnützig ist und von
       der Essener Brost-Stiftung mit drei Millionen Euro für die ersten drei
       Jahre ausgestattet wurde. Wozu braucht man stiftungsfinanzierten
       Journalismus? 
       
       Genau deshalb. Es finden viele Experimente in der Medienwelt statt. Aber es
       müssen noch viel mehr stattfinden. Die meisten Leser, Hörer und Zuseher bei
       Zeitungen, Radio und Fernsehen sind weit über 30 Jahre alt. In diesem
       Bereich gibt es keine Zukunft. Das kann man machen, davon kann man auch
       leben, aber es ist abzusehen, dass das irgendwann kaputtgeht. Man muss also
       versuchen, an die Jungen ranzukommen. Die Verlage sind damit beschäftigt,
       ihr bestehendes Geschäftsmodell zu erhalten, sprich: die über 30-Jährigen
       nicht zu verprellen. Und sie haben kein Geld für große Experimente. Die
       muss aber jemand machen. Also machen wir das.
       
       Correctiv verfügt über einen Ethikrat, der Mitte März erstmals
       zusammenkommt. Wozu? 
       
       Der soll uns inhaltlich beaufsichtigen. Es muss ein Gremium geben, das mich
       rauswerfen kann, wenn ich große Kacke baue. Ein Gremium, das sagt: „Das ist
       unethisches Verhalten.“ Das Bureau of Investigative Reporting in
       Großbritannien wäre zum Beispiel fast pleitegegangen, weil sie einen
       Parlamentsabgeordneten als homosexuell und als Kinderschänder geoutet
       haben. Das Problem war: Das stimmte nicht. Wenn so was geschieht, muss man
       jemanden feuern können.
       
       Sie arbeiten gemeinnützig. Das heißt, Sie stellen den Medien Ihre
       Geschichten kostenlos zur Verfügung. Ein Verlag, der Ihre Geschichte
       druckt, muss also nichts dafür bezahlen. Zudem machen Sie Ihre
       Rechercheergebnisse öffentlich zugänglich. Warum? 
       
       So können wir viel mehr Dinge umsetzen und vom Thema her entscheiden,
       welche Darstellungsform wir passend finden. Wir sind gänzlich unabhängig
       von Verlagen und auch vom Markt. Unser Ziel ist ein anderes. Wir wollen die
       Medienkultur verbessern. Deshalb stellen wir unsere Ergebnisse, unsere
       Recherchewege und unsere Methoden der Allgemeinheit zur Verfügung.
       
       Ein konkretes Beispiel? 
       
       Wir haben eine Geschichte über Gerichte gemacht, die Verurteilte zur Strafe
       zum Spenden verpflichten. Darüber, wie Richter und Staatsanwälte jährlich
       Millionen fast ohne externe Kontrolle verteilen. Die Geschichte erschien in
       der tz in München. Hätte der Kollege in München das umsetzen wollen, hätte
       er knapp 10.000 Euro in die Recherche investieren müssen. Das wäre nicht
       passiert. Die Geschichte hätte es ohne uns nie gegeben. Plus: Weil wir alle
       Unterlagen online zur Verfügung gestellt haben, haben anschließend andere
       Journalisten weitere Geschichten daraus gemacht, die an dem Ort spielten,
       an dem ihre Zeitung erschien. Wir wollen möglichst vielen Leuten dabei
       helfen, selbst Geschichten zu machen, und verbessern so die allgemeine
       Medienkultur.
       
       Was ist Correctiv für Sie? Eine Medien-NGO? 
       
       Wir sind ein Modell von ganz vielen. Für uns ist nicht entscheidend, wie
       viel wir produzieren. Das ist zwar ganz nett. Aber unsere entscheidende
       Rolle ist es, Modelle zu kreieren, wie andere arbeiten und Erfolge erzielen
       können. Wir sind eine Ideen-Bude. Wir wollen Grenzen überwinden, neue
       Formen ausprobieren, Chancen eröffnen. Was bei uns erfolgreich ist, können
       andere übernehmen. Ein Beispiel sind die grafischen Reportagen. Die halte
       ich für extrem wichtig für die Zukunft des Journalismus.
       
       Welche Geschichten lassen sich denn am besten grafisch darstellen? 
       
       Ich glaube, dass sich im Grunde jedes Thema eignet, wenn man die Geschichte
       mithilfe eines starken Protagonisten personalisieren kann. Auch die
       Hintergründe muss man mit Personen verknüpfen. Investigative Recherchen
       sind ja meist sehr dokumentlastig. Deshalb gibt es in „Weiße Wölfe“ den
       Reporter, den Ich-Erzähler, damit man den Hintergrund erzählt kriegt. Ich
       würde sehr gerne auch mal einen politischen Comic machen, wie „Quai
       d’Orsay“ von Abel Lanzac. Da geht es um den französischen Außenministers
       Dominique des Villepin und eine Rede, die er vor der UNO-Vollversammlung
       halten muss. Total sperriges Thema. Aber der Comic ist echt große Kunst.
       
       Anders als in den USA oder in Frankreich ist die Kultur des ernsthaften
       Comics, der Graphic Novels, in Deutschland nicht besonders ausgeprägt.
       Woran liegt das? 
       
       In Deutschland war der Markt mit Kipka-Comics von der Nachkriegszeit bis in
       die 1980er Jahre hinein stark monopolisiert. Die haben Fix und Foxy und
       Micky Maus verlegt, aber auch den Sparkassen-Comic Knax. Die wurden in
       Spanien gezeichnet, weil deutsche Zeichner teurer waren. Davon abgesehen
       gab es nicht viel. Das hat sich erst in den letzten 20, 30 Jahren geändert.
       Außerdem gibt es in Deutschland den weit verbreiteten Mythos des Genies,
       also den Glauben daran, dass einer alles können muss, eine gute Geschichte
       erzählen und zeichnen können. Das ist nur leider verdammt selten.
       
       Für „Weiße Wölfe“ haben Sie mit dem Zeichner Jan Feindt zusammengearbeitet.
       Wie viel Mitspracherecht hatte denn Ihr Informant? 
       
       Gar keines. Ich habe ihm versprochen, dass man ihn nicht erkennt, und daran
       habe ich mich gehalten. Es gibt keine optische Ähnlichkeit. Aber das war’s.
       
       Wie gefällt ihm das Ergebnis? 
       
       Keine Ahnung. Er hat eine neue Identität und ist verschwunden. Ich kann ihn
       nicht mehr erreichen.
       
       Nächste Woche sind die Zeichnungen in den Redaktionsräumen von Correctiv in
       Berlin ausgestellt. Warum nicht in einer Galerie? 
       
       Die haben kalte Füße bekommen und uns aus Angst vor rechten Anschlägen
       abgesagt.
       
       Das ist doch vorauseilender Gehorsam, eine Ausstellung nicht zu machen,
       weil es Ärger geben könnte. Ein bestürzendes Signal nach dem Anschlag auf
       Charlie Hebdo, oder nicht? 
       
       Ach, ich will denen nicht ins Handwerk pfuschen. Deren Business ist es
       nicht, Ärger zu machen. Sondern Bilder zu zeigen. Die hatten Schiss um ihre
       Scheibe.
       
       Sie haben keine Angst? 
       
       Nö. Nazis lesen keine Comics. Die lesen generell sehr wenig. Da mache ich
       mir keine Sorgen.
       
       22 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marlene Halser
       
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