# taz.de -- Armut in Deutschland: Sie sind jung und brauchen Geld
> 42 Millionen Menschen haben Arbeit – ein Rekord. Aber bis zu 20 Prozent
> der Deutschen leben unter der Armutsgrenze. Experten fordern Maßnahmen
> dagegen.
IMG Bild: Wo bleibt hier bitte die Hoffnung? Plattenbausiedlung in Frankfurt (Oder).
BERLIN dpa | Angesichts einer [1][wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich]
in Deutschland fordern Gewerkschaften und Experten zügige Schritte gegen
prekäre Beschäftigung. Fällige Steuern müssten zudem auch tatsächlich
effektiv eingetrieben werden, sagte der Gießener Politikwissenschaftler und
Armutsforscher Ernst-Ulrich Huster der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.
Dann könne das Vermögen etwas gerechter verteilt werden. Aktuelle
Entwicklungen bei der Armut in Deutschland stellt der [2][Paritätische
Gesamtverband am Donnerstag mit einer Studie „Die zerklüftete Republik“] in
Berlin vor.
„Deutschland ist ein reiches Land - im Schnitt werden hier über 30 000 Euro
pro Jahr und Einwohner erwirtschaftet“, sagte Huster. „Doch 8 Prozent der
Bevölkerung sind völlig abgehängt, und zwischen 16 und 20 Prozent leben
unterhalb der Armutsgrenze.“ Gleichzeitig würden die Reichen laut den
offiziellen Statistiken immer reicher. „Die obersten zehn Prozent verfügen
über rund 53 Prozent des Vermögen.“ Manche Berechnungen gingen von mehr als
60 Prozent aus.
„Über 42 Millionen Menschen in Deutschland sind zwar beschäftigt - ein
Rekord“, sagte Huster. Doch es gebe verbreitet Armut trotz Arbeit. Rund die
Hälfte der Neubeschäftigten hätten zudem zeitlich befristete
Arbeitsverträge.
Annelie Buntenbach, DGB-Vorstandsmitglied, sagte der dpa: „Wer Armut
bekämpfen will, muss vor allem den Arbeitsmarkt aufräumen.“ Der gesetzliche
Mindestlohn dürfe nicht mit dem Argument der Vermeidung von Bürokratie
unterhöhlt werden. „Prekäre Arbeit wie Leiharbeit und der Missbrauch von
Werkverträgen muss zurückgedrängt werden.“
Huster erläuterte: „Die hohen Einkommen sind auf wenige Regionen verteilt,
etwa die Regionen Hamburg, Düsseldorf, Köln, Frankfurt, Wiesbaden und
München.“ Er sagte: „Im Ruhrgebiet ist die Autobahn 40 die Trennlinie -
südlich herrscht überwiegend Wohlstand, nördlich überdurchschnittlich viel
Armut.“
## Gezielte Sozialleistungen gefordert
Höhere Steuern sieht der Wissenschaftler nicht als Bedingung für eine
gerechtere Verteilung des Wohlstands an. „Vielmehr müssen die Steuern, die
es gibt, auch eingezogen werden“, sagte er. „Reichere Bundesländer machen
auch Wirtschaftsförderung durch Finanzämter und statten diese mit zu
wenigen Steuerprüfern aus.“
Huster warnte vor den Folgen mangelnder Armutsbekämpfung: „Wir leben nicht
in der Sahelzone. Aber es besteht das konkrete Risiko, dass auch in
Deutschland immer mehr junge Menschen ohne Hoffnung nachwachsen. Viele
kennen gar keine geregelte Beschäftigung, rutschen in Kriminalität ab oder
gefährden sich durch Sucht.“
Buntenbach forderte gezielte Sozialleistungen für armutsgefährdete Kinder -
auch wegen gestiegener Mieten. Gut sei, dass die Bundesregierung eine
Wohngeldreform angehe. Wichtig sei zudem die anstehende Neufestsetzung von
steuerlichen Kinderfreibeträgen und Kindergeld. „Jedes Kind ist gleich viel
wert - das sollte der Staat beachten“, sagte sie. „Reichere Eltern durch
die Freibeträge überproportional besserzustellen ist ungerecht und in
Zeiten knapper Kassen erst recht nicht vertretbar.“
Bereits in seinem [3][Jahresgutachten 2014 hatte der Paritätische
Gesamtverband] wachsende soziale Spaltung in Deutschland beklagt.
19 Feb 2015
## LINKS
DIR [1] http://www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/a334-4-armuts-reichtumsbericht-2013.html
DIR [2] http://www.der-paritaetische.de/armutsbericht/die-zerklueftete-republik/
DIR [3] http://www.paritaet-hessen.org/fileadmin/redaktion/Texte/News/GutachtenParitaet_Das_Soziale-in_der_Krise.pdf
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