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       # taz.de -- Studentenmörder und Spion der DDR: Der Tod eines Untertans
       
       > Karl-Heinz Kurras spionierte für die Stasi und erschoss Benno Ohnesorg.
       > Hat der Krieg ihn zu einem so bösartigen Charakter gemacht? Ein Nachruf.
       
   IMG Bild: Kurras 2009 im Berliner Amtsgericht Tiergarten.
       
       Wir wissen viel über den Berliner Polizeioberkommisar Karl-Heinz Kurras.
       Aus Akten der Stasi, für die er spionierte, aus den Prozessen wegen der
       Ermordung von Benno Ohnesorg. Wir wissen nicht viel von ihm selbst. Warum
       hat er sich als Stasispitzel verdingt? Warum hat er am 2. Juni 1967 den
       wehrlosen Studenten Benno Ohnesorg erschossen? Was hat ihn zu einem
       klischeehaften Untertan gemacht, devot nach oben, brutal nach unten? Kurras
       hat dazu geschwiegen, wie viele Männer seiner Generation. Und wenn er
       sprach, hörte man dummen Hass.
       
       2007 gab er zu Protokoll, dass er am 2. Juni 1967 am liebsten nicht nur
       einen Schuss abgegeben hätte. „Fünf, sechs Mal hätte ich hinhalten sollen.
       Wer mich angreift, wird vernichtet.“ In unserer zivilen Alltagswelt klingt
       so ein Satz wie das Echo faschistischer Vorzeit, entgrenzter Gewalt.
       
       Kurras wurde 1927 in Ostpreußen geboren. Der Vater hatte einen deutschen
       Beruf: Polizist. Mit 16 Jahren meldete sich Karl- Heinz Kurras 1944
       freiwillig an die Front, als der Krieg längst verloren war. Er wird zwei
       Mal verwundet. Wir wissen nicht, was der Halbwüchsige in dem Gewaltorkan
       des Krieges erlebt hat. Aber gerade die Unerfahrenen, Jungen waren
       Kanonenfutter. Es ist keine kühne Vermutung, dass seine lebenslange Sucht
       nach Waffen, die sogar Stasioffizieren bizarr erschien, in der Erfahrung
       des Krieges wurzelt. Die Waffen waren Fetisch, Medium der Selbsterhöhung,
       Stützen für ein unsicheres Ich. Seinem zehnjährigen Sohn soll er zum
       Geburtstag eine Waffe geschenkt haben.
       
       Auf den Schrecken der Schlachten folgte 1946 die Haft in Sachsenhausen –
       wegen illegalen Waffenbesitzes. Kurras, keine 20 Jahre alt, wurde von der
       sowjetischen Geheimpolizei zu zehn Jahren Lagerhaft verurteilt. Als er mit
       23 entlassen wurde, hatte er wohl so viel Tod, Blut, Leid gesehen – ein
       Bruchteil davon würde heute für eine Posttrauma-Therapie reichen.
       
       ## Berufswunsch Vopo
       
       Die Haft machte ihn nicht zum Antikommunisten – im Gegenteil. Sein
       sehnlichster Wunsch war 1950, Vopo in der DDR zu werden. Ist es gewagt,
       darin eine Geste der Unterwerfung gerade unter die Macht zu sehen, die ihn
       schurigelte? Offenbar wollte er unbedingt auf der Seite der stalinistischen
       Macht stehen, mit der Waffe in der Hand. Wer mich angreift, wird
       vernichtet.
       
       Die Stasi beorderte ihn in den Westen – Kurras wurde ihr Meisterspion in
       Westberlin. Das Mielke-Ministerium lobte seine Pünktlichkeit, die „forsche
       Erscheinung“ das „bestimmte Auftreten“. Ein schneidiger, deutscher Mann und
       somit brauchbar für Spitzeldienste. Bis zum 2. Juni 1967, als er Benno
       Ohnesorg erschoss.
       
       Das war keineswegs ein Auftragsmord der SED. Das hofften später, als es
       publik wurde, einige Konservative, die sich bis heute den Aufstand der
       Bürgerjugend 1968 nur als Komplott der DDR erklären können. Doch so war es
       nicht: Die Stasi war entsetzt, dass sie ihren besten Mann in Westberlin
       verloren hatte. Kurras, das perfekte Herrschaftsinstrument, war aus dem
       Ruder gelaufen. Der Waffenfetischismus war für eine Sekunde nicht
       eingehegt, sondern entgrenzt. Und sichtbar.
       
       ## Eine böse Groteske
       
       „Er ist ein Deutscher, für die Verhältnismäßigkeit bei der Anwendung von
       Autorität und Gewalt hat er keinen Sinn“, schrieb der scharfe Beobachter
       Gerhard Mauz, Gerichtsreporter des Spiegel, über den Ohnesorg-Prozess. Dort
       traf der Angeklagte auf deutsche Richter. Sie sprachen ihn frei, dem
       Offenkundigen zum Trotz. Danach macht Kurras noch ein paar Schlagzeilen,
       als böser Kleinbürger, der Fotografen verprügelte und eine Hauswartsfrau
       mit der Waffe zwang, zu seinen Gunsten zu lügen. Seine Pension als
       Kriminalbeamter bezog er bis zu seinem Tod am 16. Dezember 2014, der erst
       am Dienstag von Spiegel Online öffentlich gemacht wurde.
       
       Nicht alle, die aus dem Krieg kamen, waren so wie er. Aber manche. Wenn man
       sich dieses Leben vergegenwärtigt, merkt man, wie fern und fremd uns diese
       Art des Deutschen ist. Und was für ein Glück das bedeutet.
       
       Wahrscheinlich wird das Leben von Kurras irgendwann verfilmt.
       Nachkriegsgeschichte geht ja immer. Dieses Leben taugt eher als schwarze
       Komödie denn als Drama. Der Polizist, der für die autoritäre DDR spionierte
       und beim Klassenfeind nach dem 2. Juni 1967 von der Westberliner Polizei
       als Held gefeiert wurde, weil er einen Studenten erschossen hatte – das
       kann man nur als böse Groteske erzählen.
       
       18 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Reinecke
       
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