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       # taz.de -- „Whiplash“ im Kino: Duell der Dickschädel
       
       > In „Whiplash“ scheut der Regisseur Damien Chazelle kein Klischee des
       > Künstlertums. So entsteht ein interessanter Film über Jazz.
       
   IMG Bild: Professor Fletscher erinnert in „Whiplash“ weniger an einen Kunstpädagogen denn an einen Drill-Sergeant.
       
       „Kunst kommt von Können“, sagt der Volksmund. „Kunst ist schön, macht aber
       viel Arbeit“, sagt Karl Valentin. Zwei Bonmots, die ebenso altbacken und
       falsch wie langlebig sind: Das jüngste Beispiel für das unbekümmerte
       Fortleben dieser Vorstellungen von kreativer Arbeit heißt „Whiplash“.
       
       Dem Erfolg von Damien Chazelles zweitem Spielfilm hat die Botschaft auf
       Kalenderspruchniveau keinen Abbruch getan: Er eröffnete vor begeistertem
       Publikum das letztjährige Filmfestival von Sundance, erlebte seine
       Europapremiere ebenso umjubelt in einer Nebenreihe der Filmfestspiele von
       Cannes und ist sogar für fünf Oscars nominiert.
       
       „Whiplash“ wird aus der Perspektive des 19-jährigen Andrew erzählt. Der
       ehrgeizige Schlagzeuger studiert am renommierten New Yorker Schafer
       Conservatory of Music. Eines Abends taucht bei einer seiner Übungsstunden
       der ebenso gefürchtete wie charismatische Professor Terence Fletscher auf,
       der ihn zu den Proben seines Jazz-Orchesters einlädt. Andrew steigt schnell
       vom Notenumblätterer zum ersten Schlagzeuger auf – nur um bald wieder
       degradiert zu werden. Fletscher führt ein hartes Regiment.
       
       Militärvokabular passt zu seinem Unterrichtsstil: Er erinnert weniger an
       einen Kunstpädagogen als an einen Drill-Sergeant der US-Armee – inklusive
       homophober Beleidigungen und körperlicher Züchtigung. Da wird das richtige
       Metrum auch schon mal im Takt von Backpfeifen eingeübt. Eine Mischung aus
       Angst, Trotz und verletztem Stolz treibt Andrew an. Er will seinem Lehrer
       zeigen, dass er dessen Ansprüchen gerecht werden kann.
       
       ## Man denkt an Leistungssportler
       
       Ein Psychoduell zweier ausgesprochener Dickschädel beginnt. Der Plot
       erinnert an Filme über Leistungssportler: Der innere Schweinehund muss
       überwunden werden, um an die Spitze zu kommen. Und wie einen Sport
       behandelt „Whiplash“ auch den Jazz. So wie Rocky im gleichnamigen Film sich
       die Fäuste an Schweinehälften blutig schlägt, so spielt sich Andrew mit
       seinen Drumsticks die Hände zu Fleischklumpen.
       
       Als Paradebeispiel für dieses Ethos des hart an sich arbeitenden
       Jazzmusikers wird in „Whiplash“ immer wieder Charlie Parker angeführt.
       Natürlich war der ein Virtuose am Saxofon, aber er wäre einer der vielen
       vergessenen begnadeten Musiker geworden, hätte er sich so wie Andrew immer
       fleißig an die vorgegebenen Normen gehalten.
       
       ## Totengräber einer Kunstform
       
       Der Niedergang des Jazz in den letzten Jahrzehnten hat sicher nichts damit
       zu tun, dass es zu wenig herausragende Jazzmusiker gibt, sondern genau
       damit, dass er zu einer amerikanischen Hochkultur gemacht wurde, die man
       „lernen“ kann. Andrews Kadavergehorsam seinem Lehrer und der Tradition
       gegenüber macht ihn zu einem der Totengräber dieser einst so relevanten
       Kunstform.
       
       Anders formuliert: Kunst kommt genauso wenig von Können wie von
       Nichtkönnen. Können kann bestenfalls helfen, Ideen umzusetzen. Viel Arbeit
       muss das nicht machen – ist ein Roman automatisch besser als ein Gedicht?
       Gute Kunst kennt keine Fleißkärtchen. Gute Kunst ist ungerecht. Gute Kunst
       schafft ihre eigenen Regeln und entzieht sich damit immer wieder der
       Definition. Wer das nicht verstanden hat, sollte besser Sportlerfilme
       drehen.
       
       19 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sven von Reden
       
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