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       # taz.de -- Experte über Legalisierung von Drogen: „Keine kriminellen Zombies“
       
       > In „Von Repression zu Regulierung“ fordert José Campero das Ende des
       > Kriegs gegen die Drogen. Dieser helfe vor allem der organisierten
       > Kriminalität.
       
   IMG Bild: Eine Frau inspiziert eine Hanfpflanze auf der ersten Cannabis-Messe in Uruguay. Das Land hat Marihuana 2014 legalisiert.
       
       taz: Herr Campero, wie groß ist Ihre Hoffnung, dass Ihre drogenpolitischen
       Vorschläge umgesetzt werden? 
       
       José Campero: Die politische Debatte über Drogenpolitik hat sich drastisch
       verändert. Vor vier, fünf Jahren gab es noch keinen weltweit bedeutenden
       Politiker, der eine Veränderung forderte. Heute gibt es in vielen Ländern
       solche Stimmen, und sie haben politischen Rückhalt. Auch wenn über die
       Details nicht immer Einigkeit herrscht: Die Forderung nach einem Ende des
       Paradigmas vom „Krieg gegen die Drogen“ wird immer lauter.
       
       Aber in der Politik hat sich das bislang nicht in Form von konkreten
       Veränderungen niedergeschlagen … 
       
       Doch – wenn auch nicht in dem Tempo, wie ich es mir wünschen würde. Aber
       wir machen heute konkrete Erfahrungen in einigen Bundesstaaten der
       Vereinigten Staaten und in Uruguay, wo die Legalisierung und Regulierung
       von Cannabis inzwischen durchgesetzt ist. Dazu kommen Erfahrungen mit der
       Legalisierung von Cannabis aus medizinischen Gründen, manchmal zunächst auf
       lokaler Ebene, in einigen weiteren Ländern.
       
       Zusammengenommen bedeutet das eine Bereitschaft zu einer Politik der
       Schadensreduzierung. Die kennen wir auch aus einigen europäischen Ländern
       als Teil der öffentlichen Gesundheitspolitik. Bislang aber war sie nicht
       mit der Forderung nach einer insgesamt veränderten Drogenpolitik verbunden
       – heute schon.
       
       Sie haben die Beispiele einer Liberalisierung von Cannabis genannt. Sie
       wollen aber auch Kokain und synthetische Drogen legal regulieren, doch
       darüber redet kaum jemand. 
       
       Man muss die politischen Verhältnisse berücksichtigen und Schritt für
       Schritt vorgehen, statt alles auf einmal zu fordern. Deshalb ist es
       richtig, mit Marihuana anzufangen – zumal das die weltweit am meisten
       konsumierte Droge ist, die dem organisierten Verbrechen auch die meisten
       Umsätze beschert. Von den rund 380 Milliarden Dollar Jahresumsatz mit
       Drogen entfallen mehr als 100 Milliarden auf Marihuana, gefolgt von Kokain
       mit rund 80 Milliarden und den Opiumderivaten. Ich hoffe, dass die
       Erfahrungen, die mit der Legalisierung von Marihuana gemacht werden, auch
       dazu führen, dass andere Drogen folgen.
       
       Wo liegen aus Ihrer Sicht die größten Hindernisse für eine grundlegende
       Veränderung der Drogenpolitik? 
       
       Einer der wirksamsten Mechanismen des Paradigmas vom „Krieg gegen die
       Drogen“ war es, uns allen die Vorstellung einzuimpfen, dass Drogen
       furchtbare, teuflische Wirkungen hätten. Als ob jeder, der einmal Drogen
       nimmt, sich automatisch in einen sozial abstürzenden kriminellen Zombie
       verwandeln würde. In Wirklichkeit betreiben mehr als 90 Prozent aller
       Drogenkonsumenten weltweit einen verantwortungsbewussten und kontrollierten
       Konsum. Mit diesen öffentlichen Vorurteilen gegen jede
       Legalisierungspolitik aufzuräumen, dürfte die schwerste und wichtigste
       Aufgabe sein. Da hilft nur geduldige Aufklärung über die tatsächlichen
       Gesundheitsrisiken – und über die unglaublichen Verdienstspannen, die die
       Prohibition in die Kassen des organisierten Verbrechens spült.
       
       Gibt es immer noch diese Angst von Politikern, als Förderer von
       Drogenkonsum angesehen zu werden, wenn sie sich für Reformen einsetzen? So
       wie ich als Vater ins Schwitzen komme, wenn ich meinen pubertierenden
       Söhnen erkläre, dass ich für die Legalisierung bin, aber dagegen, dass sie
       kiffen? 
       
       Genau so ist es. Politiker haben Angst, eine Wählerschaft aufzuklären und
       drogenpolitisch zu erziehen, wenn sie das die Wahl kosten könnte. Das ist
       ein strukturelles Problem. Es könnte Jahrzehnte dauern, aus diesem Dilemma
       herauszukommen.
       
       In Lateinamerika ist die neue Qualität der Debatte auch der extremen Gewalt
       des sogenannten Drogenkriegs geschuldet, die tatsächlich immer mehr als
       Ergebnis der Prohibitionspolitik verstanden wird. Aber wenn Veränderungen
       womöglich Jahrzehnte dauern, fällt doch die Idee weg, durch eine
       Legalisierung könnten die Kartelle entscheidend geschwächt werden – oder? 
       
       Die organisierte Kriminalität ist ein komplexes Organisationsgebilde, dass
       nicht ausschließlich vom Drogenhandel lebt, mitunter nicht einmal
       hauptsächlich davon. Insofern reduziert man mit einer Regulierung und
       Legalisierung zwar deren Einkünfte – es wäre aber eine Illusion zu glauben,
       sie würde dann verschwinden. Es kann sogar sein, dass sie, wenn ihr eine
       Einkommensquelle genommen wird, noch schneller andere Geschäftsfelder
       ausbaut, etwa Waffen- oder Menschenhandel.
       
       Dann kann der Kampf gegen die Einnahmequellen der Kriminellen aber nicht
       das Hauptargument für eine Legalisierung sein. Was sonst? 
       
       Es ist ein Argument – man darf nur nicht behaupten, dass damit die
       organisierte Kriminalität verschwinden würde. Aber wenn man Drogen
       legalisiert und staatlich reguliert, nimmt man damit einerseits der
       organisierten Kriminalität Einkünfte und schafft gleichzeitig selbst
       welche. Die kann man einsetzen – sowohl für Gesundheitspolitik als auch für
       einen intelligenten Kampf gegen das organisierte Verbrechen.
       
       2016 wird die lang geplante Sonderkonferenz der UN-Generalversammlung zur
       Drogenpolitik stattfinden. Gibt es denn von reformorientierter Seite klare
       gemeinsame Vorschläge? 
       
       Lateinamerika spricht bei diesem Thema leider nicht mit einer Stimme. Von
       Seiten einiger großer NGOs wird es Vorschläge geben, vor allem aus den USA,
       was das Thema Cannabis angeht.
       
       Es gibt eine Reihe sehr weitreichender Vorschläge, aber in den Erklärungen
       der lateinamerikanischen Regionalgipfel der letzten Jahre findet sich davon
       nichts wieder. Warum nicht? 
       
       Die Zivilgesellschaft ist der Politik um Längen voraus. Selbst die
       lateinamerikanischen Regierungen, die linken Ideen anhängen, sind
       mindestens in drei gesellschaftlichen Fragen unglaublich konservativ:
       Drogenlegalisierung, Homo-Ehe und legale Abtreibungen. Das ist nichts
       Neues: Die meisten Fortschritte kommen aus der Gesellschaft und müssen
       durchgekämpft werden. Nicht nur in Lateinamerika.
       
       15 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernd Pickert
       
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