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       # taz.de -- Sibs Shongwe-La Mer über Identität: „Zu schäbig, zu ghetto“
       
       > In „Necktie Youth“ porträtiert der südafrikanische Regisseur Sibs
       > Shongwe-La Mer reiche Jugendliche auf Sinnsuche in der HipHop-Kultur.
       
   IMG Bild: Die Protagonisten in Shongwe-La Mers Film „Necktie Youth“ suchen zwischen Rausch und Tod nach ihrem Leben.
       
       Treffen vor dem Berlinale Palast. Auf dem großen Bildschirm wird gerade die
       Pressekonferenz zu Wim Wenders’ Film „Every Thing Will Be Fine“ übertragen.
       Sibs Shongwe-La Mer trägt eine Winterjacke mit Rosenmustern, darunter einen
       rot-grünen Pullover, Röhrenjeans und bunte Sneaker. Die Piercings, die er
       im Film trägt, zieren nicht mehr sein Gesicht, dafür hat er einen kleinen,
       feinen Schnurrbart. In „Necktie Youth“ (Panorama) porträtiert der
       Filmemacher Jugendliche aus Sandton, einem Stadtteil von Johannesburg, der
       zu den reichsten Afrikas zählt. In Schwarz-Weiß erzählt er die Geschichte
       einer reichen Post-Apartheid-Jugend, gefangen zwischen Drogenrausch,
       Identitätsfindung und Tod. Es beginnt mit Emilys Suizid. 
       
       taz: Herr Shongwe-La Mer, in Ihrem Film „Necktie Youth“ sind alle Figuren
       reich und sprechen Slang. Ist das ein absichtliches Moment der Irritation? 
       
       Sibs Shongwe-La Mer: Ich war auch ein wenig besorgt deswegen, vor allen
       weil viele Witze im südafrikanischen Slang sind. Aber ein Teil der Textur
       des Films ist genau dieser lächerliche Jargon. Es war aber nichts, was ich
       aggressiv zu tun versuchte, sondern es hat im Kontext und in der Zeit Sinn
       ergeben.
       
       Gleichzeitig ist es auch eine Gegenüberstellung zum amerikanischen Kontext. 
       
       In Amerika gehört der Slang eher ins Ghetto, aber in Südafrika kommt die
       Ghettokultur per Internet in die Häuser der Reichen. Und dann geht es auch
       um Schuld. Die ganzen reichen schwarzem Jugendlichen wollen nicht elitäre,
       reiche Jugendliche sein, deswegen gibt es eine gewisse Anziehungskraft des
       „keepin’ it thug“. Es ist die Illusion, dass sie mehr „badass“ sind, als
       sie es dann wirklich sind.
       
       Viele der verwendeten Ausdrücke kommen ursprünglich aus einem
       US-amerikanischen Rap-Kontext. 
       
       Die Kultur in Afrika ist sich der globalisierten Rapszene durchaus bewusst.
       Ich wollte diese Art von „HipHop-Nigga-Kultur“ mit der afrikanischen Kultur
       zusammenprallen lassen. Das südafrikanische Kino ist ja in dieser seltsamen
       Nische gefangen. Es gibt nicht viele afrikanische Filme, die auch
       international funktionieren.
       
       Diese HipHop-Kultur saugen in Ihrem Film aber nicht nur die schwarzen
       Reichen auf. 
       
       Nein, auch die jüdischen jungen Frauen in dem Film sind in dieser Kultur
       gefangen. Aber genau dieser Zugang zur Kultur hat – wie ich finde – die
       Probleme mit „Race“ in meiner Generation demontiert. Heute gibt es weiße,
       jüdische junge Frauen, die Snoop Dogg hören und die Idee vom „coolen
       schwarzen Homie“ interessant finden. Eine weiße vorstädtische gehobene
       Mittelstandsklasse also, die sich auch für HipHop-Kultur interessiert.
       
       Neben Sandton zeigen Sie auch eine andere Seite Johannesburgs, fern der
       Mittelstandsklasse. 
       
       Ja. In Sandton sind sich zwar alle dessen bewusst, dass es diese andere
       Seite von Johannesburg außerhalb des Vororts gibt, aber man will da nicht
       hin, weil es ein furchtbarer Ort ist. Die gehobene Mittelschicht findet
       also die Kultur dieser anderen Welt einerseits super, aber irgendwie ist
       sie andererseits in der Realität dann doch zu schäbig, zu ghetto.
       
       Die Welt in Sandton scheint voller Drogen, Partys und Tod zu sein. 
       
       Ich wusste, dass das schockiert, aber ich wollte ein ehrliches Porträt
       einer von allem distanzierten Jugend aufzeichnen.
       
       Geht es Ihnen dabei eher um Realismus oder um Dystopie? 
       
       Für mich ist es realistisch und wahr, aber es ist wahrscheinlich ein
       bisschen von beidem. Die meisten Szenen stammen ja auch entweder aus meiner
       eigenen Erfahrung oder sind Geschichten, die ich von Freunden gehört habe.
       Das große Problem ist aber, dass wir nicht mehr kommunizieren. Jabz und
       September, die Hauptprotagonisten im Film, reden nur Müll miteinander.
       Hätten sie eine richtige Konversation, wäre ihre Welt eigentlich ein guter
       Ort, aber sie verlieren sich, sind einsam, weil es zwischen ihnen eben
       keine echte Verbindung gibt.
       
       In einer Szene des Films wird das sehr deutlich. September und Jabz sind
       Freunde, und September merkt, dass etwas mit Jabz nicht stimmt. Sie
       sprechen aber nicht darüber. Dann zeigen Sie die Protagonisten in einer
       Dokumentation im Film, in der die Figuren dann endlich offen reden und
       merken, dass sie die Leute um sich herum gar nicht kennen. 
       
       Jeder versucht, ein cooles Bild von sich zu kreieren. Ich hatte eine
       Freundin, die sich sich wie Emily im Film erhängt und es auch gefilmt hat.
       Das war also Realität für mich. Ich fühlte mich damals wie Jabz und dachte:
       Fuck, können wir mal normal reden, können wir uns bitte hinsetzen und
       diesen ganze Bullshit sein lassen. Ich bin eigentlich ein verletzlicher,
       sensibler Mensch, und es wäre schön, wenn ich als dieser Mensch anerkannt
       werden würde. Das alles wollte ich auch im Film reflektieren. Wir leben
       heute in einer Imagekultur, das wird immer deutlicher.
       
       Liegt es daran, dass Jugendliche das Gefühl haben, keinen großen Kampf mehr
       führen zu müssen? 
       
       Ich wollte über meine Generation vermitteln, dass es dieses Last der
       Vergangenheit gibt. Als wir geboren wurden, endete die Apartheid in
       Südafrika gerade. Der Spitzname meiner Generation in Südafrika ist „The
       Born Free“. Das Problem ist aber nicht, dass es keinen Kampf gibt, sondern
       eher, herauszufinden, wo man hingehört. Wir haben den bewaffneten Kampf
       gegen einen existenziellen getauscht. Diese Jugendlichen sollten eigentlich
       alles haben, sie sind reich, sind „born free“ und trotzdem hin- und
       hergerissen. Nenne ich mich jetzt einen schwarzen Zulu, wie mein Vater es
       tut, obwohl ich Röhrenjeans trage und Bon Iver höre? Ich wollte in meinem
       Film zeigen, wie diese Jugendlichen für einen eigenen Platz in der
       Gesellschaft kämpfen und dass sie es manchmal auf eine gefährlichen Art und
       Weise tun – entweder versuchen sie, durch einen Überrausch das Nirwana zu
       finden, oder sie sind vom Leben schon dermaßen erschöpft, dass sie sich
       erhängen.
       
       In „Necktie Youth“ kommentieren Sie auch die Politik Zumas, des aktuellen
       südafrikanischen Staatspräsidenten. 
       
       Viele Südafrikaner sagen zu mir: „Dein Film ist superpolitisch.“ Die
       Kommentare sind aber eher satirisch gemeint, weil das eben ist, worüber
       Südafrikaner ständig reden. Das einzige wirklich politische Statement war
       das zu Mandela.
       
       „Es gibt nur einen wie Mandela“, lassen Sie die Eltern von Jabz sagen,
       während im Wohnzimmer ein überdimensionales Porträt von Mandela hängt.
       
       Menschen schauen sich Zumas Politik an und sagen dann Dinge wie: „Unser
       Land geht zugrunde.“ Aber Politiker werden immer Politiker bleiben. Man
       kann nicht jeden ständig mit Mandela vergleichen. Es gibt eben nur einen
       wie ihn.
       
       Neben dem Politischen und dem Slang ist noch etwas auffällig. Es wird viel
       über das Internet geredet. Und dann zeigen Sie Emilys Suizid, den sie als
       Livestream überträgt. 
       
       Meine Generation ist immer im Netz, aber – und das ist wichtig – sie sind
       sich dieser Extreme und der Fixierung durchaus bewusst.
       
       Ihre Inszenierung des Suizid in dieser Szene hat etwas fast Poetisches,
       frei von Schuld oder Scham. Das ist sehr ungewöhnlich. 
       
       Es gibt bei Suizid immer dieses Stigma, aber ich sehe es eher als
       Statement. Es ist ein Kommentar. Natürlich ist es furchtbar. Als ich mit
       meiner damaligen Freundin sprach und sich die Idee des Suizids für sie
       festigte, war sie nicht verzweifelt, sie war eher ruhig. Es steckte zwar
       schon immer ein wenig Verzweiflung in ihr, aber es waren gleichzeitig ihre
       besten Monate. Ich war damals 15 Jahre alt und war mit ihren intensiven
       existenziellen Statements total überfordert. Viele Dinge, die sie mir
       damals sagte, kommen nun im Film vor. Es ging mir in „Necktie Youth“ eher
       um den Frieden des Todes als um die Brutalität.
       
       14 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Enrico Ippolito
       
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