URI: 
       # taz.de -- Kolumne German Angst: Die doch nicht!
       
       > Nette deutsche Frauen als NS-Täterinnen? Kann nicht sein. Oder doch? Aber
       > nur, wenn sie gewaltig einen an der Waffel haben.
       
   IMG Bild: Nicht mehr ganz dicht? Kate Winslet als ehemalige KZ-Wärterin Hanna S. in der Verfilmung von „Der Vorleser“.
       
       In den vergangenen Tagen machte ein Bild die Runde: eine alte Dame,
       freundlich lächelnd und mit grauem Haar. Erster Eindruck: sympathisch.
       
       Seit ein paar Tagen aber wird gegen Hilde Michnia ermittelt. Als Aufseherin
       im KZ Bergen-Belsen nämlich soll sie an einem Todesmarsch beteiligt gewesen
       sein; 1.400 der 2.000 Frauen starben. Schon 1945 war sie deshalb von einem
       britischen Militärgericht zu einem Jahr Haft verurteilt worden. Einem
       Journalisten des Hamburger Abendblatts, der sie in Hamburg aufgesucht
       hatte, sagte sie nur: „Ach, ich habe nichts gemacht, ich war nur in der
       Küche.“ Dann posierte sie lächelnd für den Fotografen.
       
       Seltsam, wie dieses Bild wirkt. Ganz anders als etwa die von John
       Demjanjuk. 2011 war der wegen Beihilfe zum Mord an 28.060 Menschen in
       Sobibor verurteilt worden. Der musste sich ganz anders bemühen, um als
       netter gebrechlicher Mann wahrgenommen zu werden – und scheiterte doch.
       Niemand nahm ihm seine Show ab, wie er da auf der Bahre im Verhandlungssaal
       lag.
       
       Aber die nette alte Frau? Das ist etwas anderes. Auch in Filmen und
       Literatur ist man längst auf die ganz andere Wirkung von Nazi-Frauen
       gekommen. Denn über sie erzählt sich eine Geschichte von Unschuld und
       Unzurechnungsfähigkeit.
       
       ## Täter normal, Täterinnen krank
       
       An Tätern schockiert, wie normal sie sind. Täterinnen aber müssen unnormal
       sein. Sie werden also als vollkommen neben der Spur dargestellt, haben
       nicht mehr alle Tassen im Schrank – und sind somit nicht so richtig
       verantwortlich für ihre Taten.
       
       Offensichtlich eine Voraussetzung um an der Rolle der Frau als Gebärerin
       der Nation festzuhalten, an ihrer prinzipiellen Unschuld und Güte.
       Täterschaft muss einfach ihrer Natur widersprechen. Beispiele für solche
       Inszenierungen sind zahllos: Magda Goebbels als Verrückte in „Der
       Untergang“ oder die KZ-Aufseherin Hanna in Bernhard Schlinks „Der
       Vorleser“, später verfilmt mit Kate Winslet.
       
       Und an die musste ich bei Michnias Geschichte denken. Denn Schlinks
       Protagonistin war eine Auschwitz-Wärterin, die Hunderte auf einem
       Todesmarsch verrecken ließ. Als sie doch vor Gericht landet, weiß sie nicht
       wie ihr geschieht – und schweigt.
       
       Aber für das Buch reicht das nicht. Die Geschichte muss in einen Rahmen
       persönlicher Unzulänglichkeit gestellt werden: Die Protagonistin unterhält
       also eine obsessive Beziehung zu einem Teenager, und am Ende kommt heraus,
       dass Hanna Analphabetin ist, kulturell also gewissermaßen unfähig. Ein
       schlauer Zug.
       
       ## Kollektiver Analphabetismus
       
       Moment, Déjà-vu. Nach 1945 wollte ja auch niemand etwas gewusst haben. Oder
       gelesen. Unterschrieben. Martin Walser etwa wird nicht müde zu betonen, er
       sei nie in der NSDAP gewesen – er hätte ja nichts unterschrieben. Klarer
       Fall von kollektivem Analphabetismus.
       
       Und also ist es auch die unmoralische Beziehung mit dem 15-Jährigen, die
       der Romanfigur Hanna letztlich zur Last gelegt wird. In den Massenmord ist
       sie eben so hineingerutscht. Etwas anderes hätte man der schüchtern
       lächelnden Hanna aka Kate aka Hilde, gegen Ende der Schlink-Verfilmung mit
       grauem Haar, auch nicht zugetraut.
       
       13 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sonja Vogel
       
       ## TAGS
       
   DIR Schuld
   DIR NS-Verbrechen
   DIR NS-Verbrechen
   DIR Später
   DIR Täter
   DIR Auschwitz
   DIR Synagoge
   DIR Schwerpunkt Pegida
   DIR Schwerpunkt Pegida
   DIR Christopher Clark
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR NS-Morde in Konzentrationslagern: Auch Frauen unter den Tätern
       
       Sie waren WegbereiterInnen des Massenmords. Trotzdem wurden
       SchreibtischtäterInnen der NS-Zeit lange nicht strafrechtlich verfolgt.
       
   DIR Kolumne German Angst: Die Neigungsdeutschen
       
       Empathiefähigkeit? Die reicht genau bis an die eigene Türschwelle und hat
       höchstens so Schrebergartenradius. Was bleibt, ist das Ressentiment.
       
   DIR Kolumne German Angst: Wie kamen die Toten ins KZ?
       
       Bisweilen erzählen Nazis, sie hätten von nichts gewusst. Die Worte, in
       denen sie sich nicht erinnern wollen, können einem den Schlaf rauben.
       
   DIR Neues Buch über Vernichtungslager: Effiziente Ausbeutung in Auschwitz
       
       Susanne Willems' neue Geschichte über Auschwitz zeigt, wie effizient
       Menschen in diesem Vernichtungslager ausgebeutet und verwertet wurden.
       
   DIR Kolumne German Angst: Wir nennen es „Israelkritik“
       
       Feuer auf eine Synagoge – kein Antisemitismus. Anschlag auf einen jüdischen
       Supermarkt – kein Antisemitismus. Die deutsche Logik ist relativierend.
       
   DIR Kolumne German Angst: Hauptsache Familienfrieden
       
       Wenn Ausländer gejagt und Flüchtlinge aus dem Land gewünscht werden, dann
       sind deutsche Befindlichkeiten Thema.
       
   DIR Kolumne German Angst: Guten Morgen, Abendland
       
       Ein alter Kampfbegriff ist wieder aufgetaucht. Einer, der verwendet wird,
       um Gruppen aus der Gemeinschaft auszustoßen.
       
   DIR Kolumne German Angst: Oh, diese Germans
       
       Der australische Historiker Clark zeigt: Die Deutschen wirken menschlich.
       Und ihre Nazi-Familien-Soaps sind zum Wohlfühlen.