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       # taz.de -- Diskussion um sichere Herkunftsländer: Strategien zur Abschreckung
       
       > Die Zahl der Asylanträge von Kosovaren steigt sprunghaft an. Quer durch
       > die Parteien fordern Politiker daher, Kosovo als sicheres Land
       > einzustufen.
       
   IMG Bild: In einer serbischen Polizeistelle: Flüchtlinge aus dem Kosovo, die über die Grenze nach Ungarn gelangen wollten.
       
       BERLIN taz | Die Zahl der Kosovaren, die nach Deutschland flüchten, steigt
       seit Monaten. Erst am Dienstag griff eine Streife der Bundespolizei an der
       Grenze zu Tschechien eine fünfköpfige Familie aus dem Kosovo auf, die im
       Fond eines Geländewagens nach Sachsen geschmuggelt wurde. Die beiden Fahrer
       des Wagens nahm die Polizei als Schleuser fest. Und am Wochenende wurden 49
       Erwachsene und zwölf Minderjährige aus dem Kosovo, die aus Ungarn nach
       München unterwegs waren, in Rosenheim aus dem Zug geleitet. Die meisten von
       ihnen stellten einen Antrag auf Asyl, die anderen wurden zurückgeschickt.
       
       Die Behörden registrieren auch einen Anstieg der Asylanträge aus dem Kosovo
       und Albanien. Allein im Januar dieses Jahres haben 3.630 Menschen aus dem
       Kosovo in Deutschland Asyl beantragt – im Januar 2014 waren es 555 gewesen.
       Aus Albanien stammten im Januar 1.648 Asylbewerber. Auch von dort kamen vor
       einem Jahr deutlich weniger Asylsuchende.
       
       Bayern plant deshalb eine Bundesratsinitiative, um auch Kosovo und Albanien
       zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären – so wie Serbien, Bosnien und
       Herzegowina sowie Mazedonien im vergangenen Herbst. Bayern erhofft sich
       davon eine abschreckende Signalwirkung.
       
       „Täglich verlassen derzeit etwa 1.000 Kosovaren überwiegend mit Bussen und
       Kleintaxis über Serbien ihr Land, um über Ungarn und Österreich nach
       Deutschland zu gelangen“, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann
       (CSU). Medien setzten dort offenbar gezielt Gerüchte in die Welt, „dass in
       Deutschland das süße Leben winkt“. Dies sei „skandalös“. Bayerns
       Sozialministerin Emilia Müller (CSU) wurde deshalb beauftragt,
       Asylbewerbern aus diesen Ländern, soweit möglich, statt Geld nur
       Sachleistungen zu gewähren.
       
       Auch der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes,
       Gerd Landsberg, findet, dass die Bundesregierung prüfen sollte, ob der
       Kosovo nicht als „sicheres Herkunftsland“ eingestuft werden könne. „Das
       würde sicher den Zustrom reduzieren“, sagte er.
       
       ## Zuständigkeiten und Formalia
       
       Der Asylexperte der SPD, Rüdiger Veit, reagierte verhalten auf diese
       Forderung. Nach den Asylregeln der EU sei Ungarn für die Flüchtlinge aus
       dem Kosovo zuständig. Dass das Land das Problem allein bewältigen könne,
       sei aber eine „Fiktion“. Darum müsse man über eine gerechtere Verteilung
       von Flüchtlingen in Europa sprechen, sagte er der taz.
       
       „Wenn die Zugangszahlen etwa aus dem Kosovo weiter so massiv ansteigen,
       haben wir ein echtes Problem“, findet aber auch Niedersachsens
       Innenminister Boris Pistorius (SPD). „Das hat auch mit Asyl nichts mehr zu
       tun, bei allem Verständnis für die Beweggründe der Menschen, die sich von
       dort auf den Weg machen.“
       
       Pistorius will die Asylverfahren für Bewerber vom westlichen Balkan
       beschleunigen, um die Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem Irak
       und Syrien nicht zu behindern. Die Innenminister der Länder wollen sich am
       Freitag in einer Telefonkonferenz beraten.
       
       ## Geschlossene Grenzen und mangelnde Perspektiven
       
       Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) möchte die Grenzen für
       Flüchtlinge aus dem Kosovo möglichst dichtmachen. Kosovaren brauchen ein
       Visum für Deutschland. Nach Auffassung der Gewerkschaft der Polizei (GdP)
       kann die Grenzpolizei die Massenflucht allein nicht stoppen. „Wenn die
       Menschen dort oft von weniger als 2 Euro pro Tag leben müssen und keinerlei
       wirtschaftliche Lebensperspektive haben, machen sie sich
       verständlicherweise auf den Weg in eine bessere Welt“, sagte Jörg Radek,
       Vorsitzender der GdP Bundespolizei.
       
       Bernd Mesovic von Pro Asyl spricht von einer „Auswanderungswelle der
       Frustrierten“. Anders als früher handele es sich dabei weniger um
       Angehörige von Minderheiten wie Roma, sondern vorwiegend um ethnische
       Albaner, sagte er. Die Wirtschaftskrise im Süden Europas habe die
       Kleinstaaten des Balkans besonders hart erwischt.
       
       „Es schmerzt uns, dass das jetzt instrumentalisiert wird, um die Liste der
       sicheren Herkunftsstaaten auszuweiten, wie es Teile der Union schon lange
       versuchen“, fügte Mesovic hinzu. Stattdessen sollte Europa mehr tun, um die
       Armut auf dem Balkan zu bekämpfen, und Möglichkeiten zur legalen
       Arbeitsmigration für Kosovaren schaffen.
       
       11 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Bax
       
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