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       # taz.de -- Twitter-Zeichner „meta bene“: Aphorisierende Antilopen
       
       > Als meta bene veröffentlicht Autor Robin Thiesmeyer täglich ein
       > Strichtierbild auf Twitter. Seine Figuren haben keine Münder, sagen aber
       > schöne Dinge.
       
   IMG Bild: @meta_bene: „Skizze für einen Spielfilm (90 Minuten)“.
       
       Am Anfang waren Schwärme. Käferschwärme. Dann kamen Pinguine, Fische,
       Raben, Schnecken, Antilopen und Flamingos. Stehend, kriechend, fliegend
       oder schwimmend, meistens zu zweit, manchmal allein, sagen sie nicht mehr
       als einen Satz in einem Bild.
       
       Obwohl diese aphorisierende Strichtierwelt nur aus wenigen Tuschestrichen
       besteht, können die Protagonisten darin auf zig verschiedene Weisen gucken.
       Sie schauen auf ein Tier herab oder himmeln ein anderes an. Sie machen
       traurige, erstaunte, fröhliche Gesichter, große Augen oder staunen mit
       offenen Mündern. Dabei haben diese Tiere weder Augen noch Münder, nicht mal
       Punkt, Punkt, Komma, Strich. Der lebendige Eindruck entsteht durch die
       Reduktion, das perfekt Unperfekte der Zeichnung und die kurzen und direkten
       Sätze, die so lässig dahingesagt sind wie es eben nur die lässigen
       Flamingos, Antilopen oder Schnecken unter uns können.
       
       „Eigentlich ist das alles abstraktes Viehzeug, das immer dieselben
       Bewegungen macht. Ich dreh nur den Schwung hin und her“, sagt der Schöpfer
       dieser Strichtierwelt. Er veröffentlicht seine Bilder unter dem Namen
       [1][meta bene auf Twitter]. Täglich eins. Als er anfing, gab es die
       Miniaturvorschau bei Twitter noch nicht. Die Zeichnung war nicht zu sehen,
       nur der Link. Deswegen dachte er sich zu jedem Bild einen Titel aus.
       „Manchmal sind die Zeichnungen sehr abstrakt und kriegen erst durch diese
       Zeile ihren Witz, manchmal eine zweite Ebene“, sagt er.
       
       ## Wie alte Freunde
       
       Unter dem Titel „Teamgeist“ zum Beispiel stehen sich zwei Antilopen
       gegenüber. Sagt die eine zur anderen: „Mach du dir Gedanken. Ich mach uns
       Drinks.“ In einem anderen Bild fragt die eine Schnecke: „Wieviel ich kennt
       man von sich?“ Denkt die andere: „Und wieviel du kommt dazu?“ Manchmal
       fliegen auch einfach nur Schwalben durch das Bild, die selten mehr als
       „Hui!“ sagen oder – öfter noch – denken.
       
       Man wäre gern immer in Gesellschaft dieser kleinen Dinger. Hat man sie
       einmal kennengelernt, will man ihnen Namen geben, weil sie einem trotz
       ihrer Gesichtslosigkeit so vertraut und lieb sind wie alte Freunde. Die
       Tiere heißen aber nicht, sehen nicht aus und machen auch keine
       Stammtischwitze. Mitunter sind es ganz traurige Tröpfe, die Nachdenkliches
       sagen, über das man trotzdem schmunzelt.
       
       Wer überhaupt als Twitterer wahrgenommen werden will, muss ständig
       Bescheidwisser-Links, irgendeine Meinung in Form eines flotten Spruchs oder
       einer literarischen Note, aber auf jeden Fall dauernd und sekundenaktuell
       „absetzen“. Doch meta bene kommentiert nichts. Nur ganz ausnahmsweise
       verarbeitet er einen politischen Anlass, das Twitter-Verbot in der Türkei,
       das Attentat auf Charlie Hebdo. 
       
       Seine Themen sind nicht die Großereignisse, die Politik, die Medien, die
       Kultur, seine Themen sind der Alltag, das Leben, die Fragen der
       Philosophie. Seine Miniaturen mit ihrem reduzierten Strich und ihren naiven
       Fragen und Antworten geben den abgehangenen Erwachsenen die großen
       Kinderaugen wieder zurück, die es ermöglichen, die Seltsamkeiten und
       Kompliziertheiten des Lebens äußerst seltsam zu finden, Fragen zu stellen,
       die die meisten Erwachsenen sich gar nicht mehr zu fragen wagen, weil die
       Antwort so selbstverständlich erscheint.
       
       Gelernter Zeichner ist meta bene nicht. Gelernter Schriftsteller schon.
       meta bene ist Robin Thiesmeyer, Absolvent der Hildesheimer Schreibschule.
       Schon in seiner Zwischenprüfung kombinierte er Comic-Strips mit Kurzprosa.
       „Ich habe in den Vorlesungen immer alles vollgekritzelt. Hätte ich das
       nicht getan, hätten mich die Vorlesungen tierisch gelangweilt“, erzählt er.
       Ein expliziter Tierfreund sei er aber nicht. „Im Seminar zu abstrakten
       Formen, Suprematismus und dem Geistigen in der Kunst hab ich irgendwann
       einfach angefangen, Tiere zu malen.“
       
       ## Nach Feierabend
       
       Es war Thiesmeyers ehemaliger Lehrer, der Hildesheimer Literaturprofessor
       Stephan Porombka, Herausgeber der Anthologie „Über 140 Zeichen“ und einer
       der Pioniere der deutschen Twitteratur-Szene, der ihm empfahl, meta bene
       als Tweets zu veröffentlichen.
       
       „Eine gewisse Intellektualität haben die [Tiere] schon, aber auf die Dauer
       wird das schnell nervig“, erzählt Thiesmeyer. Die Theoreme, die meta bene
       benutzt, muss man nicht kennen, um darüber zu schmunzeln. Es gibt kein
       Namedropping und keine Auskenner-Sprache. „Ich will mit Sprache so spielen,
       dass es Spaß macht, Sachen ausdrücken, die mit dem Kopf was machen, aber
       so, dass man es nach Feierabend versteht“.
       
       Auch als Autor hinter meta bene will Thiesmeyer gar nicht so sehr in
       Erscheinung treten. „Ich will nicht, dass sich Leute fragen, was Robin
       Thiesmeyer ihnen damit sagen will. Ich will ein ästhetisches, ein
       minimalistisches Programm“. Die Bilder sollen für sich wirken, meta bene
       kommentiert auch keine Kommentare unter seinen Tweets. „Sonst müsste ich
       den Witz ja erklären.“ Retweets werden nicht gegeben. „Diese Arroganz
       leiste ich mir.“
       
       meta bene entsteht mit Tuschpinselstift auf einem DIN-A4-Skizzenblock.
       Seine Arbeitsweise nennt er „japanische Technik“. So wie die Dynamik des
       Wassers auf einem japanischen Wasserfall-Kitschbild durch das Ufer erzählt
       werde, würde das weiße Papier durch die Anordnung der Tiere räumlich
       werden. Thiesmeyer scannt seine Bilder nicht ein, sondern fotografiert sie
       unter der Schreibtischlampe mit der Handykamera. „Wenn ein Tier oben links
       in die Ecke guckt, dann stelle ich die Lampe so hin, dass das Tier da
       reinguckt.“ Manchmal stecken zig Versuche dahinter, wenn der Fühler nicht
       so geworden ist oder die Schwalbe nicht als Schwalbe zu erkennen ist. Will
       jemand ein Bild kaufen, kalligrafiert Thiesmeyer es auf teurerem
       Sumi-e-Papier. Preise nennt er nicht. „Das ist Verhandlungssache.“
       
       Reden kann Robin Thiesmeyer. Er spricht eher leise, fast zurückhaltend,
       aber lange, pointiert und begeisternd. Den großen Roman aber hat er nie
       geschrieben. Über seine vergangenes Jahr bei Amazon erschienene
       Kurzgeschichte „Der Hallimasch“ hat sein Agent gesagt, dass da alles
       drinstecke und er einen Roman daraus machen soll. „Aber wenn da schon alles
       drin ist, was soll ich denn da noch dazuschreiben?“
       
       Als junger Literat war Thiesmeyer bei den wichtigsten Nachwuchswettbewerben
       geladen, dem open mike, dem „Häschenkurs“ in Klagenfurt. Den Druck, dass
       der erste Roman das große Ding werden muss, hielt er aber nicht aus. „Durch
       das Studium war das Reflexionsvermögen zu hoch. Ich konnte nicht mehr
       einfach so losschreiben.“ Heute liest er lieber Kurzprosa, Miniaturen wie
       Walter Benjamins „Einbahnstraße“. „In Romane komme ich nicht mehr rein,
       höchstens noch im Urlaub. Das Leben ist viel zu wechselseitig.“
       
       Kürzlich waren Thiesmeyers Schwärme auf großen Werbeflächen an einigen
       Berliner Bahnhöfen zu sehen. Die meisten Dranvorbeigeher nahmen davon
       wahrscheinlich kaum Notiz. Einem Buch, in dem man die sonderbar herzliche
       und intelligente Strichtierwelt von meta bene bereisen könnte, würde das
       nicht passieren. Der zeichnende Philosoph plant, seine Antilopen,
       Schnecken, Pinguine und Flamingos als einzelne Hefte herauszubringen.
       
       15 Feb 2015
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://twitter.com/meta_bene
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Doris Akrap
       
       ## TAGS
       
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