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       # taz.de -- Militärexperte über den Ukrainekonflikt: „Im Kalten Krieg gab es das nicht“
       
       > Wie sehen die Fronten in der Ukraine aus? Der russische Militärexperte
       > Alexander Golz über den Zustand beider Streitkräfte und mögliche
       > US-Waffenlieferungen an Kiew.
       
   IMG Bild: Ukrainische Kämpfer an ihrem Stützpunkt außerhalb von Debaltseve.
       
       taz: Herr Golts, welche Waffen benutzen beide Seiten im Ukrainekrieg? 
       
       Alexander Golts: Waffen aus sowjetischer Produktion. Darunter Panzer vom
       Typ T-72 und T-64, aber auch alte Truppentransporter. Auch das
       Mehrfachraketenwerfersystem Grad und dessen Weiterentwicklung Uragan.
       
       Ziemlich altes Eisen. Unterscheidet sich das Waffenarsenal auch? 
       
       Eigentlich nicht. Es wurde alles in der UdSSR hergestellt. Darin liegt die
       Besonderheit dieses Konflikts. Beide Seiten führen einen Krieg mit gleichen
       Waffen.
       
       Hat die Ukraine in den letzten Jahren neue Waffen in Russland gekauft? 
       
       Nein, denn bis zum jetzigen Konflikt waren die Rüstungsproduktionen der
       Ukraine und Russlands eng verwoben. Alle Waffen wurden in enger Kooperation
       zwischen den Rüstungsunternehmen beider Länder hergestellt. Wichtige Teile
       des ukrainischen Panzers Oplot etwa wurden bis zuletzt in Charkow und
       Russland gefertigt. 
       
       Die Ukraine war ein bedeutender Exporteur – heute auch noch? 
       
       Ukraines wichtigster Abnehmer war Pakistan. Das von der Ukraine verhängte
       Embargo hat der russischen Rüstungsindustrie wegen der gemeinsamen
       Produktion ziemlich zugesetzt. Allerdings ist die Ukraine davon selbst noch
       härter betroffen. Rüstungsgüter sind Kiews wichtigstes Exportgut.
       
       Reiben sich Rüstungsfirmen in Europa und den USA schon die Hände? 
       
       Die Ukraine kann sich westliche Waffen nicht leisten. Es geht eher um
       unentgeltliche militärische Hilfe und das ist dann schon eine andere Sache.
       Im Moment sind Lieferungen aber nur Gerüchte. Das Weiße Haus äußerte sich
       letzte Woche noch vorsichtig.
       
       Welche Folgen hätten Waffenlieferungen? 
       
       Das wird eine neue Konfrontation zwischen den USA und Russland einleiten.
       Im gesamten Kalten Krieg gab es dergleichen nicht: In Europa wird Krieg
       geführt, während Russland die eine und die USA die andere Seite
       unterstützen. Die Ausgangslage ist einzigartig. Auch früher kam es zu
       Konfrontationen zwischen der UdSSR und den USA, aber die Konfliktzonen
       lagen außerhalb Europas. Die Folgen einer solchen Auseinandersetzung
       vorherzusagen, ist unmöglich.
       
       Wenn die Waffenlieferungen mehr als nur symbolisch sein sollten, müssen die
       USA auch Militärberater entsenden. Das würde den Präsidenten, der
       verantwortlich ist für seine Soldaten, zusätzlich in die Pflicht nehmen.
       
       Halten Sie Lieferungen für wahrscheinlich? 
       
       Präsident Obama steht unter starkem Druck des Kongresses, der ihm vorhält,
       Russland gegenüber viel zu weich aufzutreten. Er muss handeln, vor allem
       wenn sich die Lage in der Ostukraine noch zuspitzt.
       
       Gibt es eindeutige Beweise für die Versorgung der Separatisten mit Waffen? 
       
       Für mich ist es ein großes Rätsel, dass es immer noch keine
       Satellitenaufnahmen gibt. Dafür könnte es zwei Gründe geben: Entweder
       überschätzen wir die Möglichkeiten des amerikanischen satellitengestützten
       Nachrichtendienstes und es gibt gar keine Bilder. Oder es fehlt am
       politischen Willen, weil die Veröffentlichung gefährlich wäre. Wenn eine
       Atommacht überführt wird, internationales Recht gebrochen zu haben. Welche
       Handlungsfreiheit bleibt da noch?
       
       Vermeidet Moskau deswegen noch die offene Intervention? 
       
       Sie ließe sich nicht verbergen und würde neue Sanktionen nach sich ziehen.
       Außerdem würde auch ein erfolgreicher Verlauf Opfer mit sich bringen, die
       sich vor der Bevölkerung nicht lange verheimlichen ließen. Deswegen hat
       Russland im Sommer Mariupol nicht mehr angegriffen. Außerdem ist da noch
       der russische Winter, der nicht zu groß angelegten militärischen Aktionen
       einlädt.
       
       Wie steht es um die Einsatzfähigkeit der russischen Armee? Wäre sie in der
       Lage so ein Husarenstück wie die Besetzung der Krim an beliebigem Ort
       durchzuziehen? 
       
       Die Armee wurde umstrukturiert, als es noch nicht darum ging,
       Nachbarstaaten zu besetzen. Sie sollte das eigene Territorium im Falle von
       lokalen Konflikten schützen. Die Veränderung staatlicher Politik führt auch
       zur Änderung des militärischen Aufgabenfeldes.
       
       Kann sie ihre Erfolge andernorts wiederholen? 
       
       Die erfolgreiche Krim-Operation ist Ergebnis der Reformen nach dem
       Georgienkrieg. Dennoch steht nicht die Krim für militärische Leistung.
       Überzeugender war die Verlegung großer Verbände innerhalb weniger Tage im
       Sommer an die russisch-ukrainische Grenze. Zwischen 40 und 50.000 Soldaten
       waren beteiligt. Die ukrainische Armee hatte keine Chance zu reagieren.
       
       Wo sehen Sie die Kehrseite der Reformen? 
       
       Das Konzept der Massenmobilisierung wurde aufgegeben. Verbände von 20.000
       Berufssoldaten reichen aus, um im postsowjetischen Raum schnelle Siege zu
       erzielen. Diese Verbände sind aber nicht für traditionelle Kriege geeignet.
       Dafür braucht man viel mehr Soldaten. Nicht zufällig sickern zurzeit
       Informationen durch, Wehrpflichtige würden zur Unterzeichnung langfristiger
       Verträge genötigt. Danach schickt man sie nach Rostow ins Grenzgebiet.
       
       Halten Sie es für möglich, dass die russische Armee in die Ukraine
       einmarschiert? 
       
       Ich will nicht ausschließen, dass sie wie im August einmarschieren, um ein
       bestimmtes militärisches Ziel zu erreichen. Zu einer längerfristigen
       Besatzung ist die russische Armee zurzeit jedoch nicht in der Lage.
       
       Wie steht es um die Kampfkraft der ukrainischen Armee? 
       
       Grauenhaft. 70 Prozent der Ausrüstung soll sie laut dem ukrainischen
       Präsidenten Poroschenko in den Kämpfen im Sommer verloren haben. Die
       ukrainischen Profisoldaten empfinden auch keine große Sympathie für die
       jetzige Regierung. Die frisch eingezogenen Soldaten verfügen nicht einmal
       über rudimentäre Kampferfahrungen. Die Armee wurde 25 Jahre lang nicht
       finanziert, sie ist macht- und kraftlos.
       
       9 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Klaus-Helge Donath
       
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