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       # taz.de -- Das „Kongo-Tribunal“ 3: Wie ein Bruegel’sches Bild
       
       > Regisseur Milo Rau dreht derzeit im Osten Kongos. Für die taz berichtet
       > er über seine Reise in ein kriegsgeplagtes Niemandsland.
       
   IMG Bild: Milo Rau im Kongo.
       
       Seit ich das erste Mal geflogen bin, habe ich eine Schwäche für
       Militärhelikopter: die Bänke, auf denen man sich gegenübersitzt, das
       Dröhnen der Rotoren, die langsamen Bewegungen des Körpers der Maschine.
       
       Vor allem aber mag ich es, dass alle Helikopterpiloten in Zentralafrika
       Russen sind. Früher, als ich öfter in Ruanda war, spielte ich mit ihnen bei
       „Chez Lando“ in Kigali Billard, und wir sprachen über die
       Tschetschenienkriege und die Trash-Romane von Limonow. Russische
       Militärpiloten, die in Zentralafrika stationiert sind, langweilen sich. Sie
       sind deshalb große Leser – und natürlich genauso große Zyniker.
       
       Vor ein paar Tagen brachte uns ein Helikopter der UNO vom ostkongolesischen
       Goma nach Walikale, einer malariaverseuchten Minenstadt im
       Bürgerkriegsgebiet. Walikale wurde das letzte Mal im Jahr 2013 ernsthaft
       geplündert, seither ist es verhältnismäßig ruhig, abgesehen von den
       üblichen Scharmützeln in den Wäldern rund um die Stadt.
       
       Besonders gefürchtet bei den hier stationierten pakistanischen UNO-Soldaten
       sind die Milizen des ehemaligen Geschäftsmanns Ntabo Ntaberi Sheka. Obwohl
       ein gesuchter Kriegsverbrecher, dem alttestamentarische Folterungen und
       Massenvergewaltigungen zur Last gelegt werden, ist er bei der einheimischen
       Bevölkerung beliebt. „Seine Forderungen sind unsere Forderungen“, sagt ein
       Sprecher der Minenarbeiter.
       
       ## Schürfrechte im Niemandsland
       
       Die Forderungen der Bevölkerung sind klar: Sie wollen ihre Schürfrechte
       nicht verlieren. Nahe Walikale liegt mit Bisie die bedeutendste Zinn- und
       Coltan-Mine des Kongo, zu Beginn des Jahrtausends lebten über
       hunderttausend Menschen vom Bergbau.
       
       Doch die einheimischen Schürfer wurden ab 2006 von einer Minenfirma
       vertrieben, unterstützt von der kongolesischen Armee. Zugleich
       Rückzugsgebiet der ruandischen Völkermordmilizen der FDLR, ist die Region
       heute eine Art Niemandsland.
       
       Gleich nach der Ankunft in Walikale treffe ich mich mit F., der 2009 mit
       Sheka die Miliz gegründet hat, aktuell gemäß Schätzungen die größte des
       Kongo. Die beiden waren Händler gewesen, kurze Zeit sogar Vertrauensmänner
       der Minengesellschaft, bis sie mit der Geschäftskasse durchbrannten und in
       den Wäldern verschwanden.
       
       Seither plündert Shekas Miliz regelmäßig die Depots seines ehemaligen
       Chefs. F. jedoch kehrte schon nach zwei Jahren im Rahmen einer Amnestie
       nach Walikale zurück: „Unsere Strategie entfernte sich immer weiter von
       dem, was wir ursprünglich geplant hatten.“ In anderen Worten: Mit der
       Robin-Hood-Phase war es schnell vorbei, Sheka begann auf eigene Rechnung zu
       plündern, immer häufiger auch die mit Arbeitslosen angefüllten Dörfer der
       Minenarbeiter.
       
       Denn die internationale Gemeinschaft reagierte auf die
       Auseinandersetzungen, wie sie immer reagiert: mit einem Handelsembargo, das
       erbarmungslos die lokale Mikroökonomie, nicht aber den illegalen Export ins
       Ausland zum Erliegen brachte.
       
       Die Minengesellschaft schmuggelt seither ihre Mineralien mit Helikoptern
       und Lastwagen außer Landes, Sheka schafft sie auf Trampelpfaden nach Ruanda
       und Uganda. Die hübschen Vignetten für „saubere Rohstoffe“ werden auf dem
       Schwarzmarkt verkauft – falls überhaupt noch jemand Wert auf die in
       Deutschland produzierten Siegel legt.
       
       ## Gewalt und Gegengewalt
       
       Der Fall Bisie, den wir vor dem „Kongo Tribunal“ verhandeln werden,
       vereinigt alle Paradoxien der kongolesischen Tragödie: Eine internationale
       Firma kauft in Kinshasa eine Konzession, worauf nach einigen halbherzigen
       Vermittlungsversuchen der Konflikt mit den Einheimischen ausbricht.
       
       Die arbeitslosen Minenarbeiter treten zu Tausenden in die Milizen ein, um
       sich mit der Kalaschnikow zu holen, was ihnen ihres Erachtens zusteht.
       Unsere Zeugenbefragungen unter den Einwohnern der Minendörfer, die wir für
       das „Kongo Tribunal“ in den vergangenen Tagen führten, zeigen ein
       Bruegel’sches Bild der Gewalt und Gegengewalt. Wer sich zu tief in den Wald
       wagt, wird vergewaltigt, entführt oder ermordet.
       
       Und als sich einmal einige Milizionäre nach einer Plünderung etwas zu sehr
       betranken, rächten sich die Dorfbewohner. „Wir haben sie mit Benzin
       übergossen und angezündet“, erzählt mir eine der vergewaltigten Frauen.
       
       Als der Helikopter wieder in Walikale landet, um uns abzuholen, hat sich
       ein Grüppchen pakistanischer UNO-Soldaten mit ihren Maschinenpistolen um
       den Flughafen postiert. In den Augen der jungen Soldaten stehen
       Ratlosigkeit, Angst, auch etwas Langeweile. Um das Bild zu komplettieren,
       fährt im Hintergrund ein Lastwagen mit Coltan oder Zinn vorbei, der
       offiziell natürlich nicht existiert. „Die Jungs können nicht mal sich
       selbst schützen“, meint der russische Helikopterpilot freundlich lächelnd.
       Alles weitere geht im Lärm der Rotoren unter.
       
       9 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Milo Rau
       
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