URI: 
       # taz.de -- Recycling & Konsumverzicht: Saubere Sache
       
       > Jeder macht Müll – in Deutschland fast 600 Kilo pro Jahr. Umweltschützer
       > würden gern des Entsorgungssystem revolutionieren und die Warenwelt dazu.
       
   IMG Bild: So sieht es Inneren einer Hamburger Müllverbrennungsanlage aus
       
       HAMBURG taz |Wer aus dem Norden über die Autobahn 7 Richtung Hamburg fährt,
       kann sie nicht übersehen: die Müllverbrennungsanlage Stellinger Moor. Seit
       Jahrzehnten wird hier ein großer Teil des Hausmülls aus der Hansestadt
       verbrannt. Es ist ein eigenartiger Willkommensgruß – aus der Vergangenheit.
       Die Anlage ist 41 Jahre alt, in diesem Sommer wird sie abgeschaltet. Die
       verantwortliche Stadtreinigung hat zwar eine neue Anlage übernommen, doch
       die schafft nicht so viel wie die alte. Insgesamt sinkt die Hamburger
       Müllverbrennungskapazität um ein Drittel. Das ist kein Problem, sagt
       Sprecher Andree Möller. Weil mehr getrennt wird, gibt es weniger Restmüll –
       und damit auch weniger Brennstoff für die Anlagen. „Unsere
       Recycling-Offensive zeigt Erfolge“, sagt Möller.
       
       Statistisch gesehen verursacht jeder in diesem Land etwa 600 Kilogramm
       Hausmüll im Jahr. Von diesen sogenannten Siedlungsabfällen werden im
       Schnitt 65 Prozent noch mal in den Kreislauf geschickt – recycelt.
       Insgesamt fielen 2012 in Deutschland über 380 Millionen Tonnen Abfall an.
       Lediglich 13 Prozent davon sind diese Siedlungsabfälle wie eben
       beispielsweise der Haus- oder Sperrmüll. Den weitaus größten Teil machen
       Bau- und Abbruchabfälle wie Steine oder Baggergut aus, doch die sind
       weitgehend unproblematisch.
       
       „Es muss so sein, dass Müllverbrennungsanlagen abgeschaltet werden!“, sagt
       Thomas Fischer von der Deutschem Umwelthilfe. Er beschäftigt sich bei der
       Umweltorganisation mit der Abfallwirtschaft. Es sei sinnvoller, Wertstoffe
       nicht weiter zu verbrennen, sondern sie wiederzuverwenden. Und das ist
       gesetzlich auch so festgeschrieben – mit zahlreichen Ausnahmeregelungen.
       Ginge es nach der Deutschen Umwelthilfe und anderen Umweltorganisationen,
       würden noch viel mehr Müllverbrennungsanlagen abgeschaltet werden – sie
       schafften Überkapazitäten und drückten die Preise für die Entsorgung,
       sodass es unattraktiv werde, komplizierte Produkte oder auch nur
       Verpackungen zu trennen.
       
       ## Müllverbrennung als "Ergänzung"
       
       Nicht ganz so eindeutig sehen das die Anlagenbetreiber, die oft im Verband
       Kommunaler Unternehmen organisiert sind: Der argumentiert, dass nicht alle
       Abfälle recycelt werden könnten, „schon gar nicht unter
       Nachhaltigkeitsaspekten hochwertig“ – etwa bei Stoffen aus mehreren
       Materialien. Außerdem würden auch beim Recycling Reste bleiben, die am Ende
       verbrannt werden müssten. Für den Verband bleibt die Verbrennung eine
       „Ergänzung“ zum Recycling.
       
       Viele der Müllverbrennungsanlagen werden wohl noch eine ganz Weile laufen.
       Ein großer Teil sei in den 80er-Jahren und bis Anfang der 90er-Jahre gebaut
       worden, sagt Fischer. Da hätte man in der Diskussion gerade das Zeitalter
       der Deponien hinter sich gelassen. Offiziell verboten wurde die Deponierung
       biologisch abbaubarer Abfälle erst 2005 – auch aus Gründen des
       Klimaschutzes. Verbrennung galt eine Zeit lang als Schritt nach vorn in der
       Abfalldiskussion. Doch gewann die Idee der Kreislaufwirtschaft an Zulauf –
       die Überzeugung, dass es sinnvoller ist, die Rohstoffe wiederzuverwerten
       anstatt sie zu verbrennen. Doch da waren viele Verbrennungsanlagen schon
       gebaut, andere schon geplant. „Es stehen noch Anlagen, die noch nicht
       abgeschrieben sind“, sagt Fischer. Zehn bis 15 Jahre würden viele der
       Verbrennungsanlagen auf jeden Fall noch aktiv bleiben, wenn sich nichts
       ändert .
       
       Auch wenn die Recycling-Quote von 65 Prozent im internationalen Vergleich
       ziemlich gut ist, wollen die Umweltverbände mehr erreichen. Mehr Recycling
       und – vor allem – weniger Müll. Denn bei der Müllmenge ist Deutschland
       nicht so ein Vorzeigeland. So ärgert sich Rolf Buschmann vom BUND immer
       dann, wenn Produkte nicht auf Langlebigkeit designt wurden: wenn einzelne
       billige Bauteile die Lebensdauer einschränken oder wenn Akkus in Handys
       verklebt sind und sich nicht so einfach herausnehmen lassen. Buschmann
       sieht die Produktentwickler in einer besonderer Verantwortung. Wenn sie
       schon kaputt gehen müssten, sollten die Produkte wenigstens reparierbar
       sein, findet er. „Hersteller sollten mehr auf die Qualität achten als auf
       den Preis.“
       
       ## Die Idee des "Cradle to Cradle"
       
       Damit geht er in eine ähnliche Richtung wie die Vordenker des „Cradle to
       Cradle Design“-Ansatzes, in Hamburg etwa Michael Braungart vom dortigen
       Umweltinstitut. Nach ihnen sollen Produkte von Anfang an für die
       Wiederverwertung konzipiert werden – „Von der Wiege wieder zur Wiege“.
       Gifte darf es in den Produkten genauso wenig geben wie Verklebungen. Das
       Versprechen der Entwickler: Wenn die Produkte konsequent so gestaltet
       werden, ist kein Verzicht nötig.
       
       Doch klar ist auch: Es geht auch um den Einzelnen. Es wäre hilfreich, wenn
       jeder weniger Müll macht – weniger Wegwerfartikel kauft und nutzt. Oder
       beim Einkaufen darauf achtet, möglichst wenig Verpackungsmüll zu
       verursachen.
       
       Solche Leute möchte Marie Delaperrière in ihren Kieler Laden „Unverpackt“
       locken. Sie verkauft Essbares und Reinigungsmittel aus großen Gebinden.
       Jeder kann so viel kaufen, wie er benötigt, bringt seine eigenen wieder
       benutzbare Verpackung mit – oder kauft die auch gleich im Laden. Bezahlt
       wird nach Gewicht.
       
       ## Überkonsum nervt
       
       Überkonsum, Lebensmittelverschwendung, überflüssige Plastikverpackung
       hätten sie genervt, erzählt Delaperrière. Deshalb gründete sie das
       Geschäft. Zuvor war sie Projektmanagerin in einem großen
       Logistikunternehmen. „Der Anreiz war nicht das Wirtschaftliche, das war
       Idealismus“, sagt sie. „Mein Ansatz war, etwas Besseres auf die Beine zu
       stellen.“
       
       Jetzt gibt es im „Unverpackt“ auf 80 Quadratmetern Verkaufsfläche
       Mandelkerne, Möhren und Maisgries. Aber auch Spirituosen wie Grappa und
       Waschmittel können sich die Kunden abfüllen. Die Preise bewegen sich
       irgendwo zwischen Supermarkt und Bioladen.
       
       Das Konzept kannte Delaperrière aus Frankreich, ähnliche Modelle gibt es
       auch in Italien und den USA. Doch sie war die erste, die ausschließlich
       unverpackte Waren in Deutschland verkaufte. Kurz danach machten
       vergleichbare Läden in Berlin und Bonn auf. Im März soll der nächste in
       Dresden folgen.
       
       Viele Medien haben über das neue Kieler Geschäft berichtet, doch finanziell
       trägt es sich noch nicht. Während es an Samstagen oft sehr voll ist, geht
       es an Werktagen wellenweise – es kann passieren, dass 45 Minuten lang
       niemand kommt. Delaperrière beschäftigt drei Mini-Jobber, weitere
       Angestellte gibt es nicht.
       
       Gerade ist Delaperrière mit ihrem Laden umgezogen, weg von einer beliebten
       Kieler Einkaufsstraße mit ihrer Laufkundschaft, die oft nur kleine Einkäufe
       macht. „Es war zu früh für einen zweiten Laden“, sagt Delaperrière. In der
       Anfangseuphorie hatte sie darüber nachgedacht, schnell zu expandieren,
       vielleicht ein Franchise-System aufzubauen.
       
       Inzwischen glaubt sie, dass so etwas nicht passt. Jetzt träumt sie von
       vielen kleinen Läden in einer Stadt. In jedem Viertel einer.
       
       8 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Kummetz
       
       ## TAGS
       
   DIR Müll
   DIR Recycling
   DIR Abfallentsorgung
   DIR Konsumkritik
   DIR Recycling
   DIR Hamburg
   DIR Gesetzentwurf
   DIR Ökologie
   DIR Müll
   DIR Umweltschutz
   DIR Müll
   DIR Nachhaltigkeit
   DIR Kreislaufwirtschaftsgesetz
   DIR EU-Regelungen
   DIR Recycling
   DIR Verbraucher
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Gleichberechtigung
   DIR Müllabfuhr
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Cradle-to-Cradle-Kongress in Lüneburg: T-Shirt im Kompost
       
       Wie kann die Wirtschaft auf Recycling umgestellt und die invasive Spezies
       Mensch nützlich werden? Dies wollte der Cradle-to-Cradle-Kongress klären.
       
   DIR Müllvermeidung in Hamburg: Abfallplan für die Tonne
       
       Der Umweltverband BUND kritisiert den Entwurf der grün geführten
       Umweltbehörde. Die Recyclingquote Hamburgs müsse deutlich erhöht werden.
       
   DIR Kritik an neuem Verpackungsmüll-Gesetz: Und wohin mit der alten Barbie?
       
       Kein Schutz für Mehrweg, keine bundesweite Wertstofftonne: Der Entwurf des
       Verpackungsgesetzes ist ein Rückschritt, sagen die Umweltverbände.
       
   DIR Neue Vorgaben für Ökowaschmittel: Kipp mehr rein, Vati, kipp mehr rein!
       
       Der Bio-Naturwarenhandel hat sich einen höheren Standard für Wasch- und
       Reinigungsmittel auferlegt. Doch das bringt neue Probleme.
       
   DIR Müll im Meer: Plastik erreicht die Arktis
       
       Kunststoffmüll schwimmt auf der Wasseroberfläche der arktischen Gewässer.
       Das Treibgut könnte aus einem neu entstehenden Müllstrudel stammen.
       
   DIR Verbrauch von Verpackungsmüll steigt: Die Gurke mit Extrafolie
       
       Trotz Recycling gibt es immer mehr Verpackungsmüll. Schuld daran: der
       Onlinehandel, kleinere Haushalte und Food to go.
       
   DIR Innovationscamp „Proof of concept 21“: Zukunft selbstgemacht
       
       Junge Tüftler entwickeln in einem französischen Innovationscamp
       umweltschonende Produkte – Ökoräder und Kreislaufduschen.
       
   DIR Hamburg beim Recycling Schlusslicht: Burn out am Volkspark
       
       Immerhin: Die Müllverbrennungsanlage Stellinger Moor hat dichtgemacht. Der
       Müllofen in Stapelfeld soll in zwei Jahren folgen.
       
   DIR Spiel für nachhaltigen Konsum: Daddelnd die Welt verändern
       
       CO2 für das Spiel, Rabatte für den Nutzer: Die App „Ökogotschi“ bietet
       umweltbewussten Unternehmen eine Werbeplattform.
       
   DIR Ölpreis mit Nebenwirkungen: Billigöl schreddert PET-Recycling
       
       Weil Kunststoff billiger neu herzustellen als zu recyceln ist, wackelt das
       fortschrittlichste PET-Sammelsystem Europas. Wie lange halten die Firmen
       stand?
       
   DIR Kommentar EU-Regeln für Plastiktüten: Das Symbol der Müllgesellschaft
       
       Der Vorstoß der EU, der zu geringerem Verbrauch führen soll, ist erst
       einmal richtig. Leider tritfft er trotzdem nicht den Kern des Problems.
       
   DIR Abfallmanagement und Big Data: Die twitternde Mülltonne
       
       Aktive Sensoren in Abfallbehältern können helfen, die Umwelt zu schonen.
       Aber ganz ungefährlich ist die neue Technologie nicht.
       
   DIR Umweltgerechte Verpackungen: Bio-Getränk aus der Bio-Flasche
       
       Kunststoffe aus biologisch abbaubaren Rohstoffen gelten als Alternative zu
       Plastik. Ein Onlinetool will nun informieren. Doch ist das Material okay?
       
   DIR Industriedesigner über „Cradle to Cradle“: „Die Natur lebt von Verschwendung“
       
       Konsum ohne schlechtes Gewissen verspricht das Konzept „Von Wiege zu
       Wiege“. Der Designer Michael Braungart erklärt, warum die Moral des
       Verzichts unötig ist.
       
   DIR Allein unter Männern: Die Müllfrau
       
       Anja Roggendorf arbeitet in der Abfallwirtschaft. Seit zwei Jahren ist sie
       die einzige Bremerin, die auf einem Müllfahrzeug arbeitet.
       
   DIR Abfallwirtschaft zurück in Staatshand?: Sachverstand auf dem Müll gelandet
       
       Bremen könnte die Müllabfuhr nach 20 Jahren entprivatisieren. Aber mit dem
       Einfluss ist auch die Expertise dafür verloren gegangen.