URI: 
       # taz.de -- Kultgeschäft in Charlottenburg macht zu: Resterampe für Intellektuelle
       
       > Am Wochenende schließt der Zweitausendeins-Laden in der Kantstraße, der
       > 1990 zu den ersten Großstadtentdeckungen unserer Autorin gehörte. Ein
       > letzter Besuch.
       
   IMG Bild: War auch einer der Lieblinge der 2001-Verkäufer und -Kunden: Frank Zappa.
       
       In den breiten Schaufenstern des Zweitausendeins-Ladens in der Kantstraße
       scheint die Zeit stehen geblieben: Comics aus den Neunzigern von „Fritz the
       Cat“-Schöpfer Robert Crumb, Douglas Adams’ „Per Anhalter durch die Galaxis“
       werden angepriesen, daneben DVDs von Jazz-Größen im Livekonzert und die
       Edition „Der deutsche Film“. Nur die Plakate auf den Glasscheiben stören
       die Retrostimmung: „Räumungsverkauf wg. Geschäftsaufgabe, 30 % auf alles!“
       Jetzt bleibt nur noch der Laden in der Friedrichstraße. Und die „größte
       Filiale“ im Internet. Zum 7. Februar ist jedenfalls der
       Zweitausendeins-Laden im Herzen der City-West Geschichte – und damit auch
       ein Teil meiner ersten (West-)Berlin-Erfahrungen.
       
       1990 war das Jahr, in dem ich, 16-jährig, zum dritten Mal die Sommerferien
       in Berlin verbrachte. Diesmal kam ich nicht mehr als staunendes bayerisches
       Landei, sondern gewissermaßen als Eingeweihte. Dank meiner Zehlendorfer
       Freundin wusste ich, dass es am Tauentzien die billigsten Pali-Tücher gab,
       sich im Schwarzen Café unglaublich coole Studenten trafen – und dass es
       sich lohnte, mit dem Döner-Mann auf der Kantstraße zu flirten: Dann gab es
       triefsüße Baklava.
       
       1990 also steuerten wir gleich am ersten Tag meines Besuchs die Kantstraße
       an. Erst der obligate Döner, dann das Programm des „Schlüter“-Kinos an der
       Ecke Schlüter-/Pestalozzistraße studiert. Schnell noch bei Condomi rein und
       kichernd „Glow in the Dark“-Kondome gekauft (der Film „Skin Deep“ war
       damals ein großer Hit). Und dann: natürlich zu Zweitausendeins! Und erst
       sehr viel später, mit ausgebeulten Taschen und nach ausgesprochen
       unterhaltsamen Beratungsgesprächen, wieder raus.
       
       Zweitausendeins, das war Trash, linke Gegenkultur und klassische Bildung.
       Alles durcheinander, gestapelt in einem engen, weißen Ladenlokal. Alles für
       wenig Geld. Dort, in der Kantstraße, entdeckte ich Romane von Boris Vian,
       Fritz the Cat, hortete Lou-Reed-Schallplatten, Eckhard-Henscheid-Schwarten
       zum Vorzugspreis. Schon im Vorraum des Kant Kinos, bevor der Film losging,
       beugten wir uns über das Merkheft – das eng bedruckte
       Zweitausendeins-Programm, das Orientierung versprach im weitläufigen
       Sortiment zwischen verramschten Klassikern, musikalischen Kuriosa und
       linkem Szenezeug.
       
       An diesem Mittwochabend stehen in der Kantstraße zwei traurige Menschen in
       übergroßen Wollpullis, ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. Stumm
       kassieren sie, ebenso stumm, beinahe betreten, wandelt eine Handvoll Kunden
       durch die kläglichen Reste. Die Musik ist längst weg, es bleiben wenige
       Bücher, aber viele Filme übrig. Jetzt muss alles raus. Auch der Schund, die
       3-CD-Box „Folklore der Anden“ oder „Weihnachten mit Horst Blue“.
       
       „Das war’s jetzt also“, sage ich zu dem Verkäufer, der stumm meine Ausbeute
       in eine Tüte packt. Er nickt abwesend. „Hier habe ich mir schon vor 24
       Jahren die Taschen vollgepackt“, plappere ich weiter, weil mir nichts
       Besseres einfällt. „Und danach immer ins Kant Kino, oder ins Schlüter.
       Gibt’s ja auch schon lang nicht mehr.“ Er sieht mich an. „Tja“ – sagt er
       langsam und richtet sich auf. „Aus die Maus. Willste ’nen Schuber?“
       
       Mit einer Handvoll DVDs im schwarzen Pappschuber trete ich wieder hinaus
       auf die Kantstraße. Der Döner hat einem Vietnamesen Platz gemacht, und wo
       früher Condomi war, schütteln Touristen Bettdecken aus dem Fenster ihrer
       „Berlin Appartements“. Ob der schrabbelige Erotikladen an der Ecke
       Leibnizstraße früher schon da war, weiß ich nicht mehr. 1990 ist eben schon
       sehr lange her.
       
       7 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nina Apin
       
       ## TAGS
       
   DIR Berlin
   DIR Schließung
   DIR Subkultur
   DIR Bremen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Neustart des legendären März-Verlags: Gute Literatur gehört abgeschafft
       
       Der März Verlag war einst wichtiger Umschlagplatz der Gegenkultur und der
       hedonistischen Linken. Nun feiert er seine Wiederauferstehung.
       
   DIR Comics ohne Inhalt: Keine Helden, keine Monster​
       
       Abstrakten Comics gelingt das paradoxe Kunststück, Geschichten zu erzählen,
       die keinen Inhalt haben. Ein entblößtes Medium findet​ zu sich.