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       # taz.de -- SPD lässt Flüchtlinge hängen: Humanisierung ausgeblieben
       
       > Beim Umgang mit Flüchtlingen funktioniert kaum mehr als die
       > Notunterbringung. Das Handeln des SPD-Senats prägt zu wenig politischer
       > Mut.
       
   IMG Bild: Werden oft vernachlässigt: Flüchtlinge, hier bei einer Demo vor dem Hamburger Rathaus.
       
       Mit der Personalie verbanden sich Hoffnungen. Als die Grüne Johanna
       Westphalen im September 2012 auf Initiative von Innensenator Michael
       Neumann (SPD) den Leiter des für die Duldung oder auch Abschiebung von
       Flüchtlingen zuständigen Einwohnerzentralamtes, Ralph Bornhöft, beerbte,
       schien dass ein Signal zu sein: für einen liberalen Umgang des neuen Senats
       mit Asylsuchenden. Aber die Humanisierung blieb aus: Auch unter neuer
       Führung werden Flüchtlingsfamilien auseinandergerissen und in Krisengebiete
       zurückgeschickt.
       
       Dabei spielt es kaum eine Rolle, ob die Migranten krank oder traumatisiert
       sind, ob die Familien sich gut in Hamburg integriert oder in ihrem
       Zukunftsland auch nur irgendeine Zukunft haben. Im Gegenteil: Amtsvorgänger
       Bornhöft suchte zumindest in drastischen Einzelfällen persönlich nach einer
       humaneren Lösung, seine Behörde rief selbst einmal die Härtefallkommission
       an, wenn ihr durch das Ausländerrecht die Hände gebunden schienen.
       Westphalen dagegen hält sich aus dem Tagesgeschäft fast vollständig heraus.
       
       Ermessensspielräume bleiben so ungenutzt, Abwägungsentscheidungen werden
       meist zu Ungunsten der Betroffenen getroffen, besonders gegenüber Roma gilt
       eine harte Linie. Da sind sich nicht mal mehr die Grünen und ihre
       Parteifreundin an der Behördenspitze noch grün.
       
       „Wer einen Schulabschluss macht oder eine existenzsichernde Arbeit hat,
       soll damit auch einen sicheren Aufenthaltsstatus erwerben können“, macht
       Bürgermeister Olaf Scholz das Aufenthaltsrecht von der jeweiligen
       Integrationsleistung abhängig. Der SPD-Bürgermeister wirkte auch in den
       Berliner Koalitionsverhandlungen daran mit, dass Asylsuchende schneller
       Arbeit aufnehmen und Kinder von Eltern mit unsicherem Aufenthaltstitel
       durch einen Schulabschluss eine gesicherte Perspektive in Deutschland
       bekommen können.
       
       Unabhängig davon, dass Scholz’ Credo von der Hamburger Realität noch weit
       entfernt ist: Sein Machtwort bedeutet im Umkehrschluss, dass in Hamburg
       keine Zukunft hat, wer nicht arbeiten kann – und sei es, weil er krank ist
       oder keinen Job findet – oder in der Schule nicht die nötigen Leistungen
       bringt.
       
       Streng nach Recht und Gesetz, niemals aber mutig, couragiert gar den
       Konflikt mit den Regeln suchend, die geschaffen wurden, um möglichst wenig
       Flüchtlinge in diese Gesellschaft zu lassen – so lautet die Maxime der
       SPD-Regierung. Auch im Fall der überregional bekannt gewordenen
       Lampedusa-Flüchtlinge verweigerte der Senat eine politische Lösung, aus
       Angst vor einem Präzedenzfall. Eine mögliche, wenn auch rechtlich
       umstrittene, vom Wohlwollen des Bundesinnenministeriums abhängige
       Gruppenlösung für die Flüchtlinge etwa lehnte Hamburg ab.
       
       So müssen die erst in Lampedusa und schließlich in Hamburg Gestrandeten
       über Jahre in einem ungeklärten Aufenthaltsstatus ohne Perspektive
       verharren. Unter der Hand stellte man seitens des Senats allenfalls in
       Aussicht, das ein Teil der Gruppe nach Jahren der Ungewissheit und genauer
       Einzelfallprüfung bleiben könnte, weil in der Zwischenzeit
       „Integrationstatbestände“ geschaffen wurden: durch die Aufnahme von Arbeit
       oder eine Heirat.
       
       Spät erkannte der Senat, wie viele Unterkünfte er neu schaffen muss, damit
       immer mehr Flüchtlinge ein Dach über dem Kopf haben. Nach
       Anlaufschwierigkeiten meisterte er die Aufgabe zwar, schaffte viele Plätze,
       indem er bei deren Standards Abstriche machte – aber auch bei der
       Mitsprache betroffener Anwohner.
       
       Zwar sind die Winterquartiere in Hamburg erst einmal gesichert, dauerhafte
       Lösungen für die Zukunft aber gibt es kaum: Viele Flüchtlinge werden
       bleiben, müssen in den Arbeitsmarkt integriert werden, und das nicht nur
       irgendwie, brauchen vernünftigen Wohnraum statt Lagerprovisorien. Hier gibt
       es großen Nachholbedarf, den die Stadt schnellstens decken muss, will sie
       soziale Spannungen vermeiden. Sonst ist die in großen Teilen der hiesigen
       Bevölkerung vorhandene Willkommenskultur in ernsthafter Gefahr.
       
       5 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marco Carini
       
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