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       # taz.de -- Pädagogin über Sex-Aufklärung in Schulen: Teenager-Liebe
       
       > Sollen Lehrer mit Schülern über Analverkehr, Sexting und Pornografie
       > sprechen? Pädagogik sollte aufgreifen, was Schüler bewegt, so Elisabeth
       > Tuider.
       
   IMG Bild: Spaß mit lustigen Würmchen. Fortschrittliche Sexualpädagogik zeigt wie
       
       taz: Frau Tuider, der Landtag in Niedersachsen hat kürzlich beschlossen,
       sexuelle Vielfalt in der Schule zu thematisieren. Ist Niedersachen
       aufgeklärter als Baden-Württemberg, wo es dagegen massiven Widerstand gibt? 
       
       Elisabeth Tuider: Wir beobachten derzeit bundesweit eine intensive Debatte
       zur sexuellen Vielfalt und Sexualpädagogik. Im Gegensatz zu Berlin, wo
       sexuelle Vielfalt schon seit Jahren im Bildungsplan verankert ist, wird das
       in anderen Bundesländern heftig diskutiert. Aus Sicht der Pädagogik ist
       ganz klar: Vielfalt existiert, deswegen ist sie auch in der schulischen und
       außerschulischen Bildungsarbeit zu berücksichtigen.
       
       Für Ihr Buch „Sexualpädagogik der Vielfalt“ bekommen Sie seit einiger Zeit
       Morddrohungen. Was haben Sie an der 2012 erschienenen 2. Auflage gegenüber
       der Erstauflage von 2008 verändert, dass es solche Wellen schlägt? 
       
       Das ist mit der Auflage nicht erklärbar. Sondern eher mit allgemeinen
       Angriffen auf Sexualpädagogik und Geschlechterforschung. Teil der
       sexistischen, homo- und transphoben sowie rassistischen Attacken ist es,
       dass nicht mehr oder nur über einen auserwählten Aspekt von Sexualität
       gesprochen werden soll.
       
       Über welchen? 
       
       Über Heterosexualität in der Ehe, um Kinder zu zeugen. Zudem wird
       Geschlechterforschung vielfach als Angriff auf Männer denunziert. Und
       Sexualerziehung in der Schule, das heißt das Sprechen über Sexualität, wird
       fälschlicherweise als Sexualisierung von Jugendlichen interpretiert.
       
       Die Anfeindungen richten sich explizit gegen Sie und Ihr Buch. 
       
       Das hat Methode. Vor allem Frauen, die geschlechterpolitische Inhalte
       thematisieren, sind vielfach Beleidigungen und Bedrohungen ausgesetzt. Auf
       diesen Cybersexismus hat kürzlich auch die Gleichstellungsministerkonferenz
       hingewiesen. Die Bedrohungen gehen von Menschen aus, die denken, dass sie
       von neuen Lebensentwürfen umzingelt seien, die ihnen die Macht streitig
       machen.
       
       Die Menschen sind zufällig auf Ihr Buch gestoßen und empören sich nun
       darüber? 
       
       Nein, der Ursprung ist in Blogs und Foren zu suchen, die im weitesten Sinne
       rechtskonservativen Kreisen um die AfD zuzuordnen sind. Außerdem gab es
       2012 weder eine Buchpräsentation noch irgendetwas, das Aufmerksamkeit auf
       das Buch gelenkt hätte. Es gab damals auch keine Anrufe und Briefe
       besorgter Eltern. Die derzeitigen Darstellungen des Buchs haben nichts mit
       den fachlichen Debatten zu tun.
       
       Ihr Buch wird nun missbraucht für fragwürdige Bestrebungen? 
       
       Zumindest scheint es nur allzu gut als Angriffsfläche für ein politisches
       und mediales antifeministisches Klima zu funktionieren. Und für Parteien
       wie die AfD und Gruppierungen wie Pegida, die bewusst Vorbehalte gegenüber
       Vielfalt schüren wollen.
       
       Die Ängste sind offensichtlich da, sonst würden nicht so viele Menschen auf
       die Straße gehen. Eltern wollen ihre Kinder schützen. 
       
       Zu Recht. Allerdings verdrehen diese Gruppen bewusst wissenschaftliche
       Arbeit und skandalisieren Dinge aus unserem Buch …
       
       … in dem unter anderem die Rede ist von Swingerklubs und von Analverkehr. 
       
       Einzelne Begriffe werden von Journalistinnen und Journalisten und in
       Internetkommentaren immer wieder aus dem Kontext gerissen, um bewusst Angst
       zu schüren.
       
       Aber sie stehen drin. Wollen 14-Jährige das wirklich wissen? 
       
       Die sexualpädagogische Arbeit zeigt deutlich: Jugendliche interessieren
       sich vor allem für Liebe, Beziehungen und ihren Körper. Sie stellen sich
       Fragen wie: Wie komme ich rüber? Bin ich normal? Werde ich so gemocht, wie
       ich bin? Zudem bewegen sich Jugendliche heute in einer medial entgrenzten
       Welt. Mit ihren Smartphones können sie überall und jederzeit ins Internet.
       40 Prozent der Jungen und 30 Prozent der Mädchen im Alter von 14 Jahren
       kennen bereits Pornografie. Aber dann haben sie Fragen, Sexualpädagogik
       schafft einen Raum, in dem Jugendliche ihre Fragen besprechen können.
       
       Mit Hilfe Ihres Buches? 
       
       Das Buch ist ein Methodenbuch für pädagogisch Tätige, es ist kein
       Curriculum. Es bietet Vorschläge, wie Fragen zu Liebe und Sex in der Schule
       und in Jugendgruppen behandelt werden können.
       
       Jüngere Jugendliche wollen in erster Linie wissen, wie sie an jemanden
       rankommen. Das lernen sie von Ihnen? 
       
       Nein. Im Buch gibt es ein Kapitel zur Beziehungsanbahnung, aber auch zum
       Schlussmachen. Außerdem Vorschläge, wie zur Prävention von sexuellen
       Krankheiten und sexueller Gewalt gearbeitet werden kann. Ebenso zum Sexting
       …
       
       … eine Art sexueller Kommunikation per SMS … 
       
       … und zu Selfies, die schnell eine sexualisierte Grenze überschreiten
       können. Manche Jugendliche gehen mit Selfies und Sexting reflektiert und
       kritisch um, andere nicht.
       
       Und darüber sollen Lehrer mit ihren Schülern reden? 
       
       Schule hat seit 1968 den Auftrag zur Sexualerziehung. Was und wie Pädagogen
       Sexualität bearbeiten, bleibt ihnen überlassen. Sexualpädagogik sollte das
       aufgreifen, was die Klasse oder die Jugendgruppe gerade debattiert.
       
       Möglicherweise will nicht jede Lehrerin über Analverkehr reden. 
       
       Das muss sie auch nicht. So wie niemand verpflichtet ist, das Buch zu
       benutzen, muss niemand alles genau so machen, wie es im Buch vorgeschlagen
       wird. Vielmehr sollte jede Methode der jeweiligen Jugendgruppe angepasst
       werden.
       
       Wenn das alles so einfach ist, warum gibt es dann Demos wie in
       Baden-Württemberg? 
       
       Das ist eine völlig unnötige Aufregung. Schule hat ganz klar den Auftrag
       zur Sexualerziehung.
       
       Eine nicht unbedingt verklemmte Kollegin meinte, sie würde ihre Tochter von
       der Schule nehmen, wenn sie mit Ihrem Buch unterrichtet würde. 
       
       Was in den Debatten der vergangenen Wochen häufig unterschlagen wurde:
       Sexualaufklärung in der Schule geschieht in enger Abstimmung mit den
       Eltern. Ihre Kollegin wird also in die Sexualerziehung einbezogen und sie
       muss sich keine Sorgen machen, dass ihre Tochter mit unserem Buch
       unterrichtet wird. Es ist ja kein Schulbuch.
       
       Wer trägt die größere Verantwortung für die Sexualerziehung: Eltern oder
       Schule? 
       
       Natürlich tragen beide Seiten Verantwortung. Schule hat aber einen
       staatlichen Auftrag zur Sexualerziehung. In einer Studie der Bundeszentrale
       für gesundheitliche Aufklärung geben 90 Prozent der Jugendlichen an, ihr
       sexuelles Wissen aus der Schule zu haben. Nur etwa ein Drittel der Zehn-
       bis Zwölfjährigen spricht mit den Eltern über Sex. Und wenn, dann meist mit
       der Mutter.
       
       Johannes-Wilhelm Rörig kritisiert, Ihr Buch leiste sexuellem
       Kindesmissbrauch Vorschub. 
       
       Die Kritik ist abwegig. Das Anliegen ist genau das Gegenteil: eine gewalt-
       und angstfreie Sexualität. Ich selbst forsche zu sexualisierter Gewalt
       unter Jugendlichen. Sie sollen lernen, Nein zu sagen. Auch dazu gibt es
       Methoden im Buch.
       
       5 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schmollack
       
       ## TAGS
       
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