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       # taz.de -- 20. Todestag von Patricia Highsmith: „Was zählt, sind Obsessionen“
       
       > Patricia Highsmith war eine Getriebene, deren destruktive Empfindungen in
       > ihren Romanen ein Ventil fanden. Nun erscheint eine neue Biographie.
       
   IMG Bild: Selbst ihre Tagebücher offenbaren nur mühsam Einblick in ihre Gefühlswelt: Patricia Highsmith im Jahr 1986
       
       Mit zwölf Jahren erlebte Patricia Highsmith eine prägende Demütigung. Das
       Mädchen wächst zur Frau heran. „Verrat“, schleudert sie im Tagebuch ihrem
       sich ändernden Körper entgegen. „Ich bin das lebende Beispiel für […] einen
       Jungen im Körper eines Mädchens.“ Mit sechs hatte sie beschlossen, ein
       Junge zu sein. Schon als Kind erlebte Patricia Highsmith also die
       Emotionen, die ihr Leben bestimmen und sie zu ihrem großen
       schriftstellerischen Werk treiben sollten. Verrat, Hass (auf ihren
       Stiefvater), Unwillen gegenüber dem Zwang in Geschlechterrollen.
       
       Bücher waren für Patricia Highsmith (1921–1995) ein Weg, ihre destruktiven
       Empfindungen zu kanalisieren. Diese firmieren oft als „Krimis“, sind aber
       keine klassischen Kriminalromane. Highsmith ging es nicht darum, das
       Verbrechen aufzuklären, sondern um die psychologischen Umstände, welche
       Menschen zu Mördern machen. „Obsessionen sind das Einzige, was zählt“,
       notierte sie 1942 in ihr Tagebuch. „Am meisten interessiert mich die
       Perversion, sie ist die Dunkelheit, die mich leitet.“
       
       Diese ungewöhnliche Herangehensweise machte Patricia Highsmith zu einer der
       erfolgreichsten US-amerikanischen Autorinnen des 20. Jahrhunderts. 1991 war
       sie sogar Kandidatin für den Literaturnobelpreis.
       
       Ihr zentrales Werk ist die Buchreihe um Tom Ripley, millionenfach verkauft,
       mehrfach verfilmt. Ripley ist ein Betrüger, der auch vor Mord nicht
       zurückschreckt – doch Highsmith erschreibt ihm geschickt die Sympathien
       ihrer Leser, die sich mit dem Schwindler identifizieren – und mit ihm
       Ausflüchte suchen, um ihn nicht einfach als miesen Charakter dastehen zu
       lassen.
       
       ## Wollte sie ein Mann sein?
       
       Highsmith beschreibt Tom Ripley als Mann ohne Eigenschaften, der in die
       Rolle eines anderen schlüpft: des reichen Erben Dickie Greenleaf, den er
       zunächst bis zur Selbstaufgabe anschmachtet, dann Stil und Verhalten
       imitiert und ihn schließlich ermordet, um mit dessen Identität
       weiterzuleben. Highsmith selbst schlüpfte ebenfalls in Ripley hinein und
       mit ihm in Greenleaf. Für das erste Buch „Der talentierte Mr. Ripley“ bekam
       sie 1956 den Edgar-Allan-Poe-Award, auf der Urkunde ergänzte sie ihren
       Namen um „und Tom Ripley“. Auch Briefe oder Buchwidmungen unterschrieb sie
       manchmal mit „Tom Ripley“.
       
       Wollte sie wirklich Ripley sein, vor allem: Wollte sie ein Mann sein? Das
       behauptet die anlässlich des 20. Todestages nun erstmals auf Deutsch
       erscheinende Biografie „Die talentierte Miss Highsmith“ (Diogenes Verlag).
       Die Autorin Joan Schenkar kommt der komplizierten Persönlichkeit Highsmith
       so nahe, wie es nur geht. Highsmith entzog sich ihrer Umwelt.
       
       Selbst ihre Tagebücher offenbaren nur mühsam Einblick in ihre Gefühlswelt.
       Hieroglyphenartig in fünf verschiedenen Sprachen geschrieben, lässt sich
       auch dieses intime Zeugnis kaum entschlüsseln. Schenkar hat die 8.000
       Seiten entziffert und daraus auf über 1.000 Seiten ein detailreiches
       Highsmith-Porträt erstellt.
       
       ## Ausdruck eines Dazugehörenwollens
       
       Im Alter von 27 notierte Highsmith: „Bei allen platonischen Gesetzen, ich
       bin ein Mann und liebe Frauen.“ Doch sah sie sich tatsächlich als
       transgender oder transsexuell? Womöglich war dieses Bekenntnis auch nur
       Ausdruck eines Dazugehörenwollens zu einer Gesellschaft, die klare,
       heterosexuelle Geschlechterrollen verlangte.
       
       Dazugehören wollte Patricia Highsmith, auch wenn sie oft genug weibliche
       Unabhängigkeit vorlebte, offensiv um andere Frauen warb, wenn sie sich
       verliebte (was oft genug vorkam). Ihr zweites Buch „The Price of Salt“ von
       1952 (dt. „Salz und sein Preis“, Neuauflage 1990 als „Carol“) wurde zu
       einem lesbischen Klassiker, weil es die Liebe von zwei Frauen beschrieb und
       ein Happy End hatte – übrigens Highsmiths einziger Roman, in dem sie
       erfüllte Liebe als Glück beschreibt, nicht als bösen Wahn.
       
       ## Nörgelige Alte
       
       Doch der Roman und sein Erfolg waren Highsmith ihr Leben lang unangenehm.
       Sie wollte nicht in der Lesben-Nische sein und veröffentlichte ihn zunächst
       unter Pseudonym. Noch 1992, drei Jahre vor ihrem Tod, beschwerte sich
       Highsmith per Einschreiben beim Verlag des Buches „Contemporary Lesbian
       Writers“.
       
       Man habe ohne ihr Einverständnis einen Essay über sie geschrieben. Doch sie
       war damals sowieso zu einer nörgeligen Alten geworden, lebte zurückgezogen
       mit ihrer Katze und einigen Schnecken in einem Dorf im Schweizer Tessin und
       mied Menschen. Auch kurz vor ihrem Tod: Ihre letzte Besucherin im
       Krankenhaus von Locarno, die befreundete Steuerberaterin Marilyn Scowden,
       schickte sie fort. Und starb erst dann, am 4. Februar 1995.
       
       4 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Malte Göbel
       
       ## TAGS
       
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