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       # taz.de -- Peer Steinbrück über die Finanzkrise: „Mich stört dieser apodiktische Ton“
       
       > Ein Schuldenschnitt für Athen wäre vorauseilender Gehorsam.
       > Ex-Bundesfinanzminister Peer Steinbrück glaubt, die griechische
       > Wirtschaft könne sich erholen.
       
   IMG Bild: Den Griechen nicht im Voraus schon die Schulden erlassen, rät Peer Steinbrück.
       
       taz: Herr Steinbrück, die linke Regierung in Griechenland verlangt einen
       Schuldenschnitt. Sollten die anderen Euroländer darauf eingehen? 
       
       Peer Steinbrück: Nein. Die Griechen haben bereits zwei Schuldenschnitte
       erhalten. Beim ersten Mal haben die Banken etwa 105 Milliarden Euro
       verloren – und beim zweiten Mal wurden Griechenlands Schulden beim IWF und
       der Eurozone so umstrukturiert, dass die Laufzeiten verlängert und die
       Zinsen gesenkt wurden. Das bedeutete für die Griechen eine weitere
       Ersparnis von rund 47 Milliarden.
       
       Trotz dieser Schuldenschnitte hat Griechenland aber immer noch Schulden von
       320 Milliarden Euro. Die Summe kann das Land niemals zurückzahlen. 
       
       Die griechischen Schulden liegen inzwischen zu 80 Prozent bei öffentlichen
       Institutionen – also der EZB, den europäischen Rettungsschirmen oder auch
       bei einzelnen Staaten. Ein Schuldenschnitt würde letztendlich die
       Steuerzahler überwiegend in den europäischen Staaten treffen. Darüber kann
       man nicht einfach hinweggehen.
       
       Aber Fakt bleibt: Die Griechen haben kein Geld, um ihre Schulden zu
       bedienen. Oder wie es der neue griechische Finanzminister Varoufakis
       ausdrückt: „Die Deutschen zahlen sowieso.“ 
       
       Varoufakis fordert, dass wir uns widerstandslos ergeben. Ich sehe mit
       Bestürzung und Entsetzen, dass es einen Rückzug in national-chauvinistische
       Tonlagen gibt. Nicht nur bei den Griechen, auch bei den Deutschen. Ich habe
       eine klare Vorstellung davon, wie ein bedingungsloser Schuldenschnitt auf
       die Debatte in Deutschland zurückwirken würde. Populistische Parteien wären
       begeistert über diese Wahlkampfhilfe.
       
       Diese taktischen Erwägungen ändern nichts daran, dass Griechenland pleite
       ist. 
       
       Die Laufzeiten der griechischen Schulden betragen inzwischen zum Teil 30
       Jahre. Man kann nicht in vorauseilendem Gehorsam schon mal die Schulden der
       nächsten Jahrzehnte erlassen! Es könnte doch sein, dass sich die
       griechische Wirtschaft erholt und diesen Verpflichtungen irgendwann
       nachkommen kann. Zudem wäre es ein Präjudiz: Wenn Griechenland die Schulden
       erlassen werden, was bedeutet das für andere Krisenländer?
       
       Ein Kompromiss mit Griechenland ist also nicht denkbar? 
       
       Mich stört dieser apodiktische Ton aus Athen: „Ihr verzichtet erst mal
       alle!“
       
       Sie waren ja selbst Finanzminister und haben an europäischen Ratssitzungen
       teilgenommen: Gab es auch schon andere Länder, die ultimativ aufgetreten
       sind? 
       
       Nein. Der Finanzrat findet im Kammerorchesterton statt. Aber Varoufakis
       spricht ja in die innenpolitische Tüte. Mit seinen EU-Ratskollegen wird er
       versuchen, mitteleuropäische Umgangsformen zu entwickeln. Und die anderen
       Finanzminister werden ihm auch zuhören, an einer Eskalation hat niemand
       Interesse.
       
       Was könnte man den Griechen anbieten? 
       
       Soweit es noch Kredite mit Laufzeiten von bis zu zehn Jahren gibt, könnte
       man diese in längerfristige Darlehen umwandeln und die Zinskonditionen
       anpassen, damit die Griechen mehr Zeit haben, ihre Wirtschaft zu
       reformieren.
       
       Sie klingen wie Varoufakis. Letztlich ist das auch sein Plan. 
       
       Wenn er das Ritual von Tarifverhandlungen verfolgt, würde ich ihm das nicht
       übelnehmen. Rhetorisch startet man mit 100 und landet faktisch bei 50.
       
       Nicht nur Griechenland ist in der Krise, die ganze Eurozone rutscht in eine
       Deflation. 
       
       Ich kann die Gefahr einer Deflation nicht erkennen.
       
       Wieso nicht? Im Dezember sind die Preise in der Eurozone um 0,2 Prozent
       gefallen. 
       
       Das hängt damit zusammen, dass die Inflationsrate keineswegs alle
       Preisänderungen widerspiegelt. Der Warenkorb ist sehr eng gefasst. Die
       Preise für Investitionsgüter oder für Vermögenswerte wie Aktien oder
       Immobilien steigen, werden aber nicht berücksichtigt. Ich halte es für
       irreführend, von Deflation zu sprechen.
       
       EZB-Chef Mario Draghi ist aber so alarmiert, dass er 1,1 Billionen Euro in
       die Wirtschaft pumpen will. 
       
       Ich halte das für nicht gerechtfertigt. Die ganze Aktion folgt dem Motto:
       Wir schütten mehr Wasser in den Brunnen – dann saufen die Pferde schon.
       Aber Geld ist nicht das Problem. Wir haben bereits eine
       Liquiditätsschwemme. Mich erinnert die Situation fatal an 2007/2008, als
       die Finanzkrise ausbrach. Auch damals gab es zu viel billiges Geld. Draghis
       Politik wird Zombiebanken am Leben erhalten, die eigentlich vom Markt
       verschwinden müssten, und entlastet Staaten davon, ihre
       Wettbewerbsfähigkeit durch Reformen zu verbessern.
       
       An welche Banken denken Sie da? 
       
       Ich werde hier keine Namen nennen. Sonst stehen morgen die Anwälte vor der
       Tür.
       
       Wenn Sie die EZB kritisieren, klingen Sie wie die CDU. 
       
       Ja und?
       
       Die Wirtschaft in der Eurozone stagniert, und die Arbeitslosigkeit ist in
       vielen Ländern sehr hoch. Was schlagen Sie vor? 
       
       Wir brauchen Wachstumsimpulse Zug um Zug gegen Strukturreformen.
       
       Erneut klingen Sie wie die CDU. 
       
       Aber anders als die CDU sage ich schon seit Jahren, dass die realen Löhne
       in Deutschland steigen müssen. Das würde auch den anderen Euroländern
       helfen, wenn hier die Kaufkraft zunimmt und wir mehr importieren.
       
       Es ist aber eine Folge der Agenda 2010, dass die Reallöhne in Deutschland
       stagnieren. Die rot-grüne Koalition hat Druck auf die Langzeitarbeitslosen
       ausgeübt, ohne dass es einen gesetzlichen Mindestlohn gab. 
       
       Wir wollten damals – namentlich Gerhard Schröder – den Mindestlohn! Aber
       Gewerkschaften wie die IG Metall und die IG BCE waren dagegen, weil sie die
       Tarifautonomie gefährdet sahen. Das hat sich geändert. Außerdem gab es
       massiven Gegenwind von der Union. So kriegen Sie die Sozialdemokraten nicht
       ins Obligo, da fangen Sie mal lieber bei den anderen an!
       
       Was halten Sie von einem Konjunkturprogramm? 
       
       Ich würde es nicht Konjunkturprogramm nennen, sondern
       Investitionsförderung. Im Vergleich zu den anderen Industrieländern
       investieren die Deutschen 54 Milliarden Euro zu wenig – pro Jahr! Wir haben
       einen wahnsinnigen Investitionsstau.
       
       Und wie würden Sie ein Investitionsprogramm finanzieren? 
       
       Nicht durch Kredite, sondern indem man in den öffentlichen Haushalten
       umverteilt. Das Umweltbundesamt hat errechnet, dass die ökologisch
       schädlichen Subventionen etwa 50 Milliarden Euro jährlich ausmachen. Davon
       könnte man viele streichen.
       
       Sie wollen sich also mit ihrer Parteigenossin Hannelore Kraft anlegen? Als
       Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen wäre sie bestimmt dagegen, dass
       die direkten und indirekten Subventionen für die Kohle entfallen. 
       
       Horst Seehofer in Bayern wäre auch dagegen, bei ökologisch schädlichen
       Agrarsubventionen zu kürzen. Man muss nicht alles durch den
       parteipolitischen Wolf drehen.
       
       Wie wäre es mit Steuererhöhungen für die Reichen? 
       
       In Deutschland ist es leider völlig tabuisiert, darüber nachzudenken,
       welche Steuern man erhöhen könnte, ohne Investitionen zu gefährden. Dazu
       gehört die Abgeltungsteuer. Sie war ein Fehler meinerseits. Man darf
       Kapitalerträge wie Dividenden und Zinsen nicht anders besteuern als Arbeit.
       
       2 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrike Herrmann
       
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