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       # taz.de -- Symposium zu Stigmatisierungen: Elitäre Parallelwelt
       
       > Von der Kaderschmiede bis zum Pfandflaschensammler: Das Institut für
       > Sozialforschung macht soziale und politische Ausgrenzung transparent.
       
   IMG Bild: Ausgegrenzt: Bewohner des Flüchtlingsheims Fuldatal.
       
       Im Rahmen der von der BHF-Bank-Stiftung gesponserten „Frankfurter
       Positionen 2015 – Festival für neue Werke“ aus Kunst und Musik organisierte
       das Frankfurter Institut für Sozialforschung ein Symposium mit dem Titel
       „Ausgeschlossen. Berichte von verdeckten Wirklichkeiten“. Das Spektrum
       dieser verdeckten Wirklichkeiten und der damit von der Gesellschaft und der
       Öffentlichkeit mehr oder weniger strikt ausgeschlossenen Menschen ist
       außerordentlich breit.
       
       Die Aufgaben soziologischer Aufklärung, soziale und politische Ausgrenzung
       transparent zu machen, sind so komplex wie die Gründe für die Exklusion und
       die Methoden, Menschen und ihr Schicksal verschwinden zu lassen.
       
       Soziale Ausgrenzung handelt von den Formen der Stigmatisierung und der
       Missachtung von Menschen. Die Referenten sprachen über die
       Systemrationalität und die ideologische Rationalisierung von realen
       sozialen Ausgrenzungen bis hin zur abstrusen These, Kapitalismuskritik sei
       hierzulande 30 Jahre lang ausgegrenzt worden.
       
       Der Soziologe Sebastian Moser porträtierte die urbane Figur des erst nach
       der Einführung des Pflichtpfands 2006 entstandenen Pfandflaschensammlers.
       Diese bestreiten ihren Lebensunterhalt in aller Regel nicht allein aus den
       bescheidenen Sammelerlösen. Vielmehr sind diese Erlöse Zusatzeinnahmen zu
       Renten und Unterstützungsgeldern. Pfandflaschensammler sind eine sozial
       heterogene Gruppe. Deren gemeinsamer Nenner besteht nur darin, dass ihre
       Mitglieder auf Nebeneinkommen angewiesen sind, um ihr Leben zu bestreiten.
       
       ## Geimpfte Elite
       
       Die Journalistin Julia Friedrichs berichtete über ihre Erfahrungen bei der
       Recherche über eine soziale Gruppe vom anderen Ende der gesellschaftlichen
       Hierarchie – nämlich über junge Menschen in Internaten und privaten
       Elitehochschulen. Diese Menschen bewegen sich in sozial abgedichteten
       Parallelgesellschaften und verstehen sich als kommende Elite. Ein
       Hauptzweck der Institutionen, in denen sie lernen, ist es, ihren Kunden das
       Selbstbewusstsein als verdiente und obendrein legitime Elite einzuimpfen.
       
       Die Kehrseite der ideologischen Zurüstung der Lernenden ist die rabiate
       Verachtung derer, die nicht zur Elite zählen und die rundweg zu „low
       performern“ oder „Minderleistern“ abgewertet werden. Weil sich diese
       Kaderschmieden gegenüber der Gesellschaft abdichten, sind Informationen
       über sie rar und schwer zu gewinnen, wie die Journalistin an vielen
       Beispielen demonstrierte.
       
       Der Soziologe Tobias Pieper untersuchte die deutsche Flüchtlingspolitik und
       insbesondere die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylsuchenden in
       Lagern. Von den rund 225.000 Flüchtlingen und Asylsuchenden sind etwa
       80.000 in Lagern untergebracht. Das ist, wie der Referent zeigte, nicht nur
       teuer und korruptionsanfällig, sondern zwangsläufig mit drastischen
       Menschenrechtsverletzungen verbunden.
       
       ## „Institutionalisierter Rassismus“
       
       Das rigide normierte Lagersystem zwingt Flüchtlinge geradezu in die
       Illegalität und in die Kriminalität, was die Politik wiederum ausnützt für
       die politische Stimmungsmache in Wahlkämpfen, zu denen Ausgrenzung und
       Stigmatisierung von Flüchtlingen seit den 80er Jahren gehören. Pieper
       benennt das präzis als „institutionalisierten Rassismus“.
       
       Die Hamburger Soziologin Friederike Bahl beschäftigte sich mit dem
       Dienstleistungsproletariat in Sicherheitsfirmen, in der Reinigungsbranche
       und bei der Post. Die hier Beschäftigten verdienen wenig, werden körperlich
       stark belastet und verfügen über keine echte Alterssicherung. Ihre Arbeit
       erleben sie als Tätigkeit auf niedrigstem Qualifikationsniveau. Eine
       lebenswerte Zukunft scheint ihnen verwehrt zu sein.
       
       Die Referentin spekuliert deshalb forsch, als Reaktion auf solche
       Entwertung verbleibe dem Dienstleistungsproletariat nur die Wahl zwischen
       Sabotage und Gewalt. Dieser feuilletonsoziologischen Rhetorik fehlt die
       empirische Grundlage. Der zähe Arbeitskampf der Gewerkschaft Verdi gegen
       den Riesen Amazon belegt, dass die Chancen arbeitsrechtlicher und
       gewerkschaftlicher Gegenmacht längst nicht so vorgestrig sind, wie der
       modische Jargon meint.
       
       1 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Rudolf Walther
       
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