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       # taz.de -- Berlinale 2015: Serien auf der Leinwand
       
       > Bei den Filmfestspielen werden die Fernsehserien dem Kinofilm den Rang
       > ablaufen. Zudem sitzt „Mad Men“-Autor Matthew Weiner in der Jury.
       
   IMG Bild: Das Angebot im Berlinale Special Serien ist, freundlich gesagt, bunt gemischt.
       
       Berlinale-Chef Dieter Kosslick liebt Slow Food, hat das Festival im Lauf
       der Jahre aber in das glatte Gegenteil davon transformiert. Die Berlinale
       ist längst eine unförmige Pizza mit allem drauf, wobei jedes Jahr immer
       noch was dazukommt.
       
       Bei der Vielzahl der Sektionen, Galas, Extras und Specials blickt schon
       lang keiner mehr durch, aber weil es keinen fahrenden Zug gibt, auf den
       Kosslick nicht aufspringt, gönnt er uns in diesem Jahr auch noch einen
       Schwerpunkt über Fernsehserien. Deklaration: Berlinale Special, das ist die
       Abteilung, in der das Festival traditionell alle möglichen Sorten von
       Resteküche serviert.
       
       Verwunderlich ist dieser Neuzugang nicht. In Sachen kulturelles Kapital,
       Experimentierlust und Starpotenzial haben die Serien dem Kino in den USA
       den Rang abgelaufen. Die namhaftesten Regisseure, Produzentinnen,
       Darsteller und Autorinnen sind jetzt fürs Fernsehen (oder eher das, was
       einmal Fernsehen war und sich inzwischen in Streamingdienste und
       Onlinevideotheken transformiert hat) zu haben. Woody Allen, der demnächst
       für Amazon dreht, ist da nur der jüngste und vielleicht verblüffendste
       Fall.
       
       Groß ist dagegen die Klage, dass Deutschland da hinterherhängt. In
       Skandinavien und anderswo kriegen sie die Sache mit den Serien auf die
       Reihe, wir hier bislang nicht so recht, mit sehr wenigen Ausnahmen wie
       Dominik Grafs/Rolf Basedows „Im Angesicht des Verbrechens“ oder Orkun
       Erteners/Lars Kraumes „KDD“, die als angebliche Flops die Regel nur
       bestätigen. Weil Kosslick nie ein cinephiler Kopf werden, sondern immer
       eine Filmfördernase bleiben wird, liegt hier auch der Hase im Pfeffer. Das
       Serien-Special soll zeigen, wo es international langgeht, und zugleich
       neueren Produktionen aus Deutschland eine Werbeplattform bieten.
       
       ## Die Quasi-Kinofilm-Portionierung
       
       Da sind Fragen wie die, ob Serien wirklich auf die große Leinwand gehören
       und ob es Sinn ergibt, jeweils nur ein paar Episoden in
       Quasi-Kinofilm-Portionierung zu zeigen, offenkundig egal. Was Prestige
       bringt, ist gut. Und so wurde auch Matthew Weiner, Schöpfer von „Mad Men“,
       in die Wettbewerbsjury geholt. Dafür darf er auch seinen bislang sehr
       unbeachtet gebliebenen einzigen Kinofilm, die Komödie „Are You Here“ von
       2013, mitbringen – läuft auch in der Resteküche von „Berlinale Special“.
       
       Das Angebot im Berlinale Special Serien ist, freundlich gesagt, bunt
       gemischt. Weniger freundlich: Ein Konzept oder kuratorischer Zugriff ist
       nicht zu erkennen. Wie im Rahmen des Serienhype leider üblich, bleibt das
       Episodische und Komische ganz außen vor, obwohl es da ja auch jede Menge
       Großartiges gibt. Aus den USA kommt „Bloodline“, ein Thriller aus Floridas
       Sümpfen, für HBO ausgeheckt vom ingeniösen Autorentrio
       Kessler/Zelman/Kessler.
       
       Die drei hatten in „Damages“ mit Glenn Close in der Hauptrolle fünf
       Staffeln lang vorgeführt, was für ein Vergnügen es sein kann, wenn man das
       Durcherzählen nicht – wie im Qualitätsbereich eher üblich – verlangsamt,
       sondern im Gegenteil heftig beschleunigt und nicht als Fortsetzung des
       realistischen Romans mit anderen Mitteln, sondern als narrativ
       ausgeklügelte Achter- und Geisterbahnfahrt begreift. Quality-TV also, das
       seine Wurzeln im vorabendlich wegzuguckenden Gebrauchstrash nicht vergisst.
       Es bleibt nur zu hoffen, dass das für „Bloodline“ ebenfalls gilt.
       
       Von sehr viel noblerer Abkunft ist „Better Call Saul“. Als „Breaking
       Bad“-Mastermind Vince Gilligan in einem Interview einmal nebenbei sagte,
       dass die Nebenfigur des Anwalts Saul Goodman eine eigene Serie wert sei,
       war das nicht ernst gemeint. „Better Call Saul“ ist jetzt aber haargenau
       das: ein Spin-Off von „Breaking Bad“, der Quality-Überserie der vergangenen
       Jahre, und zwar nicht als Weitererzählung, sondern als Prequel, das die
       natürlich sehr zwielichtige Vorgeschichte der von Bob Odenkirk gespielten
       Anwaltsfigur erzählt. Die Serie läuft während der Berlinale in den USA an,
       erste Kritiken betonen freilich, dass sich der Reiz erst im Lauf der Folgen
       so richtig erschließt. Ist dann natürlich etwas blöd, nur den Anfang auf
       der Berlinale zu haben.
       
       ## Berlin-Historienromane
       
       Neben den US-Serien gibt es Neues aus Italien (Korruption), Dänemark
       (Finanzmogule), Schweden (Rechtspartei), Israel (Entführung des iranischen
       Verteidigungsministers) – und Deutschland: Jürgen Vogel spielt „Blochin“ in
       einer von Matthias Glasner entwickelten Serie, einen Polizisten mit
       schwieriger Vergangenheit; Edward Berger, letztes Jahr mit „Jack“ im
       Wettbewerb, führt Regie bei den ersten fünf Folgen von „Deutschland 83“,
       einer „RTL-Event-Serie“ um einen DDR-Spion in der BRD des Jahres 1983, die
       ein „internationales Autorenteam“ um die amerikanische Autorin Anna Winger
       zusammengerührt hat.
       
       Auch am anderen Ort spielen die Serien eine wichtige Rolle. Im
       Co-Production Market sind zwei Tage dem Thema gewidmet. Hier ist dann auch
       Tom Tykwer zu sehen, der – für die ARD und Sky – an der aktuell
       ambitioniertesten deutschen Serie „Berlin Babylon“ sitzt. Für die teure
       Verfilmung der Berlin-Historienromane von Volker Kutscher werden noch
       internationale Partner gesucht. Dieses Jahr wird gedreht. 2016 sind dann
       womöglich die ersten Folgen in einem Berlinale Gala Extra Special zu sehen.
       
       3 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ekkehard Knörer
       
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