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       # taz.de -- Junge Flüchtlinge in Bremen: Bremen wird Kinder los
       
       > Trotz anhaltender Kritik arbeitet das Bundesfamilienministerium daran,
       > unbegleitete minderjährige Flüchtlinge bald, wie von Bremen gefordert,
       > auf Bundesländer zu verteilen.
       
   IMG Bild: Sind angeblich zu viel für Bremen: unbegleitete Flüchtlingskinder
       
       Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge (UMF) wie Erwachsene auf die
       Bundesländer zu verteilen, übergeht das Wohl der Kinder. Das sagt Holger
       Diekmann, der für die „Innere Mission“ der Evangelischen Kirche in Bremen
       Flüchtlinge berät. Ein entsprechender Gesetzentwurf des
       Bundesfamilienministeriums ist derzeit in Arbeit.
       
       Die Initiative dazu kam unter anderem aus Bremen. Diekmann ist mit seiner
       Kritik jedoch nicht allein: Praktisch jeder große Sozial- oder
       Kinderrechts-Verband, von der Diakonie bis zur Unicef, verurteilt das
       Vorhaben.
       
       Dass geflüchtete Minderjährige dort in Obhut genommen werden, wo sie sich
       melden, war einst als Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention und zum
       Schutz der Kinder eingeführt worden. Dass dies nun angeblich nicht mehr
       organisierbar sei und Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) auch UMF für lange
       Wartezeiten in der Ausländerbehörde verantwortlich machte, ist umstritten.
       
       Schon die „normale Verteilung“ produziere „Härten am laufenden Band“, sagt
       Flüchtlingsberater Diekmann, „weil es die individuelle Situation der
       Geflüchteten weitgehend unberücksichtigt lässt“. Dieses System nun auch auf
       Minderjährige anzuwenden zu wollen, sei falsch. Ähnlich hatte sich unter
       anderem der Diakonie Bundesvorstand geäußert und vorgeschlagen, stattdessen
       lieber die Kosten umzulegen.
       
       Laut Sozialressort-Sprecher Bernd Schneider gehe es dabei jedoch gar nicht
       ums Geld: „Bremen zahlt für die Betreuung der Kinder keinen Cent aus dem
       eigenen Haushalt“, so Schneider. Denn einen finanziellen Ausgleich gebe es
       längst. Vielmehr handele es sich um ein organisatorisches Problem, weil
       sich UMF besonders häufig in den Stadtstaaten wie Bremen meldeten –
       mittlerweile fast zehnmal so viele wie üblich: „Wir bekommen die
       Infrastruktur gar nicht so schnell aufgebaut. Das Jugendhilfesystem kommt
       an seine Grenzen“, so Schneider. Eine Umverteilung sei also nicht trotz,
       sondern wegen des Kindeswohls geboten.
       
       Dass es für die Kinder nicht besser sei, wenn sie in Bremen in überfüllten
       Heimen sitzen, hatte auch Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) gegenüber taz
       erklärt. Die gestiegene Zahl unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge habe
       unter anderem für die schwierige Situation in der Ausländerbehörde gesorgt.
       Nach Berichten über Warteschlangen ab vier Uhr morgens hatte Mäurer
       veranlasst, dass niemand mehr ohne Bearbeitung seines Anliegens abgewiesen
       werden solle.
       
       Entstanden sei das Problem laut Mäurer, weil zu dem regulären Kontingent an
       Flüchtlingen, die Bremen aufnehmen müsse, unerwartet noch die UMF
       hinzugekommen seien. Zudem kämen Menschen, „die gar keinen Asylantrag
       stellen, sondern eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis direkt bei der
       Ausländerbehörde beantragen“.
       
       Flüchtlingsberater Holger Diekmann widerspricht der Einschätzung Mäurers:
       Die UMF kämen zunächst gar nicht in die Ausländerbehörde. Für sie sei in
       erster Linie das Jugendamt zuständig, das die Duldungen per Post erhalte.
       „Die unbegleiteten Jugendlichen können also schwerlich für Wartezeiten in
       der Behörde verantwortlich sein“, erklärt Diekmann. Ähnliches gelte für die
       andere von Mäurer genannte Flüchtlings-Gruppe: „Wer eine humanitäre
       Aufenthaltserlaubnis direkt beantragt, wird laut Auskunft der Zentralen
       Aufnahmestelle auf die Quote Bremens angerechnet.“
       
       Auch diese Flüchtlinge würden demnach nicht an einer zusätzlichen
       „Belastung“ schuld sein. Die Situation gehe nach Diekmanns Einschätzung
       nicht auf ein Flüchtlings-, sondern ein Behördenproblem zurück. „Niemand
       geht aus Langeweile morgens um vier Uhr zur Ausländerbehörde, die Leute
       sind dazu gezwungen.“ Wer etwa nicht nachweisen könne, dass er sich um eine
       Aufenthaltserlaubnis bemüht hat, mache sich in Deutschland strafbar.
       
       Diekmann begrüßt, dass die Wartezeiten in der Ausländerbehörde verbessert
       werden sollen. Er befürchtet jedoch, dass diese wiederum später zu einem
       Bearbeitungs-Stau führen könnten. Personal nämlich, so hatte es auch
       Innensenator Mäurer erklärt, könne nicht so leicht von heute auf morgen
       eingestellt werden – ein Problem, das sich anscheinend auch bei der
       Betreuung der minderjährigen Flüchtlinge bemerkbar macht.
       
       28 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jean-Philipp Baeck
       
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