# taz.de -- Kommentar „Memorial“-Urteil: Putin kann auch anders
> Die Justiz in Russland ist nicht unabhängig, Urteile werden direkt aus
> dem Kreml diktiert. Umso interessanter ist nun der Entscheid über die
> NGO.
IMG Bild: Archivmaterial an den Wänden der NGO in Moskau.
Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, den Dachverband der
Menschenrechtsorganisation Memorial nicht aufzulösen und die Klage des
Justizministeriums abzuweisen, ist endlich einmal [1][eine gute Nachricht
aus Russland]. Da die Justiz nicht unabhängig ist und Urteile aus dem Kreml
diktiert werden, lautet die Botschaft: Präsident Wladimir Putin kann auch
anders.
Über die Beweggründe für diesen plötzlichen Sinneswandel im Falle einer der
bedeutendsten russischen Menschenrechtsorganisationen, die auch zahlreiche
internationale Unterstützer hat, kann man nur Vermutungen anstellen.
Offensichtlich kann Putin keine weitere Baustelle gebrauchen – zumindest
derzeit nicht. Aus gutem Grund. Die Beziehungen zum Westen sind auf einem
Tiefpunkt angelangt. Eine Aufhebung der EU-Sanktionen wegen der
fortdauernden Kämpfe in der Ukraine, für die Russland nach wie vor jegliche
Verantwortung zurückweist, ist nicht in Sicht.
Auch der Europarat macht keine Anstalten, den gegen die russischen
Vertreter in der Parlamentarischen Versammlung verhängten Entzug des
Stimmrechts rückgängig zu machen. Zudem ist nicht auszuschließen, dass sich
die russische Regierung wegen der desolaten Wirtschaftslage alsbald mit
Protesten der Bevölkerung konfrontiert sehen könnte.
Doch wodurch auch immer das Urteil gegen Memorial motiviert gewesen sein
mag: Tatsache ist, dass der Druck auf die NGO, die sich als ausländischer
Agent registrieren lassen musste, stetig wächst. Das jüngste Verfahren
dürfte nicht das letzte seiner Art gewesen sein. Dabei ist die Aufarbeitung
des Stalinismus, der sich Memorial verschrieben hat, wichtiger denn je.
Mehr als 50 Prozent der Russen sehen den Diktator heute wieder in einem
positiven Licht. Zumindest das hat Putin auf der Habenseite.
28 Jan 2015
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DIR Barbara Oertel
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