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       # taz.de -- Komödie „Birdman“ im Kino: Schauspieler bei der Arbeit
       
       > Tragikomische Logik und rasanter Slapstick von Alejandro González
       > Iñárritu: „Birdman oder Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit“.
       
   IMG Bild: Michael Keaton (l.) und Edward Norton, Szene aus „Birdman“.
       
       In der Rolle des Superhelden Birdman hat es der Schauspieler Riggan Thomson
       in Hollywood zu Berühmtheit gebracht. Aber jetzt verlangt es den in die
       Jahre gekommenen Star auch nach künstlerischer Credibility.
       
       Er hat Kurzgeschichten von Raymond Carver für die Bühne adaptiert. Es
       stehen bereits die Vorpremieren an, und Riggan, der mitspielt und
       inszeniert, sieht sich nicht nur von Visionen seines Superhelden-Alter-Egos
       und von Lampenfieber heimgesucht, er hat zwischen Garderobe und Bühne des
       New Yorker St. James Theatre mit diversen Mitwirkenden auch weltliche
       Probleme zu bewältigen.
       
       „Birdman“, so wie Riggans Glanzrolle, heißt auch der Film von Alejandro
       González Iñárritu: Der Mexikaner wurde mit Filmdramen wie „Babel“ oder „21
       Gramm“ berühmt, die die Verwerfungen der globalisierten Gegenwart in allzu
       kunstvoll arrangierte Verkettungen übersetzten. Beim Festival in Venedig
       überraschte Iñárritu deshalb einigermaßen, als er mit „Birdman“ nun eine
       rasante, aber vergleichsweise kompakt gehaltene Backstagekomödie
       vorstellte.
       
       ## Kunstvolle Verkettungen
       
       Zum Jahresende dominierte der Film bereits die Bestenlisten und aktuell ist
       er einer der Oscar-Favoriten 2015 . Der Regisseur und seine drei Koautoren
       setzen auf die Qualitäten einer gut geölten, klugen
       Boulevardtheatermaschine. Die Erzählung hält sich streng an die Regeln der
       klassischen Dramatik und wahrt Einheit von Ort, Zeit und Handlung – und
       zwar auch insofern, als die einzelnen Episoden des Films jeweils in einer
       ungeschnittenen Aufnahme abrollen und die Übergänge von einer Episode zur
       nächsten so weich gesetzt sind, dass der ganze Film wie eine einzige
       Aufnahme wirkt.
       
       Das erzeugt nicht nur dank der Kameraarbeit von Emmanuel Lubezki den
       Eindruck größter Geschmeidigkeit. Der famose Score von Antonio Sanchez tut
       das Seine, und auch der Schauplatz des Geschehens ist klug gewählt: Der
       Kameraarbeit entgegen kommt die Architektur des seit 1927 in Betrieb
       befindlichen Theatergebäudes. Die Dringlichkeit des Gesagten wird in
       Steadicamgängen noch unterstrichen. Das Treppauf, Treppab hinter der Bühne
       spiegelt Befindlichkeiten. Und für ein irrwitziges Slapsticksolo von Riggan
       spielt die Lage am Broadway eine wichtige Rolle.
       
       Ein solches Konzept verlangt dem Ensemble vor der Kamera Konzentration ab,
       sie überträgt sich gewissermaßen. Die Besetzung ist hochkarätig, Naomi
       Watts, Emma Stone, Amy Ryan, Andrea Riseborough geben die
       Sparringpartnerinnen auf und hinter der Bühne, Zach Galifianakis den
       Manager und Vertrauten von Riggan.
       
       Am stärksten bleiben die Zweikämpfe von Keaton und Spargeltarzan Edward
       Norton in Erinnerung, die auch physisch ausgetragen werden. Man kann auch
       sagen, „Birdman“ ist ein Film über Schauspieler bei der Arbeit, der
       Hollywoodstars mit künstlerischem Anspruch eine adäquate Bühne gibt, wo sie
       im Performen total aufdrehen können und dann auf den Punkt das Register
       wechseln. Szenenapplaus.
       
       Auf der diskursiven Ebene gibt es fortwährend solche Interferenzen,
       Verwischung der Ebenen – nicht nur weil Riggan von Michael Keaton
       verkörpert wird: Der stand bekanntlich 1989 und 1992 für Tim Burton als
       „Batman“ vor der Kamera.
       
       ## Ernsthaft und albern
       
       Das klingt so ähnlich wie „Birdman“, und dieses Spiel mit Referenzen
       betreibt der Film halbwegs ernsthaft und albern gleichermaßen. So oder so
       macht das großen Spaß. Wahrscheinlich auch, weil es sich in genau jenem
       Mainstreamrahmen bewegt, der so schnell keinen ausschließt. „Birdman“
       imitiert den Gestus des nerdigen Referenzierens nur.
       
       Das kalifornische Animationsfilmstudio Hanna-Barbera hatte übrigens in den
       späten Sechzigern tatsächlich einen Comichelden namens Birdman. Zur selben
       Zeit wie diese TV-Serie, die nicht zuletzt in Mexiko populär gewesen sein
       dürfte, machte auch ein animierter Spider-Man im US-Fernsehen Furore. Dass
       man sich heute vor allem an Letzteren erinnert, passt auch in die
       tragikomische Logik von Iñárritus sehenswertem Film.
       
       28 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Isabella Reicher
       
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