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       # taz.de -- Griechenland-Wahl in Berlin II: Die Melancholie bleibt
       
       > Früher half er Gastarbeitern. Heute ist Herr Bakalios zu integriert, um
       > an Griechenlands linke Zukunft zu glauben
       
   IMG Bild: Griechenland hat sich entschieden
       
       Am Ende der Sitzung wird Georgios Bakalios seine Frau Angeliki anblicken
       und ihr die Hochrechnung berichten, es wird kurz still sein zwischen
       beiden, in dem ohnehin stillen Seniorenzentrum. Die Fassungslosigkeit wird
       sich auch auf ihr Gesicht übertragen: „Das ist der griechische
       Kommunismus“, sagt Bakalios. „Es tut weh“, dass er das jetzt miterleben
       muss. Längst hat der 76-Jährige die Hoffnung auf griechische Parteien
       verloren. Und mit dem Kommunismus hat er eine eigene Rechnung offen.
       
       Im geleckt sauberen „Club Steglitz“ in der Selerstraße läuft am
       Sonntagabend kein griechisches Fernsehen, eine Wahlparty war nicht geplant
       beim Griechisch-Deutschen Förderverein, den der Vorsitzende bewusst frei
       von Parteipolitik verstanden wissen will. Anderes hält er gerade ohnehin
       für wichtiger. Bakalios, kerniges Gesicht, buschige Augenbrauen, beugt sich
       über ein Formular, gewissenhaft füllt er es aus. Neben ihm sitzt Vassilis,
       ein junger Koch aus Nordgriechenland, der in Berlin einen Job gefunden hat
       und nun Unterstützung für einen Deutschkurs beantragt.
       
       Der pensionierte Sozialberater bei der Diakonie kennt die Wege durch den
       Integrationsdschungel in Deutschland. In den sechziger Jahren half er
       griechischen Gastarbeitern, sich in der deutschen Großstadt
       zurechtzufinden. Nun hilft er den neuen Gastarbeitern, ehrenamtlich. In
       Zeiten der Wirtschaftskrise ist er ein gefragter Experte, die Anzahl
       griechischer Staatsbürger in Berlin stieg zwischen 2008 und 2013 um knapp
       ein Fünftel.
       
       Das Formular ist ausgefüllt. Im Raum herrscht Leere. Irgendwer hat
       Girlanden aufgehängt. Für den Karneval, nicht für den Politikwechsel. Seine
       Frau schenkt Bakalios ein Gläschen Tsipouro-Schnaps ein. „Medizin“, erklärt
       er lächelnd und trinkt. Im Fernsehen gäbe es jetzt die ersten
       Hochrechnungen, doch Bakalios scheint es nicht eilig zu haben, sie zu
       erfahren.
       
       Die Diagnose, die er seinem einstigen Heimatland ausstellt, ist nicht nur
       eine politische Krise: „Eine Gesellschaft ist wie ein menschlicher Körper.
       Wenn eine Zelle krank ist, ist der Körper krank“. Die Ursachen datiert
       Bakalios weit bis in die Antike zurück: „Seit dem Tod Sokrates’ regieren in
       Griechenland die Demagogen“ – Politiker, die schön reden, aber wenig
       verändern. Dem Mutterland der Demokratie sei seitdem die Rationalität
       abhanden gekommen: In den achtziger Jahren habe die sozialdemokratische
       Pasok den Beamtenapparat aufgebläht, mit Vetternwirtschaft das Land
       regiert. Bakalios gründete die Berliner Nea-Dimokratia-Ortsgruppe – „das
       waren keine Demagogen, ich wusste, woran ich war“.
       
       Aus seiner konservativen Einstellung machte er nie einen Hehl,
       möglicherweise brachte ihm dies sechs Jahre Stasi-Knast ein: 1970, während
       einer Dienstreise nach Ostberlin – Bakalios beantragte dort regelmäßig Visa
       für die DDR-Durchreise griechischer Gastarbeiter nach Westberlin – wird er
       von der Stasi aufgegriffen. Die DDR beschuldigt ihn der Spionage, er weist
       das entschieden zurück: „Zwei Jahre lang haben sie mich richtig gequält“,
       erinnert er sich. Er habe unter Schlafentzug und Isolierung gelitten.
       
       1976 kauft ihn die BRD aus dem Gefängnis Bautzen frei. Für Bakalios, damals
       noch griechischer Staatsbürger, ist das eine bedeutende Wende: 1979 wird er
       Deutscher. Mit seiner gewählten Sprache und seinem korrekten blauen Sakko
       wirkt Bakalios wie ein Musterbeispiel für Integration. Er ist sich dieser
       Rolle bewusst. Der Rentner erzählt von den Jahren, in denen er griechischen
       Gastarbeitern bei Siemens und Telefunken habe erklären müssen, sie hätten
       weiterzuarbeiten, auch wenn der Arbeitsleiter nicht im Raum sei. An
       Deutschland lobt er die „Selbstverantwortung“ der Bürger, Angela Merkels
       Umgang mit Griechenland unterstützt er daher auch: „Sie hat ja nicht
       gesagt, was nicht zutrifft.“ Berechenbarkeit ist für ihn der höchste
       politische Wert. Bakalios glaubt nicht, dass Alexis Tsipras einhalten
       könne, was er verspricht. Auch wenn er den Schuldenschnitt erwirken würde:
       „Im nächsten Jahr würden die Griechen wieder um Geld bitten.“
       
       Das Glas Tsipouro ist leer. Lange hat Bakalios gezögert, nun greift er doch
       zum Handy und ruft seine Schwägerin in Griechenland an. Ein paar nette
       Worte der Begrüßung, dann wird sein Blick ernst: „Ts, ts.“ Ungläubig
       schüttelt er den Kopf über das, was er hört. Er geht an die Bar des
       Seniorenheims zu seiner Frau, die sich mit dem jungen Koch Vassilis
       unterhält. 35 Prozent Syriza, 29 Nea Dimokratia! Während die zwei sich
       fassungslos anblicken, kann sich der junge Grieche das Lächeln nicht
       verkneifen.
       
       26 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tobias Krone
       
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