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       # taz.de -- Wirtschaftsforum in Davos: Auszug der NGOs
       
       > Der Negativ-Preis für unverantwortliche Konzerne wird beim
       > Weltwirtschaftsforum in Davos zum letzten Mal verliehen. Geben die
       > Kritiker auf?
       
   IMG Bild: Eliten kitzeln in Davos: Kein Protest ohne Polizei.
       
       DAVOS taz | Adrian Monck war noch nie hier. Der Pressesprecher des
       Weltwirtschaftsforums (WEF) in Anzug und Schlips sticht heraus aus der
       Menge der bunten Outdoorjacken und groben Pullover im Saal des Hotels
       Montana von Davos. Diese Beerdigung aber lässt sich Monck nicht nehmen.
       „Sie haben gute Arbeit gemacht“, kommentiert der Brite mit stoischem
       Gesichtsausdruck.
       
       Das späte Lob des Gegners nützt dem Public Eye (öffentliches Auge) auch
       nichts mehr. Die Globalisierungskritiker verleihen ihren Negativpreis für
       unverantwortliche Konzerne anlässlich des Weltwirtschaftsforums in Davos
       zum letzten Mal. Der [1][Managergipfel WEF], gegen den sie immer angerannt
       sind, macht aber weiter - mit mehr Publikum, mehr Geld und mehr
       Aufmerksamkeit. Die Staatspräsidenten drängeln sich, um im schicken
       Kongresszentrum eine Rede halten zu dürfen. Monck ist zufrieden und jovial:
       „Wir finden es nicht gut, dass niemand mehr in Davos protestiert.“
       
       Zur Abschlussveranstaltung bieten die Kritiker nochmal alles auf. Der Saal
       ist voll, die wackeligen Stühle reichen nicht aus. Man hat internationale
       Protestprominenz eingeflogen. Aus den USA sind The Yes Men da, zwei
       Polit-Satiriker, die in die Identität von Konzernschef schlüpfen, um deren
       Handeln überspitzend zu entlarven.
       
       Sven Giegold, Gründer der einstmals einflussreichen
       Globalisierungskritiker-Organisation Attac und jetziger EU-Abgeordneter der
       Grünen, hält eine Rede zum An- und Nachdenken. Und die letzte Auszeichnung
       als miesestes Unternehmen aller Zeiten erhält Chevron, der Ölkonzern, dem
       Umweltschützer die [2][Zerstörung unberührten Urwalds] in Ecuador
       vorwerfen.
       
       ## Den Kritikern geht die Puste aus
       
       Mit dem Abschied des Public Eye aus Davos wird ein Kapitel im weltweiten
       Kampf um Gerechtigkeit geschlossen. In den 2000er Jahren existierte ein
       scharfer Gegensatz. In Davos tagte alljährlich der Managergipfel der
       Milliardäre, der ökonomischen Elite, der Konzerne, die aus den
       Industriestaaten in die Welt hinauszogen, die Arbeitsplätze mitnahmen und
       Arbeitslosigkeit zurückließen. Im brasilianischen Porto Alegre versammelte
       sich das Weltsozialforum der Bürgerinitiativen, Gewerkschaften und
       Ökologen, als deren politischer Verwandter das Public Eye in Davos agierte.
       
       Für das öffentliche Anprangern von Umweltsünden, unmenschlichen
       Arbeitsverhältnissen und Korruption in den weltweiten Zulieferfabriken
       schien der Wirtschaftskongress von Davos ein guter Ort. Beim WEF versuchte
       man immer angestrengt, die Netzbeschmutzer zu ignorieren. Funktioniert hat
       das nicht, wie Moncks lobender Kommentar erkennen lässt.
       
       Nun aber geht den Kritikern die Puste aus. Auch wenn Public-Eye-Sprecher
       Oliver Classen das anders sehen will: „Dass ist keine Niederlage, sondern
       ein Sieg.“ Politik-Professor Claus Leggewie betrachtet die Entwicklung
       etwas distanzierter: „Die globalisierungskritische Bewegung hat ihren
       außerparlamentarischen Elan verloren. Das ist das normale Schicksal vieler
       sozialer Protestbewegungen. Einige der früheren Aktivisten bekleiden heute
       Regierungsämter und versuchen ihre Forderungen im Rahmen der bestehenden
       Institutionen durchzusetzen.“
       
       Aber wieso spricht Classen von einem „Sieg“? „Wir haben dazu beigetragen,
       die Verantwortung der Unternehmen für Ökologie und Menschenrechte zum
       öffentlichen Top-Thema zu machen“, sagt er. Stimmt: Kein westlicher Konzern
       kommt heute ohne einen Verhaltenskodex aus, in dem er beschreibt, wie gut
       er seine Leute überall auf der Welt behandelt. Manches davon ist gelogen,
       aber kein Unternehmen lässt sich gerne dabei erwischen, dass die NäherInnen
       in Pakistan 80 Stunden wöchentlich arbeiten, während es offiziell nur 60
       sein sollen.
       
       Durch Organisationen wie Public Eye haben die Verbraucher dazugelernt, und
       damit auch die Firmen. „Ein Erfolg besteht gerade darin, dass sich
       Unternehmen im Norden wie im Süden reformiert und Nachhaltigkeitsziele
       aufgenommen haben“, sagt Leggewie.
       
       ## Die neue Volksinitiative
       
       Das reicht den Public Eye-Leuten jedoch nicht. Sie legen ihr Erbe nun in
       die Hände der „Volksinitiative für verantwortungsvolle Konzerne“. Diese
       wird von 50 Organisationen getragen und soll per Plebiszit ein neues
       Schweizer Gesetz zustandebringen. Darin würde geregelt, dass einheimische
       Unternehmen ab einer bestimmten Größe Sorge tragen müssen für die
       Einhaltung der sozialen und politischen Menschenrechte in ihren weltweiten
       Produktionsketten. Verstießen sie dagegen, wären sie in der Schweiz haft-
       und strafbar. In den Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der
       Vereinten Nationen ist diese Sorgfaltspflicht schon niedergelegt. Doch die
       Konzerne setzen sie oft nicht um. Deshalb wäre es ein Quantensprung, Firmen
       mit einem nationalen Gesetz tatsächlich dafür verantwortlich zu machen, was
       sie im Ausland tun.
       
       Public-Eye-Sprecher Classen sagt: „Nun heben wir die alte Kernforderung des
       Public Eye nach rechtlich verbindlichen Sorgfaltspflichten auf die
       politische Ebene. [3][Die Schweizer Volksinitiative] bedeutet eine
       nachholende Globalisierung der Politik.“ Aber auch einen Rückzug von der
       internationalen auf die nationale Ebene. Was ist mit den anderen Ländern,
       Deutschland zum Beispiel? Volksinitiativen gibt es nördlich des Bodensees
       nicht. Und der Nationale Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Prinzipien, den
       die Bundesregierung in Berlin verhandelt, wird kaum gesetzliche Kraft
       erhalten. Der Abschied des Public Eye als Initiative der
       Weltzivilgesellschaft hinterlässt eine Lücke.
       
       Aber EU-Abgeordneter Giegold hat zumindest eine Idee: „Wir bräuchten jetzt
       ein Public Eye on G20.“ Die Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und
       Schwellenländer ist während der Finanzkrise ab 2007 verstärkt in Aktion
       getreten, um eine bessere Regulierung des internationalen Finanzsystems
       anzuschieben. Die Regierungen, darunter auch die in Berlin, haben damit
       Boden gegenüber den transnationalen Konzernen zurückgewonnen. Es ist der
       Versuch der politischen Steuerung der ökonomischen Globalisierung. „Diesen
       neuen Ort hat die Zivilgesellschaft aber noch nicht richtig entdeckt“, so
       Giegold.
       
       23 Jan 2015
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.weforum.org/
   DIR [2] /Freipruch-fuer-Chevron/!134274
   DIR [3] http://www.evb.ch/medien/medienmitteilung/volksinitiative_fuer_verantwortungsvolle_konzerne/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hannes Koch
       
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