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       # taz.de -- Dokumentation über Afghanistan: Krank vom Krieg
       
       > Der TV-Film „Ausgedient“ befasst sich mit den psychischen Spätfolgen des
       > Afghanistan-Einsatzes. Heute hat er im Hamburger Metropolis seine
       > Kino-Premiere.
       
   IMG Bild: Wie verändert der Krieg Soldaten? Deutsche Soldaten in Afghanistan.
       
       HAMBURG taz | So wird nur selten vom Krieg erzählt. An Leichenteile, die
       nach einem Selbstmordanschlag herumliegen, an Gerüche und Schreie der
       Verwundeten erinnern sich vier Soldaten, die in Afghanistan im Einsatz
       waren. Und ihre Schilderungen sind erschütternd intensiv und konkret, denn
       was ihnen vor vielen Jahren widerfuhr, dominiert heute noch ihr Leben.
       
       Einer von ihnen spricht davon, dass er „nach neun Jahren in derselben
       Schleife“ lebt, ein anderer „hasst die ersten Frühlingstage“ und stellt in
       einer Therapiesitzung die Frage, ob es nicht einfacher für ihn gewesen
       wäre, wenn er, statt sich nun mit diesen Erinnerungen herumzuquälen, in
       Afghanistan gefallen wäre. „Man hat Menschenleben beendet“, sagt der eine
       und ein weiterer schildert, wie er das abgetrennte Bein eines Attentäters
       mit bloßen Händen angefasst hat und sich deshalb heute noch schuldig fühlt.
       
       Michael Richter stellt in seiner Dokumentation „Ausgedient“ die Frage, wie
       der Krieg die Soldaten verändert. Das Thema wird heute nicht mehr so
       beschwiegen wie noch vor ein paar Jahren. Inzwischen gibt es Spielfilme und
       Reportagen darüber, aber es fehlte nach seiner Meinung eine tief gehende
       Dokumentation zu dem Thema, und so hat der unabhängige Regisseur und Autor
       im Jahr 2009 mit den Recherchen zu „Ausgedient“ begonnen.
       
       ## Früher ein Tabuthema
       
       Wie grundlegend sich in den letzten Jahren das öffentliche Bewusstsein zu
       diesem Thema geändert hat, merkt man schon daran, dass die Bundeswehr
       Drehgenehmigungen an ganz erstaunlichen Orten gewährt hat. So durfte
       Richter im Bundeswehrkrankenhaus in Hamburg Therapiesitzungen seiner
       Protagonisten aufnehmen. Außerdem sprechen einige dort arbeitende Ärzte und
       Ärztinnen sehr offen über das Thema.
       
       Richter hat auch die Übungen eines Panzergrenadierbataillons in den Monaten
       vor dessen Verlegung nach Afghanistan begleitet. Diese eher banal wirkenden
       Aufnahmen von Manövern auf einem deutschen Truppenübungsplatz hat er in
       einer durchgängigen Parallelmontage zu den Krankheitsgeschichten der vier
       Veteranen geschnitten.
       
       So folgen auf Bilder von Soldaten, die in der Heide auf Balken balancieren,
       Sequenzen von den tief verzweifelten Kriegsrückkehrern, in denen etwa
       ständig wiederkehrende Panikattacken beschrieben werden, bei denen unter
       Todesangst jede Kontrolle über den eigenen Körper verloren geht.
       
       Außerdem sind immer wieder kurze Ausschnitte von Filmaufnahmen
       eingeschnitten, die die Protagonisten selber mit digitalen Kameras während
       ihrer Einsätze in Afghanistan gemacht haben. So wechselt das Bild etwa
       direkt von chaotischen Straßenszenen in Kabul zu einer friedlichen
       Autofahrt durch eine norddeutsche Landschaft. Mit diesem Kontrast arbeitet
       Richter durchgängig und macht so mit filmischen Mitteln deutlich, wie
       extrem sich die Situation der Soldaten verändert, wenn sie in den Krieg
       geschickt werden.
       
       Er zeigt auch, wie radikal und unwiederbringlich die traumatischen
       Erfahrungen die vier Protagonisten verändert haben. „Sie werden es wohl für
       den Rest ihres Lebens mit sich herumschleppen“, sagt Richter dazu in einem
       Telefongespräch. Jeder von ihnen sucht einen anderen Weg, um mit dieser
       Krankheit weiterzuleben. Der eine ist zurück zu seinen Eltern gezogen und
       macht zusammen mit seinem Hund lange Wanderungen durch den Wald, einer
       findet Halt in seiner Familie, einer versinkt tief in der Depression und
       einer lässt sich trotzig das Zeichen seiner Einheit eintätowieren.
       
       Die vier schildern, wie schwer es viele Jahre für sie war, dass sie mit
       ihrer Krankheit nicht ernst genommen wurden. Während sonst immer die
       Kameradschaft der Soldaten in der Truppe gefeiert wurde, waren sie mit
       ihren Problemen plötzlich alleine. Für die anderen Soldaten galten
       Angstzustände, Schlafstörungen und Depressionen als individuelle Schwächen
       und auch von den Ärzten wurden sie über viele Jahre nicht ernst genommen.
       
       Einer von ihnen erzählt davon, wie ein renommierter Psychologe ihm einreden
       wollte, all das käme „aus seiner Kindheit“. Ein anderer bekommt deshalb
       keine finanzielle Entschädigung, weil es zum Zeitpunkt seiner
       Traumatisierung das entsprechende Gesetz noch nicht gegeben habe, er also
       offiziell gar nicht hätte geschädigt werden können.
       
       Zwei von den Protagonisten leben inzwischen in der Invalidensiedlung
       Frohnau in Berlin und Richter zeigt sie dort auf einer Gedenkfeier am 20.
       Juli, bei der ein Redner versucht, eine Brücke zwischen dem militärischen
       Widerstand von 1944 und dem Einsatz in Afghanistan zu schlagen.
       
       ## Absurde Rituale
       
       Hier wird zugleich eine historische Linie gezogen – die Siedlung wurde 1748
       gegründet – und gezeigt, wie absurd solche Rituale angesichts des realen
       Leidens am Krieg sind. Hierfür findet Richter ein schönes Bild, wenn er
       eine Einstellung etwas länger als nötig stehen lässt und so zeigt, wie nach
       dem Läuten einer Glocke das Glockenseil sorgfältig wieder verschnürt wird.
       
       Durch solche atmosphärischen Bilder, durch die raffinierte und
       dramaturgisch wirkungsvolle Montage sowie die einfallsreiche Musik und das
       Sounddesign von Marcio Doctor ist „Ausgedient“ mehr als eine gut gemachte
       Fernsehdokumentation. Als solche wurde sie von WDR und NDR in Auftrag
       gegeben und vor einigen Monaten auch wie üblich in der späten Nacht
       ausgestrahlt. Ins Kino bringt den Film jetzt die Produktionsfirma Hanfgarn
       und bei der Premiere heute Abend im Metropolis werden drei der
       Protagonisten sowie eine Fachärztin zu Gast sein. Danach will Richter wie
       er selber sagt „mit dem Film durch die Städte tingeln“.
       
       Rechnen wird sich dies kaum, aber es ist ihm wichtig, wenn er ihn gemeinsam
       mit „30 oder 50 Menschen“ in einem Raum sieht und danach mit ihnen darüber
       reden kann. Inzwischen hat er eine Dokumentation über syrische Flüchtlinge
       für das ZDF gedreht und nun arbeitet er an einer Reportage über die
       Einsätze von französischen und deutschen Soldaten in Afrika. Das Thema von
       „Ausgedient“ bleibt aktuell.
       
       22 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Wilfried Hippen
       
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