URI: 
       # taz.de -- Fraktionsklausur der Linkspartei: Die etablierte Protestpartei
       
       > Bürgerrechte? Eurokrise? Bündnis mit dem Mittelstand? Die Linksfraktion
       > lobt sich selbst und sucht nach neuen Themen. Die hat sie bitter nötig.
       
   IMG Bild: Die Lage der Partei ist nur oberflächlich stabil.
       
       BERLIN taz | „Für unsere Verhältnisse war die Klausur angenehm“, sagt der
       Chef der Linksfraktion Gregor Gysi. Das ist schon eine Nachricht, denn in
       der Fraktion brechen die Antipathien zwischen den Flügeln mitunter
       explosionsartig aus. Nun hat sie in zweitägiger Klausur routiniert sieben
       Themenfelder abgesteckt.
       
       Die Genossen wollen gegen Leih- und Werkverträge streiten, für mehr Geld
       für Schulen und Pflege, für eine sozial abgefederte Energiewende. Es ist
       weithin das bekannte Thementableau – gegen Hartz IV, gegen
       Bundeswehreinsätze im Ausland, gegen die Rente mit 67. Seit 2005 beackert
       die Partei das gleiche Feld. An identitätsstiftenden Themen ist seit zehn
       Jahren nichts hinzugekommen. Allerdings müht sich die Linksfraktion, nun
       zumindest zu signalisieren, dass sie mehr drauf hat als die Protesthits
       vergangener Tage.
       
       2009, so der Innenpolitiker Jan Korte in einem [1][Thesenpapier], habe die
       Fraktion einen Fehler gemacht, der bis heute spürbar sei. Sie agitierte
       weiter gegen die SPD, obwohl die in der Opposition war, und setzte auf
       Anti-Agenda-Rhetorik. Damals hätten, so Korte, „andere Weichen gestellt
       werden müssen“. Der Pragmatiker will, dass die Linkspartei nun die Piraten
       beerbt und „den Markenkern ’soziale Gerechtigkeit‘ um Demokratie und
       Grundrechte erweitert“. Die Partei müsse sich auch bei gut Verdienenden und
       höher Gebildeten Akzeptanz verschaffen. Das ist ein tastender Versuch, die
       Partei Richtung Gesellschaft zu öffnen. Auch Gysi stützt die inhaltliche
       Erweiterung bei Digitalisierung und Freiheitsrechten.
       
       Neue Ideen hat die Linkspartei bitter nötig. Die Lage der Partei ist nur an
       der Oberfläche und mit Blick auf Umfrageergebnisse stabil. Bei den Jüngeren
       und bei der Arbeitnehmermitte, so der Befund auch im Osten, schneidet die
       Partei eher mies ab. Sie droht, auch bei den Wählern zur Rentnerpartei zu
       werden. Eine Umfrage in Sachsen zeigte kürzlich, dass das Wahlvolk die
       Linkspartei durchweg noch immer als Bewegungsmelder versteht, der
       gesellschaftliche Problem anzeigt – aber nicht lösen kann.
       
       ## Neue Gesprächsbereitschaft mit der Wirtschaft
       
       Sehr vorsichtig weisen auch die Vorschläge der Fraktion zur Eurokrise
       Richtung Öffnung. Entworfen haben sie Realo Dietmar Bartsch und die linken
       Flügelfrau Sahra Wagenknecht, die irgendwann wohl Gregor Gysi an der
       Fraktionsspitze beerben wollen. Die Linksfraktion plädiert für ein
       Investitionsprogramm von 500 Milliarden Euro in der EU, finanziert durch
       die EZB und Reichensteuer. Die EZB solle das Geld „nicht mehr in
       Finanzmärkte und Banken pumpen“, sondern besser direkt Krisenstaaten mit
       Krediten aushelfen.
       
       Dies ist das bekannte Alternativprogramm der Linkssozialdemokraten – aber
       ohne die mitunter von Wagenknecht vertretene Position, Teile des
       Bankensektors einfach bankrott gehen zu lassen. Das Fraktionspapier zielt
       nicht darauf, den Crash geschehen zu lassen, sondern per Steuererhöhung für
       Reiche langsam die Luft aus der Blase zu lassen. Das ist eher New Deal als
       Marx.
       
       Dafür wollen die Genossen sogar mit dem Mittelstand paktieren – jedenfalls
       rhetorisch. „Die mittelständische Wirtschaft soll wissen, dass wir für
       höhere Löhne ebenso eintreten wie für ein Bündnis zur Beschränkung der
       Macht großer Banken und Konzerne“, heißt es staksig in dem
       Fraktionsbeschluss. Gysi ist im Beirat des Bundesverbands der
       Mittelständischen Wirtschaft und beteuert, dass die neue
       Gesprächsbereitschaft mit der Wirtschaft ernst gemein sei. Man wolle „mehr
       als nur Gerede“.
       
       Dies kann man als zaghafte Annäherung an ein Problem deuten. Obwohl die
       Partei seit Jahren versichert, dass ihre Steuerkonzept nur Millionäre
       belasten würden, findet sie damit bei der Mittelschicht kaum Gehör.
       
       21 Jan 2015
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /static/pdf/140106_Mandatserweiterung.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Reinecke
       
       ## TAGS
       
   DIR Gregor Gysi
   DIR Klausur
   DIR Die Linke
   DIR Linksfraktion
   DIR Russland
   DIR Die Linke
   DIR Die Linke
   DIR Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
   DIR Bürgerschaftswahl
   DIR Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
   DIR Schwerpunkt Landtagswahlen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Gysi über Kriegeinsätze und Angeln: „Ich kann auch still sein“
       
       Gregor Gysi will die Linkspartei in den nächsten zwei Jahren
       regierungsfähig machen. Kompromisse sind nötig.
       
   DIR Flügelgedöns bei der Linkspartei: Gorbi für den Frieden
       
       Eine Gruppe um Sahra Wagenknecht wirbt für eine Friedenskonferenz und
       stichelt so gegen Genossen. Wer die Fraktion leiten soll, bleibt unklar.
       
   DIR Kommentar Sahra Wagenknecht: Eine Illusion weniger
       
       Überraschung: Sahra Wagenknecht kandidiert nicht für den Fraktionsvorsitz.
       Das ist ein Nein zur Verantwortung, ein Nein zur Realpolitik.
       
   DIR Gysi will Annäherung: Die rot-rot-grüne Seifenblase
       
       Gregor Gysi schlägt offizielle Gespräche zwischen SPD, Grünen und
       Linkspartei vor – und scheitert. Die Aktion ist ein Lehrstück.
       
   DIR Linkspartei verbschiedet Wahlprogramm: Taktik der Revolte
       
       Die Linke hat ihr Bürgerschafts-Wahlprogramm beschlossen. Die
       Schuldenbremse soll weg, über die Alternative mussten Realos und
       Antikapitalisten aber noch diskutieren.
       
   DIR Reaktionen auf Rot-Rot-Grün: Glückwünsche und Stasi-Vorwürfe
       
       Die Wahl Ramelows hat polarisiert. Die „Exzesse“ müssten nun aufhören,
       meint CDU-Mann Mike Mohring. Aber kann die Spaltung überwunden werden?
       
   DIR Ramelow wird Ministerpräsident: Thüringen entscheidet historisch
       
       Bodo Ramelow ist im 2. Wahlgang zum Ministerpräsidenten in Thüringen
       gewählt worden. Er ist der erste Linke in diesem Amt, betont aber gleich
       die Religion.