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       # taz.de -- Demonstrationsverbot in Dresden: Die freie Kulturstadt
       
       > Nur wenige Dresdner stören sich daran, dass bei ihnen ein Grundrecht
       > aufgehoben wurde. Nicht einmal die Pegida-Gegner klagen dagegen.
       
   IMG Bild: Bedrohter Montagsvolksvertreter: Lutz Bachmann
       
       DRESDEN/BERLIN taz | Der Theaterplatz vor der Dresdner Semperoper ist an
       diesem Montagmittag ungewöhnlich still. Um diese Jahreszeit kommen nur
       wenige Touristen. Es ist aber nicht die Ruhe vor dem Sturm, denn am Abend
       wird hier nicht die allmontägliche Abschlusskundgebung von Pegida
       stattfinden. Polizeipräsiden Dieter Kroll untersagte wegen
       Anschlagsdrohungen auf Pegida alle montäglichen Demonstrationen. Ein
       älterer Herr ist froh über die Ruhe. „In der Kulturstadt Dresden
       erschrecken doch Touristen über die Zustände hier!“
       
       „Aber die Demo der Gegenseite hätte ruhig stattfinden können“, entgegnet
       ein Altersgenosse. Er äußert den Verdacht, dass die zunehmende überforderte
       Polizei ganz erleichtert sei, endlich einen Grund für das Verbot aller
       Aufmärsche gefunden zu haben.
       
       Ein junges Pärchen aus Heidelberg wäre wegen der Pegida-Demonstration in
       jedem Fall rechtzeitig wieder abgereist. Es sind auch Meinungen zu hören,
       Pegida werde von den Medien unnötig hochgeschrieben. Solche Demonstrationen
       müsse die Demokratie verkraften. „Auslaufen lassen“, heißt es.
       
       Pegida-Sprecherin Kathrin Oertel schlägt auf der ersten
       Pegida-Pressekonferenz am Vormittag überraschend ähnliche Töne an. „Wir
       haben nicht vor, über das ganze Jahr jeden Montag durch Dresden zu ziehen“,
       betont sie den Charakter der „Abendspaziergänge“. Man habe ja auch noch
       Beruf und Familie.
       
       ## Ein Tweet auf Arabisch
       
       Anlass für das Demonstrationsverbot sind Informationen, die das
       Bundeskriminalamt (BKA) am Samstag an das sächsische Landeskriminalamt
       weitergeleitet hat: Darunter ein Tweet, in dem auf Arabisch die
       Pegida-Demonstration als „Feindin des Islams“ bezeichnet wird, und ein
       Aufruf, Attentäter sollten sich unter die Pegida-Demonstranten mischen, um
       „zeitnah einen Mord an einer Einzelperson des Organisationsteams der
       Pegida-Demonstrationen zu begehen“. So steht es auch in der
       Polizeiverfügung. Pegida-Mitbegründerin Kathrin Oertel sagte am
       Sonntagabend, dass diese Einzelperson Lutz Bachmann sei. Die Informationen
       des BKA sollen von ausländischen Geheimdiensten kommen.
       
       Das LKA sieht in dem Aufruf eine „konkrete Gefahr“. Dies heiße nicht, dass
       konkrete Anschlagspläne oder potentielle Attentäter bekannt seien, sagt
       LKA-Sprecher Tom Bernhardt. „Wir sprechen von einer konkreten Gefahr, wenn
       es eine konkrete Zielzuweisung gibt.“ Das LKA gab die Informationen und
       seine Einschätzung an die Dresdener Polizei weiter. Eine
       Handlungsempfehlung habe es aber nicht gegeben, so Bernhardt. „Dafür ist
       die Stadt zuständig.“ Im Normalfall die Versammlungsbehörde, am Wochende im
       Eilfall die Polizei.
       
       Die Entscheidung, alle Demonstrationen in Dresden zu verbieten, fällte der
       Dresdener Polizeipräsident Dieter Kroll. Hätte Personenschutz für Lutz
       Bachmann oder ein Verbot der Pegida-Demonstration nicht ausgereicht? Warum
       wurden alle Demonstrationen abgesagt, auch gegen die keine Drohung vorlag?
       „Den Sicherheistsbehörden liegen keine Hinweise vor, die Ermittlungsansätze
       für die Identifizierung von potentiellen Tätern bieten, so dass eine solche
       dezeit unmöglich ist“, heißt es in Krolls Verfügung – und dies wiederholt
       Polizeisprecher Thomas Geithner immer wieder.
       
       Damit seien andere Maßnahmen als das Verbot der Versammlungen ungeeignet,
       um Sicherheit und Ordnung zu gewährleistens. Diese Gefahr gelte nicht nur
       für Pegida und die Organisatoren, sondern auch für andere Demonstrationen
       in der Nähe und auch für zufällige Passanten. „Deshalb haben wir uns so
       entschieden.“
       
       Superintendent Christian Behr von der Kreuzkirche, einer der maßgeblichen
       Koordinatoren des Bündnisses „Dresden für alle“, findet die Pause an diesem
       Montag hilfreich für ein Innehalten. Das erleichtere Gesprächsangebote, die
       auch die Kirche unterbreitet. Über die gravierende Einschränkung des
       Grundrechtes auf Demonstrationsfreiheit macht sich kaum jemand Gedanken.
       
       André Schollbach schon, Linken-Fraktionschef im Stadtrat,
       Landtagsabgeordneter und Rechtsanwalt. „Man muss nicht gleich das Kind mit
       dem Bade ausschütten“, verweist er auf das „hohe Gut“ des
       Grundgesetzartikels 8. Die Gegendemo hätte sehr wohl stattfinden können.
       „Die Absage ist nur Wasser auf die Mühlen von Pegida“, meint
       Linken-Fraktionskollegin Kerstin Köditz.
       
       Eric Hattke, Student und Sprecher von „Dresden für alle“, schluckt diese
       Kröte ohne spürbare Bauchschmerzen. Polizeipräsident Kroll habe ihm
       glaubhaft versichert, dass die Bedrohung so groß sei, dass das gesamte
       Demonstrationsgeschehen in Dresden gefährdet gewesen wäre. „Wir haben eine
       Verantwortung gegenüber den Teilnehmern“, sagt Hattke. Deshalb werde auch
       nicht gegen das Demo-Verbot geklagt. Man nehme es aber nicht auf die
       leichte Schulter, wenn man womöglich in Dresden nicht mehr ungefährdet auf
       die Straße gehen könne.
       
       ## „Liebe Medienvertreter“ statt „Lügenpresse“
       
       Der Mann, dessentwegen der Theaterplatz leer bleibt, gibt sich auf der
       ersten Pegida-Pressekonferenz ganz ungerührt. Lutz Bachmann äußert sich
       nicht zu seinempersönlichen Befinden. Es gehe um die Pegida-Demo insgesamt.
       Bachmann und Oertel nutzen im überfüllten Saal der Landeszentrale für
       Politische Bildung das Podium, um den „lieben Medienvertretern“ – gemeinhin
       als „Lügenpresse“ bezeichnet – ihre Haltungen kundzutun. Sehr versöhnlich,
       in der Hoffnung, dass die Medien bald wieder „objektiv berichten werden“.
       Denn unter den Demonstranten seien höchstens ein Prozent Ausländerfeinde,
       wie sogar der Verfassungsschutz herausbekommen habe.
       
       „Es ist schon ein Erfolg, dass über Themen gesprochen wird, die 40 Jahre
       lang tabu waren“, behauptet Bachmann. Und lässt nebenbei einen Führungs-
       und Zentralisierungsanspruch der Dresdner erkennen. Als offizieller
       Pegida-Ableger dürfe sich fortan nur bezeichnen, wer mit dem neuen Dresdner
       Sechs-Punkte-Programm übereinstimme und sich mit Pegida abstimme. Keine
       weiteren Fragen zugelassen. Nach 35 Minuten ist die Pegida-Show beendet.
       Bodyguards schleusen die beiden Pegida-Spitzen durch die Hintertür hinaus.
       Draußen warten ein großer SUV und ein BMW auf die besserverdienenden
       Vertreter des Montagsvolkes.
       
       19 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Bartsch
   DIR Sabine am Orde
       
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