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       # taz.de -- Theatermacher Rabih Mroué: „Ein Krieg gegen die Intellektualität“
       
       > Wie man sich trotz eines Lebens voller Gewalt Denkräume offenhält, daran
       > arbeitet der libanesische Theatermacher Rabih Mroué.
       
   IMG Bild: Mit seinem Bruder Yasser (l.) hat Rabih Mroué das Stück „Riding on a cloud“ entwickelt.
       
       taz: Herr Mroué, Ihre Performance „Riding on a Cloud“ hat viel mit der Zeit
       des Bürgerkriegs in Beirut zu tun. Es beginnt mit einer Kugel, die ein
       Heckenschütze auf Ihren Bruder Yasser abgefeuert hat und die sein Sprach-
       und Sehvermögen sehr verändert hat. Die Gewalt von Anschlägen spielt in
       vielen Ihrer Arbeiten eine Rolle. Kann man das aushalten, bei diesen Themen
       zu bleiben? 
       
       Rabih Mroué: Ich bin nicht daran interessiert, den Krieg zu erzählen und
       wie wir darunter gelitten haben. Mich interessiert das Nachdenken über den
       Krieg. Die Geschichte von meinem Bruder Yasser ist für mich ein gutes
       Material. Es sind Fragen, die mich ständig umtreiben, sie zu verhandeln.
       Zum Beispiel die Frage nach unserem Verhältnis zu Bildern, unserem
       Verhältnis zur Gewalt; was es bedeutet, heute Theater zu spielen; was sind
       die Grenzen zwischen Fiktion und Realität. Da habe ich keine Antworten,
       aber Ideen, Gedanken, Zweifel, die ich mit den Zuschauern teilen will. Es
       geht nicht darum, Mitgefühl für meinen Bruder zu erzeugen; auch wenn die
       Geschichte sehr stark ist. Aber wie er in der Performance selbst sagt: Es
       gibt so viele unterschiedliche Geschichten, die doch die gleiche Geschichte
       erzählen; seine ist nichts Besonderes.
       
       Auf der Documenta 2012 zeigten Sie eine Arbeit, „The Pixelated Revolution“,
       in der Sie mit Handy-Videos arbeiteten, die Sie auf YouTube gefunden
       hatten. Es waren Aufnahmen von Heckenschützen aus dem Krieg in Syrien, die
       auf diejenigen, die sie filmten, zielten und wohl auch getroffen haben.
       Warum wählten Sie diese erschreckenden Bilder? 
       
       Seit vielen Jahren beschäftigen mich die Bilder des Krieges und die
       Repräsentation des Todes. Schon 2000 zeigte ich Deutschland die Arbeit
       „Three Posters“, die mit den Videobotschaften von Selbstmordattentätern zu
       tun hatte. In anderen Werken, wie „Inhabitants of Images“, ging es um die
       Images von Märtyrern und ihren wiederkehrenden Posen. „The Pixelated
       Revolution“ setze diese Arbeit fort. In den ausgewählten Videos gibt es
       eine ganz besondere Beziehung zwischen dem Kameramann, der eben kein Profi
       ist, und seinem Killer. Der Augenkontakt zwischen dem Killer und dem Opfer
       ist ein sehr intensiver Moment. Darüber nachzudenken, das interessiert
       mich. Ich bin kein Journalist, der über den Krieg berichten will; sondern
       ich will die Beziehung zwischen dem Tod und seinen Bildern ausloten. Und
       was das für unsere Wahrnehmung des Todes heißt.
       
       Die Beziehung zwischen Bildern und dem Tod ist auch relevant in der
       Betrachtung des Anschlags auf die Redaktion von Charlie Hebdo in Paris. Da
       wird Bildern – in Form von Zeichnungen – der Krieg erklärt. 
       
       Ja. Es ist ein Krieg gegen die Freiheit des Ausdrucks, gegen
       Intellektualität, gegen alles, was mit den Gedanken zusammenhängt. Für mich
       ist es sehr wichtig, dafür zu kämpfen und sich zu wehren, um diese Freiheit
       zu erhalten. Seit vielen Jahren leiden wir im Libanon und im Mittleren
       Osten unten den mörderischen Anschlägen von religiösen Fundamentalisten.
       Vor allem bringen sie Intellektuelle um. Mein Großvater war einer von
       Ihnen.
       
       Erzählen Sie bitte von ihm. 
       
       Er wurde ermordet, als er achtzig Jahre alt war. Achtzig Jahre! Er war so
       alt. Er war ein Denker, ein Autor, ein Philosoph und sie haben ihn
       erschossen, einfach, weil er Schriftsteller war.
       
       Die Kugel auf Ihren Bruder steht auch in diesem Zusammenhang. 
       
       Ja, mein Bruder ist sofort losgerannt und wollte sehen, was meinem
       Großvater passiert ist. Dabei ist er getroffen worden.
       
       Wenn Sie über den Sniper nachdenken, der auf Ihren Bruder schoss, oder die
       Mörder Ihres Großvaters: Versuchen Sie sich dann vorzustellen, was die
       Täter zu diesen Taten gebracht hat? 
       
       Ich kann mir zwar etwas vorstellen – und doch: ich kann gedanklich nicht
       wirklich in „diese Schuhe“ steigen. Es geht nicht. Es ist so schrecklich.
       Wir wissen, dass da Gehirnwäsche vorausgegangen ist und die Ideologie sie
       glauben macht, Leute umzubringen würden ihnen zum Sieg verhelfen – aber ich
       weiß nicht, was Sieg bedeutet. Vor allem ist es so feige.
       
       Wie geht man mit der Angst um, die so erzeugt wird? 
       
       Den Tätern geht es darum, andere einzuschüchtern, ihnen Angst zu machen,
       ihre Gedanken frei äußern zu können. Die denken, sie bringen einige um,
       dann werden die anderen aus Angst stillhalten. Ich hoffe, es gelingt nicht.
       Für 12 getötete Menschen sollten 120 andere aufstehen und laut ihre Stimme
       erheben.
       
       Ihre Performances sind teilweise von der Abwesenheit von Menschen auf der
       Bühne gezeichnet. In „33 rpm and a few Seconds“ verweisen nur alle die
       Kommunikationsgeräte einer Person, die sich umgebracht hat, auf diese
       Figur. 
       
       Zusammen mit meiner Frau Lina Saneh habe ich die Performance „33 rpm and a
       few Seconds“ entwickelt. Wir fragten uns anfangs: Wie können wir den Körper
       des Krieges auf der Bühne repräsentieren? Wir suchten nach einer
       Körpersprache für den Bürgerkrieg. Es war immer unbefriedigend, wir fanden
       nicht den körperlichen Ausdruck für das, was uns wirklich widerfahren war
       in der Zeit des Krieges. Trotzdem kann man später darüber reden – so
       entschieden wir uns für die Repräsentation durch Worte statt durch
       Schauspieler.
       
       Gesprochene und geschriebene Worte. 
       
       Das hat viel mehr Kraft. Der Zuschauer erhält Gelegenheit, seine
       Vorstellungskraft einzusetzen. Es geht darum, die Imagination zu öffnen –
       nicht, sie zu begrenzen. Die Abwesenheit des Körpers und des Schauspielers
       auf der Bühne ist ein Mittel der Intensitätssteigerung. Es macht auch die
       Gegenwart dessen, was fehlt, viel stärker.
       
       Die Instrumente, mit denen Sie diese Präsenz markieren, haben viel zu tun
       mit modernen Medien, Smartphones, Facebook, Fernsehen. Sind diese Medien
       nicht durch ihre ständige Erzeugung von Mitteilungen etwas, das den Raum
       der Vorstellungskraft eher verengt? 
       
       Zwischen diesen Medien bestehen große Unterschiede, die Sprache des
       Fernsehens ist ganz anders als die von Facebook oder Twitter oder jene in
       einer E-Mail. Das ist jedes Mal eine andere Sprache. Das Fernsehen
       wiederholt und wiederholt eine Nachricht, bis eine neue kommt; in Twitter
       muss man Worte und Gedanken ganz knapp fassen. Jedes Medium hat andere
       Geschwindigkeiten und einen anderen Stil.
       
       Denken Sie, dass das diese verschiedenen Stile verschiedene Arten des
       Denkens erzeugen? 
       
       Natürlich. Da müssen Sie nur an die Veränderungen denken, die die digitalen
       Medien den Zeitungen gebracht haben.
       
       Wenn sich damit auch die Sprache verändert, hat das wiederum Einfluss auf
       das, was wir als Realität wahrnehmen? 
       
       Sicher beeinflusst das unseren Alltag. Es gibt heute viele Menschen, die in
       völliger Einsamkeit leben, in ihren Schlafzimmern, die mit der Außenwelt
       nur durch dieses kleine Fenster verbunden, das wir Laptop nennen. Sie
       brauchen ihren Körper nicht mehr, um andere zu treffen.
       
       Sie und Ihr Bruder sind in Beirut während des Bürgerkriegs aufgewachsen.
       Wie lernt man mit der Gegenwart von Bedrohung und Gewalt umzugehen? 
       
       Das mussten wir nicht lernen – so war das Leben eben. Der Krieg blieb 15
       Jahre, das war unsere ganze Jugend. Als der Krieg aufhörte und das kam, was
       sich Frieden nannte, da mussten wir lernen, wie man im Frieden lebt. Da
       erst kamen diese Fragen.
       
       16 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katrin Bettina Müller
       
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