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       # taz.de -- Literatur aus Syrien: Dann ist er vielleicht ein Agent
       
       > Dima Wannous’ „Dunkle Wolken über Damaskus“ und der von Larissa Bender
       > zusammengestellte Band „Innenansichten aus Syrien“.
       
   IMG Bild: Die Autorin Dima Wannous
       
       Die syrische Literatur lebt nicht, allenfalls führt sie eine Art
       Geisterleben. Den Autoren hat es die Sprache verschlagen. Bereits im
       vorigen Jahr, im Angesicht der völligen Eskalation des Bürgerkriegs,
       notierte der Romancier Khaled Khalifa, „dass das Schreiben keinen Sinn hat,
       wenn das Leben aus einem langen Warten auf den Tod besteht“.
       
       Khalil Sweilih, Autor von Gedichten und Romanen, blieb wie Khalifa in
       Damaskus und verlässt aus Angst vor den vielen Checkpoints des
       Geheimdienstes kaum mehr seinen Häuserblock. Er beschreibt die Situation
       als innere Emigration, mag er auch für arabischsprachige Zeitungen im
       Ausland hin und wieder berichten, „was in diesem Schlachthaus geschieht“.
       
       Diese Chronistenpflicht pinselten sich voriges Jahr mehr als 300 Autorinnen
       und Autoren im In- und Ausland bei der Gründung des oppositionellen
       syrischen Schriftstellerverbandes trotzig auf die Fahnen, gemeinsam.
       
       In Wahrheit sind die Beziehungen zwischen Gebliebenen und Exilierten
       „heikel und von Bitterkeit und Enttäuschung geprägt“, wie die jüngere
       Autorin und Journalistin Dima Wannous schreibt. Die Tochter des Dramatikers
       Saadallah Wannous lebt seit einiger Zeit in Beirut. Dem Roman, an dem sie
       bis 2011 gearbeitet hat, konnte sie seither kein Wort hinzufügen: „Meine
       Vorstellungskraft versagt.“
       
       ## Short Cuts der Gesellschaft
       
       Schweigen der Schriftsteller im Inland, Schweigen im Ausland, man kennt das
       aus anderen Kriegen und anderen Regimen. Dennoch hat die Übersetzerin
       Larrissa Bender unter dem Titel „Innenansichten aus Syrien“ nun viele
       Stimmen zusammengetragen und mit Grafiken und Fotografien syrischer
       Künstler versehen.
       
       Und von Dima Wannous wurde gerade erstmals eine 2007 im Arabischen
       erschienene Kurzgeschichtensammlung ins Deutsche übersetzt, ergänzt durch
       ein aktuelles Vorwort der Autorin.
       
       Wannous’ Erzählungen eignen sich hervorragend, um einen Blick auf Assads
       Syrien vor dem Bürgerkrieg zu werfen. „Dunkle Wolken über Damaskus“ liest
       sich wie eine Art „Short Cuts“ dieser Gesellschaft. In neun beeindruckend
       dicht erzählten Episoden und mit großem Gespür für Gesten und die bisweilen
       saftigen Spuren verschiedener Körperfunktionen macht Wannous anschaulich,
       wie sich großstädtische Syrer unterschiedlicher Klassenlagen mit dem Regime
       ganz gut arrangiert hatten.
       
       ## Mit milder Ironie
       
       Durch personale Erzählweise in angemessenen Abstand gesetzt und mit milder
       Ironie versehen, erfährt man etwa von Hanan, der Gattin eines Journalisten
       bei der staatlichen Zeitung, die durch Affären mit den richtigen Männern
       den eigenen Reichtum sowie die Karriere ihres Mannes aufs Gedeihlichste zu
       befördern weiß. Ihrem aktuellen Liebhaber flüstert sie ins Ohr, sie halte
       die penetranten Fragen der Taxifahrer nicht mehr aus, weshalb ihr in naher
       Zukunft eine eigene rote Limousine vorschwebe. Kein Kapitel später blickt
       man in das Innenleben eines dieser Taxifahrer – unter Assad sind besonders
       viele von ihnen als Spitzel tätig.
       
       Wie wenig säkular geprägt der Baathismus in den letzten Jahren noch war,
       macht nicht nur die Geschichte über den stinkreichen Spender einer
       prächtigen Moschee deutlich. Der Islam hat auch im staatlichen Radio
       Damaskus und sonst wo im Alltag der erbarmungswürdig menschlichen Figuren
       von Wannous seinen je individuellen Platz. Immer allerdings unter
       Aufbietung kleiner Tricks in Übereinstimmung gebracht mit den
       verschiedenen, mehr weltlichen Bedürfnislagen.
       
       Das Ganze kippt oft ins Groteske, und den größten Spaß in dieser Hinsicht
       macht die Erzählung „Fuad“. Wegen Korruption und einem allzu hedonistischen
       Sohn schon mehrfach versetzt, landet ein Verwaltungsangestellter
       schließlich als Direktor in der „Kommission zur Bekämpfung der Armut und
       zur Verbesserung des Lebensstandards“.
       
       Dort faselt er genau einen Morgen lang diensteifrig von der Straße als „die
       Gebärmutter, die grenzenlose Kreativität und demokratisches Denken
       hervorbringt“. Woraufhin seine Untergebenen in einem Brief umgehend seine
       Absetzung fordern, denn: „Dann ist er vielleicht ein Agent. Oder er wurde
       eingeschleust. Oder zumindest arbeitet er mit ausländischen Mächten
       zusammen.“
       
       14 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christiane Müller-Lobeck
       
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