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       # taz.de -- Ein Jahr Schwarz-Grün in Hessen: Kalkulierte Harmonie
       
       > Die erste schwarz-grüne Koalition in einem Flächenland hält nun schon ein
       > Jahr. Die großen Bewährungsproben stehen ihr aber noch bevor.
       
   IMG Bild: Da greifen sie nach dem schwarz-grünen Löwen: Volker Bouffier (vorn), Tarek al-Wazir (hinten)
       
       FRANKFURT taz | Für viele Beobachter war die erste schwarz-grüne Koalition
       in einem deutschen Flächenland nicht nur ein historisches, sondern auch ein
       zum Scheitern verurteiltes Bündnis. Man konnte oder wollte sich nur schwer
       vorstellen, wie die (einst) tiefschwarze Hessen-CDU mit ihren (ehemaligen)
       grünen Erzfeinden eine gemeinsame Regierung bildet.
       
       Die nach der Landtagswahl Ende 2013 geschmiedete Koalition hatte zudem
       etliche vermeintliche Sollbruchstellen, darunter vor allem der Ausbau des
       größten Deutschen Flughafens in Frankfurt, aber auch bei den Themen
       Verkehrs-, Schul- und Umweltpolitik.
       
       Doch entgegen der Unkenrufe, die naturgemäß von der Oppositionsbank durch
       den hessischen Landtag schallen, hält das Bündnis bereits ein Jahr lang.
       Zwar raunt die SPD, die Koalition fahre im „Schlafwagen“ durch Hessen. Und
       die Linke kritisiert hauptsächlich die „rechts-konservativen Hessen-CDU“.
       Doch insgesamt muss man feststellen, dass die schwarz-grüne Zusammenarbeit
       erstaunlich gut funktioniert.
       
       Das zeigt auch der Auftritt der einstigen politischen Erzfeinde am
       Dienstagmittag, als der CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier und der
       frühere grüne Oppositionsführer und heutige Wirtschaftsminister Tarek
       Al-Wazir gemeinsam vor die Kameras traten, um das einjährige Bestehen ihrer
       Koalition zu feiern. Sie sind sich einig. „Das erste Jahr der
       schwarz-grünen Koalition war ein gutes Jahr für Hessen“, sagt Landesvater
       Bouffier. Und Al-Wazir spricht von einem „gemeinsamen Willen der
       Landesregierung, den Zusammenhalt der Gesellschaft zu stärken."
       
       ## Harmonie ist nicht gespielt
       
       Diese demonstrative Harmonie ist nicht gespielt, aber kalkuliert. Es ist
       die große Stärke dieser Koalition, im richtigen Moment stillhalten zu
       können. Meinungsverschiedenheiten werden nicht nach außen getragen, sondern
       in regelmäßigen internen Gesprächsrunden geklärt.
       
       Den vom Willen zur Macht getragenen Pragmatismus, die gegenseitige
       Verlässlichkeit, praktizieren beide Parteien in Hessens größter Metropole
       Frankfurt am Main bereits seit über acht Jahren mit Erfolg. Und nun
       funktioniert die Zusammenarbeit auch auf Landesebene. Die Tatsache, dass
       der Koalition ein Scheitern vorausgesagt wurde, hat beide Parteien
       zusätzlich zusammengeschweißt.
       
       ## Bewusst ein Risiko eingegangen
       
       Union und Grüne sind bewusst ein Risiko eingegangen. Das zeigt sich bereits
       im Koalitionsvertrag, wo es heißt: „Uns ist bewusst, dass diese
       ungewöhnliche Koalition einerseits mit Argwohn, andererseits aber auch mit
       Neugier und hohen Erwartungen beobachtet wird.“ Dieser Koalitionsvertrag
       ist wiederum ein Teil des Erfolgsrezepts von Schwarz-Grün. In ihm werden
       die Kompromissformeln detailliert festgeschrieben, mit denen beide
       politischen Lager leben können – und an die sie sich bisher halten.
       
       So bringt die CDU gegen Widerstände aus den eigenen Reihen die Energiewende
       voran und zeigt sich toleranter gegenüber Minderheiten und Flüchtlingen.
       Die Grünen wiederum müssen neben der Dauerhetze des rechten
       CDU-Abgeordneten Hans-Jürgen Irmer vor allem eine große Kröte schlucken:
       den Ausbau des Frankfurter Flughafens. Um sich daran nicht zu verschlucken,
       versucht die Partei mit „Lärmpausen“ oder einer eigens eingerichteten
       „Stabsstelle Fluglärm“ zu punkten. Ob diese Maßnahmen allerdings fruchten,
       bleibt abzuwarten.
       
       ## Ist Hessen eine bundesweite Perspektive?
       
       Überhaupt liegen die dicken Brocken für Schwarz-Grün noch in der Zukunft:
       Wie werden die hessischen Beamten auf die im Zuge des
       Haushaltskonsolidierung angekündigte Nullrunde reagieren? Wird der
       Flughafen wirklich ausgebaut? Beeinflussen die Pariser Anschläge die
       Debatte um die innere Sicherheit? Und: Wie ändert sich die Stimmung in der
       Bevölkerung, sollte sich die konjunkturelle Lage verschlechtert?
       
       Kurzum: Wird das harmonischen schwarz-grünen Gefüge an diesen Härtetests
       zerbrechen? Oder kann die historische Koalition aus CDU und Grünen
       weiterhin „geräuscharm“ regieren – und damit eine Perspektive für die
       nächste Bundestagswahl 2017 sein?
       
       14 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Timo Reuter
       
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