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       # taz.de -- Film über Stuttgarter Hells Angels: „Sie sind Spießer“
       
       > Regisseur Marcel Wehn möchte in seiner Doku „Ein Hells Angel unter
       > Brüdern“ eine andere Seite des Clubs zeigen. Abseits von Drogen,
       > Prostitution und Gewalt.
       
   IMG Bild: Auf Tour: Regisseur Marcel Wehn hat den Stuttgarter Hells Angels-Chef Lutz Schelhorn fünf Jahre lang begleitet.
       
       taz: Herr Wehn, Sie waren fünf Jahre mit den Hells Angels unterwegs. Wieso
       hat es so lange gedauert, einen Film über den Club zu machen? 
       
       Marcel Wehn: Wenn man einen differenzierten Film drehen möchte, braucht man
       Zeit. Aber die fünf Jahre waren von vielen Pausen geprägt, in denen ich mit
       Lutz Schelhorn darüber diskutiert habe, wie der Film am Ende aussehen soll.
       
       Worüber haben Sie mit dem Stuttgarter Chef diskutiert? 
       
       Die Hells Angels sind es gewohnt, von Journalisten eindimensional und
       negativ dargestellt zu werden. Deshalb war es wichtig, darüber zu reden,
       was für einen Film ich machen möchte und warum ich gewisse Dinge zeige und
       andere nicht. Es gibt auch Dokumentarfilmer, die einfach ihr eigenes Ding
       machen, aber mich interessiert, was mein Protagonist von dem Film hält.
       
       Und was für einen Film wollten Sie drehen? 
       
       Ich möchte zeigen, dass man über die Hells Angels viele Geschichten
       erzählen kann, etwa die von Lutz. Am Anfang des Films zeigen wir zum
       Beispiel die Beerdigung von Lutz’ Bruder, der bei einem Motorradunfall
       gestorben ist. Es sind Hunderte Hells Angels da, und man wird erschlagen
       von diesen Gesichtern und dieser schweigenden Männlichkeit. Man sieht aber
       auch den Zusammenhalt dieser Menschen. Niemand lässt seinen Bruder hängen.
       Denn die Familie, die nun mit leeren Händen dasteht, wird vom Club
       aufgefangen. Schon während der Beerdigung wurden Memory-Utensilien,
       T-Shirts und CDs verkauft, um die Familie finanziell aufzufangen.
       
       Entsteht dadurch nicht die Gefahr, ein zu positives Bild zu zeichnen? 
       
       Die vielen negativen Schlagzeilen über die Hells Angels kennen die meisten,
       deshalb wollte ich sie nicht noch einmal behandeln. Trotzdem gibt es immer
       wieder kritische Momente im Film, zum Beispiel den Fall „Kalli“. Kalli ist
       ein Hells Angel aus Bonn, der einen Polizisten durch die geschlossene Tür
       erschossen hat, als dieser in sein Haus eindringen wollte.
       
       Das ist einer der wenigen Momente im Film, in denen Sie nachhaken … 
       
       Ja, mich hat interessierte, wie in diesem Fall Lutz’ Vorstellungen von
       Loyalität gegenüber Kalli aussehen, wo man sich doch als Brüder versteht.
       Wie er damit umgeht, dass sein „Bruder“ jemanden einfach durch eine
       geschlossene Tür erschießt, ohne zu wissen, wer dahinter steht. Ich wollte
       das mit meiner Position abgleichen. Und in diesem Fall stellt auch Lutz das
       Handeln von Kalli infrage.
       
       Nicht immer ist Lutz Schelhorns Haltung nachvollziehbar, etwa wenn Sie mit
       ihm über die Vergewaltigungsvorwürfe gegen einen Hells Angel sprechen. 
       
       Hier sind Lutz und ich zuerst einer Meinung. Ein Hells Angel aus einem
       anderen Charter, so heißen die einzelnen Clubs, wurde wegen einer
       Vergewaltigung verurteilt. Er ist aber noch immer Mitglied. Lutz sagt, dass
       so jemand im Stuttgarter Charter nichts zu suchen hätte. Fügt dann aber
       hinzu, dass er nicht auf das Urteil des Gerichts vertraue, sondern den Fall
       clubintern klären würde. Die Aussage des Opfers spiele hierbei keine Rolle.
       Diese Erklärung funktioniert für mich nicht und wohl auch nicht für den
       größten Teil der Gesellschaft.
       
       Ist es nicht trotzdem schwer, die Distanz zu wahren, wenn man über so lange
       Zeit mit jemandem unterwegs ist? 
       
       Es entsteht eine Form von Freundschaft, die auf einer professionellen Ebene
       immer wieder zurückgewiesen werden muss. Das kann für den Protagonisten des
       Films manchmal merkwürdig sein, wenn man sich plötzlich distanziert.
       Trotzdem bin ich natürlich auf eine Art befangen, deshalb schneide ich
       meine Film auch nicht allein. Im Schnitt habe ich die Möglichkeit, Distanz
       zu schaffen. Denn dort sieht man das Bildmaterial oft mit ganz neuen Augen.
       Ich hatte eine sehr gute Cutterin, Kathrin Vogt. Die wollte die
       Protagonisten des Films auch nicht im Vorfeld kennenlernen, um mehr Abstand
       zu haben und objektiver entscheiden zu können.
       
       In Ihrem Film zeigen Sie einen der wenigen Journalisten, die sich mehr Zeit
       genommen haben, intensiver über die Hells Angels zu recherchieren. 
       
       Da es keinen Off-Sprecher gibt, habe ich versucht, meine Haltung durch den
       Journalisten Kuno Kruse in den Film hineinzubringen. Kuno Kruse hat sich,
       genauso wie ich, frei gemacht von den Vorurteilen gegenüber den Hells
       Angels. Er möchte den Mythos „Hells Angels“ verstehen und nicht direkt
       verurteilen.
       
       Mit dieser Haltung steht er aber ziemlich allein, oder? 
       
       Ich frage mich, woran das liegt. Manche Meldungen werden einfach durchweg
       falsch verbreitet und verallgemeinert, ohne dass die Angels noch mal
       gefragt würden. Deshalb waren auch viele der Mitglieder und auch Lutz mir
       gegenüber zunächst misstrauisch. Sie sind der Meinung, dass es egal ist,
       was sie tun oder sagen, denn am Ende schreiben Journalisten sowieso
       schlecht über die Hells Angels. Vielleicht verkauft sich das besser. Mein
       Ziel war aber ein anderes. Deshalb war es auch schwer, jemanden zu finden,
       der das Projekt unterstützt. Einige Redakteure von Dritten Sendern etwa
       wollten kein Geld für Kriminelle ausgeben.
       
       Sie haben tiefe Einblicke in das Leben der Stuttgarter Hells Angels
       bekommen. Gibt es trotzdem etwas, was Sie nicht sehen konnten? 
       
       Ich fand schade, dass Lutz mich auf seinen Reisen immer nur zu Chartern
       mitgenommen hat, die ein positives Licht auf den Club werfen. Irgendwann
       wurde auffällig, dass wir bestimmte Charter auslassen, die in den Medien
       aber oft auftauchen. Wir waren nicht in Kiel oder in Flensburg, in Bremen,
       Hannover, Karlsruhe oder Pforzheim.
       
       Wo ist denn der Unterschied zwischen diesen Chartern und dem Stuttgarter
       Club? 
       
       Der Stuttgarter Charter ist mit nur 24 Mitgliedern relativ klein. Trotzdem
       kann man Unterschiede zwischen den einzelnen Clubs erkennen. Bei den
       Stuttgartern ist der Ehrbegriff stark ausgeprägt und der Glaube an den
       Zusammenhalt. Und diese alte Vorstellung von Männlichkeit, die sich keinem
       unterwerfen will. Lutz verfährt nach dem Motto: „Ich sag es dir zwei Mal im
       Guten, erst beim dritten Mal gibt’s Ärger.“ Andere Charter jedoch haben den
       Mythos „Hells Angels“ dazu benutzt, Machtstrukturen aufzubauen, die mit
       kriminellen Handlungen und Gewalttaten einhergehen. Beim Stuttgarter
       Charter hat es schon seit Jahrzehnten keine derartigen Vorfälle gegeben.
       
       Ein Hells Angel werden, käme das für Sie infrage? 
       
       Die Stuttgarter Hells Angels sind Spießer. Das wäre nichts für mich.
       
       Spießer? 
       
       Die haben diese typisch schwäbische Mentalität, die mit einem gewissen
       Spießbürgertum verbunden ist. Das wäre einfach nichts für mich.
       Normalerweise stellt man sich ja vor, dass diese Rockertypen so ein
       abgefahrenes Leben führen. Dass sie mit vier Frauen in einem Wohnmobil
       leben. Aber wie man an Lutz sieht, wohnen auch die Hells Angels in
       Vororten, und zwar in stockkonservativen Nachbarschaften. Sie ziehen ihre
       Rocker-Jacken vor allem am Wochenende an, um gemeinsam Bier zu trinken und
       Bockwurst zu essen.
       
       Werden selbst die Hells Angels irgendwann alt oder woran liegt das? 
       
       Im Grunde ist das der eigentliche Mythos „Hells Angels“, nicht die Drogen
       und das alles. Ursprünglich wurden die Hells Angels in den 40er Jahren in
       den USA gegründet. Von Kriegsveteranen, die sich nicht mehr der
       Gesellschaft zugehörig fühlten. Da haben sich dann Großfamilien
       zusammengetan, mit männlichen Vormunden. Daraus haben sich diese erwähnten
       Begriffe von „Ehre“, „Männlichkeit“ und „Loyalität“ ergeben. Und Lutz ist
       mit ähnlichen Werten aufgewachsen und hat diese Form von Spießigkeit für
       seinen Club übernommen.
       
       15 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christine Stöckel
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