# taz.de -- Kolumne German Angst: Guten Morgen, Abendland
> Ein alter Kampfbegriff ist wieder aufgetaucht. Einer, der verwendet wird,
> um Gruppen aus der Gemeinschaft auszustoßen.
IMG Bild: Kein Licht am Ende des Tunnels: Dresdner Demonstration für das Abendland
Das neue Jahr hat tatsächlich noch schlimmer begonnen, als das alte
aufgehört hatte. Und durch dieses schon so verkorkste 2015 wird uns ein
beinahe vergessenes Wort begleiten: Abendland.
Die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ haben
es aus dem verstaubten Schatzkästlein der schmutzigen Worte heraus gekramt
– da hatte es mit der „Lügenpresse“ gelegen. „Für die Erhaltung und den
Schutz unserer christlich-jüdisch geprägten Abendlandkultur“, heißt es in
ihrem Positionspapier. Nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo werden noch
viele das Abendland für sich entdecken.
Die Anständigen werden den Begriff im Mund führen, mit viel Pathos und der
Annahme, die Aufklärung stehe auf ihrer Seite, hochmoralisch. Das Abendland
ist ein Kampfbegriff, einer, der verwendet wird, um Gruppen aus der
Gemeinschaft auszustoßen. Er soll ein Volk nach einem Wunsch erschaffen –
so wie auch Pegida es möchte. Und darum passt er so gut zu einer
Aus-dem-Bauch-heraus-Bewegung.
Die Rückkehr des Abendlandes in die Köpfe ist ein Prozess kollektiver
Umnachtung, stammt der Begriff doch aus einer Zeit, in der man sich am
Stand der Sonne orientierte. Und die drehte ihnen den Rücken. Mit dieser
dunklen Zeit korrespondiert auch die beinahe allergischen Reaktionen auf
alles, was offen ist und widersprüchlich. Anders.
Oswald Spengler brachte in „Der Untergang des Abendlandes“ das Abendland
genauso gegen den kapitalistischen Westen wie den bolschewistischen Osten
in Stellung. Was daraus folgte, ist bekannt: In Stalingrad scheiterte
dessen Rettung fürs Erste.
Nach 1945 wurde der Begriff um die jüdische Komponente erweitert. Wenn es
um die Abgrenzung gegen Muslime geht, ist den deutschen Abendländlern jeder
Verbündete recht. Auch die Juden. Es ist makaber, aber ausgerechnet an
diesem Punkt zeigt sich, wie tief das Ressentiment gegen Muslime sitzt.
## Eine sehr deutsche Lüge
Die Blindheit gegenüber einer Realität der Ausgrenzung jedenfalls ist Teil
dieser Idee vom Abendland. Und die Erfindung der jüdisch-christlichen
Tradition nichts anderes als der Versuch, die Geschichte zu bereinigen.
Oder anders ausgedrückt: eine sehr deutsche Lüge, „ein Lieblingskind der
traumatisierten Deutschen“ (Almut Shulamit Bruckstein Coruh).
Ganz nebenbei werden so der Holocaust, der Antisemitismus und die
Glaubenskriege zu einer Lappalie, einer Unpässlichkeit in der langen und
harmonischen christlich-jüdischen Geschichte.
Und als wären die Anschläge in Paris nicht schlimm genug: Die Islamophoben
und Rassisten surfen sehr gut auf der Welle des Schocks. Als hätten sie
sich jemals um liberale Cartoonisten geschert. Sie freuen sich, denn sie
hatten es schon immer gewusst. Und anders als sie immer wieder betonen,
sind sie in üppiger Gesellschaft: Mehr als die Hälfte der Deutschen sieht
den Islam als eine Bedrohung. Und diese Zahlen wurden vor den Anschlägen
erhoben.
Und so geht der Wahnsinn weiter. Auch die NPD ist nun Charlie, Teile der
AfD und Pegida. Wie das zusammengeht? Keine Ahnung. Das Abendland ist
jedenfalls da, wo die Sonne untergeht. Gute Nacht.
13 Jan 2015
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DIR Sonja Vogel
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