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       # taz.de -- Hepatitis C in Spanien: Ein Kampf auf Leben und Tod
       
       > Spanischen Hepatitis-C-Patienten wird die teure Medizin Sovaldi
       > vorenthalten. Sie protestieren mit einem Sit-in in einem Krankenhaus.
       
   IMG Bild: Gracia de Miguel und Antonio Fernández in der Empfangshalle im Krankenhaus in Madrid am 12. Oktober.
       
       MADRID taz | „Sí se puede!“ – „Ja, man kann“ –, ruft Gracia de Miguel immer
       wieder. Die 57-jährige Frau ist an Hepatitis C erkrankt. Zusammen mit zwei
       Dutzend Leidensgenossen hat sie am Ende eines Protestmarsches von
       Zehntausenden am Samstag durch die Madrider Innenstadt einen Brief an
       Ministerpräsident Mariano Rajoy im Regierungspalast Moncloa abgegeben.
       „Behandlung für alle“ heißt die Forderung.
       
       „Wir wollen die Medikamente der neuen Generation“, sagt de Miguel, die im
       Rollstuhl sitzt. Gemeint ist der Wirkstoff Sofosbuvir, den der
       US-Pharmakonzern Gilead unter dem Namen Sovaldi vertreibt. Das Medikament
       ist seit Anfang 2014 in Europa zugelassen.
       
       In nur zwölf Wochen eliminiert Sovaldi in einem Mix mit weiteren
       Medikamenten den Hepatitis-C-Virus. Und das so gut wie ohne Nebenwirkungen.
       Bei 95 Prozent soll eine Therapie erfolgreich sein. Das ist fast doppelt so
       gut wie bisher. Doch das Ganze hat einen Haken. Sovaldi ist teuer, sehr
       teuer.
       
       „1.000-Dollar-Pille“ wurde das Medikament in den USA vom Volksmund getauft.
       Anfänglich kostete eine 12-wöchige Therapie mit einer täglichen Tablette
       84.000 Dollar – bei einem geschätzten Herstellungspreis von rund 100 bis
       200 Dollar pro 84-Tabletten-Packung. Der Hersteller hat mit verschiedenen
       Ländern unterschiedliche Preise ausgehandelt. In den Entwicklungsländern
       liegen die Kosten für eine Behandlung unter 1.000 Dollar. „Hier in Spanien
       sind es 25.500 Euro“, zitiert de Miguel Zahlen, die durch die Presse gehen,
       ohne dass das Gesundheitsministerium diese bestätigt oder dementiert. Mit
       den Zusatzelementen kostet die Therapie pro Patient über 40.000 Euro.
       
       ## 60 Milliarden für die Banken waren da
       
       Hepatitis C ist eine heimtückische Krankheit. Jahrzehntelang kann das Virus
       im Körper ruhen. Sobald es aktiv wird, geht es rapide bergab. Das Virus
       greift die Leber an. Zirrhose oder Leberkrebs führen zum Tod. De Miguel,
       die im Alter von fünf Jahren eine Kinderlähmung erlitt, wurde 1987 an der
       Wirbelsäule operiert. Bei einer Bluttransfusion wurde sie mit Hepatitis C
       infiziert. Mittlerweile hat sie erste Leberschäden.
       
       Mit einem Dutzend Leidensgenossen hat sie die Eingangshalle eines der
       größten Krankenhäuser Madrids, des Hospital 12 de Octubre, besetzt. „Die
       Sparpolitik tötet!“ steht auf dem roten Shirt, das die Besetzer tragen.
       „Verbrecher“, nennt die kranke Frau Rajoy und dessen Gesundheitsminister
       Alfonso Alonso. „Sie könnten uns heilen und tun es nicht!“, schimpft die
       frühpensionierte Sekretärin.
       
       125 Millionen Euro hat die Regierung zugesichert, um das neue Medikament
       einzukaufen. Damit können rund 4.900 Patienten behandelt werden. Insgesamt
       gibt es in Spanien geschätzte 800.000 Hepatitis-C-Infizierten. Die meisten
       haben sich bei Transfusionen oder bei Reihenimpfungen angesteckt. „Der
       Betrag ist völlig unzureichend“, schimpft Antonio Fernández,
       Hepatitis-C-Patient und Sprecher der neugegründeten Plattform der
       Infizierten (PlafHC), die hinter den Aktionen steht. Die PlafHC verlangt,
       dass in einem ersten Schritt 800 Millionen Euro investiert werden, „um all
       diejenigen zu behandeln, bei denen das Virus bereits die Leber angegriffen
       hat“. Die Gesundheitsbehörden wollen nur diejenigen therapieren, die kurz
       vor dem totalen Leberversagen stehen. Pro Tag sterben in Spanien rund ein
       Dutzend Hepatitis-C-Patienten.
       
       „Geld wäre da“, ist sich der PlafHC-Sprecher sicher. „Für die Rettung der
       angeschlagenen Banken hat Spanien 60 Milliarden Euro ausgegeben. Bankrotte
       Mautautobahnen werden mit 2,4 Milliarden finanziert und ein Erdgaslager,
       das im Erdbebengebiet errichtet wurde und nun eine Bauruine ist, mit 1,3
       Milliarden“, rechnet Fernández vor. Gleichzeitig wurden im Gesundheitswesen
       Milliarden eingespart, Einrichtungen privatisiert. „Kriminell“ nennt
       Fernández die Politik der Konservativen im Dienste der Eurorettung.
       
       ## Patent enteignen
       
       Am Infotisch, den die Besetzer in der Eingangshalle aufgestellt haben,
       melden sich ständig weitere Erkrankte mit ihren Unterlagen. Die PlafHC
       wächst und wächst. Nach dem Protestmarsch vom Samstag ist für den 21.
       Januar ein Buskonvoi nach Brüssel geplant. Dort werden die spanischen
       Hepatitis-C-Patienten von den fünf EU-Parlamentariern der neuen
       Protestpartei Podemos empfangen. Deren Vorsitzender Pablo Iglesias hat eine
       ungewöhnliche Idee, den Erkrankten zu helfen.
       
       „Die Regierung muss sich mit dem Konzern an einen Tisch setzen und denen
       klarmachen, dass sie sich nicht dumm und dusselig verdienen können auf
       Kosten der Menschen in unserem Land“, sagt der 36-jährige Politikprofessor.
       Falls der Konzern keine besseren Preise anbiete, müsse das Patent für
       Sovaldi enteignet werden. Das sogenannte Trips-Abkommen sieht dies bei
       besonders teuren Medikamenten vor. Bisher wurden Zwangslizenzen aber nur in
       Entwicklungsländern vergeben.
       
       11 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reiner Wandler
       
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