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       # taz.de -- Erinnerungen an Jean Cabut: Als verliere man gute Freunde
       
       > Unsere Autorin wuchs mit den Karikaturen von Cabu auf – nun ist er tot.
       > Der Anschlag auf „Charlie Hebdo“ hat Frankreich bewegt. Wohin ist noch
       > unklar.
       
   IMG Bild: In Marseille erinnert ein Bild des Künstlers Julien an den getöteten Jean Cabut
       
       Ein Idol meiner Kindheit ist am Mittwoch gestorben. Unter den Opfern des
       Attentates auf die Redaktion von Charlie Hebdo befand sich der Karikaturist
       Cabu, dessen Werk mich von Anfang an begleitet: In den 80ern zeichnete er
       live in der Kindersendung Récré A2. Vor allem die Nase der Moderatorin
       Dorothée musste unter seinem frechen Strich leiden: Mit den Jahren wurde
       sie immer länger.
       
       Sich selbst zeichnete Cabu mit zunehmendem Verbandszeug um den Kopf – als
       würde sich Dorothée nach jeder Sendung an ihm mit immer heftigeren Schlägen
       rächen. Jetzt ist er tot, von Islamisten erschossen.
       
       Ich durfte Cabu auch einmal live erleben. Das war 2007 bei der Eröffnung
       der Wanderausstellung [1][„Cartooning For Peace“ in Paris]. Das Projekt war
       nach der Affäre um die dänischen Mohammed-Karikaturen 2005 – die auch von
       Charlie Hebdo veröffentlicht wurden – von der UNO in Zusammenarbeit mit
       Plantu, Zeichner bei Le Monde, initiiert worden. Jede Station der
       Ausstellung wurde von einer öffentlichen Debatte eröffnet, bei der sich
       internationale Karikaturisten über ihre Arbeit und ihre Verantwortung als
       Polemikern austauschten.
       
       „Ist die politische Karikatur in Gefahr?“, lautete damals die Frage. Ali
       Dilem aus Algerien berichtete, wie er regelmäßig vor Gericht zitiert wird,
       wenn er beispielsweise den Präsidenten Abdelaziz Bouteflika karikiert.
       Einige KollegInnen gaben zu, sich mittlerweile selbst zu zensieren – aus
       Angst vor Repressalien, aber auch, um die Gefühle anderer nicht zu
       verletzen.
       
       ## „Wir stehen unter Schock“
       
       Auch Cabu saß am runden Tisch. Er war ein eher wortkarge Künstler. Ich weiß
       noch, wie meine Schwester Catherine und ich uns über seine Anwesenheit
       freuten. Wie kleine Kinder. Wir waren Fans.
       
       Von Catherine blinkt am Mittwoch plötzlich eine Nachricht in meiner Mailbox
       auf: „Keine Ahnung, ob du die Nachrichten verfolgst. Hier ist alles
       verrückt“, schreibt sie. Schießerei, Charlie Hebdo, Cabu, Wolinski und
       Charb. „Wir stehen unter Schock.“ Schon haben auf Facebook ein Dutzend
       meiner Freunde ihr Profilbild mit einem schwarzen Quadrat als Zeichen ihrer
       Trauer ersetzt. In manchen steht schon der Ausspruch: „Je suis Charlie.“
       Für 18 Uhr wird zur Versammlung am Pariser Place de la République
       aufgerufen. International sind ähnliche Demos geplant: In Spanien, den USA,
       Argentinien, Ägypten, Berlin.
       
       Ich schreibe meiner Schwester, sie solle vorsichtig sein, falls sie da
       hingeht. Die politische Stimmung in Frankreich ist derzeit schon angespannt
       genug. „Schon möglich, dass man plötzlich inmitten von Extremisten steht“,
       antwortet sie, „vor allem bei solchen spontanen Demos.“
       
       Wenn ich nicht gerade auf einer 2.500 km entfernten Insel im Atlantik wäre,
       würde ich sofort zur Demo rennen. Aber Catherine hat recht: Man muss einen
       kühlen Kopf bewahren. Dass wohl Islamisten hinter dem Anschlag stehen, ist
       für Islamhasser ein gefundenes Fressen. Welche Extremisten sie meint?
       „Lepenisten“, antwortet sie.
       
       ## Schweigeminute in der U-Bahn
       
       Am nächsten Tag erkundige ich mich bei französischen FreundInnen nach der
       Situation. Es hagelt Antwortmails. Geneviève arbeitet als Illustratorin nur
       ein paar Straßen von Charlie Hebdo entfernt: „Als ich den Grund für das
       ständige Sirenengeheule erfuhr, war ich traurig, wütend und fassungslos. So
       als hätte ich gute Freunde verloren.“
       
       Im Telegrammstil berichtet Marianne über die Pariser Demo: „Kein Geschrei,
       viel Meinungsfreiheit, ein wenig Laizität, einzelne Marseillaise.“
       Anne-Lise hatte einen Termin im Krankenhaus: „Alle Pfleger trugen einen
       ,Ich bin Charlie‘-Button“. Aus Marseille schreibt Loeïza: „Alle reden nur
       noch vom Anschlag.“ Catherine: „Selbst in der U-Bahn wurde die
       Schweigeminute eingehalten.“ – „Im Altersheim auch!“, ergänzt mein Vater.
       
       Mehdi trauert um die Künstler, die ermordet wurden, vor allem um Wolinski
       und Cabu, die er doch schon so lange kennt. Sie „repräsentierten das
       kämpferische, intelligente, freche und aufmüpfige Frankreich – ein
       Frankreich, das allmählich zu verpuffen droht“. Meine Freunde hoffen
       unisono, die Bürger würden nun wachgerüttelt, um eine Grundsatzdebatte über
       Werte wie Freiheit und Frieden zu führen.
       
       Aber alle fürchten auch, es könnte genau so gut zum Gegenteil führen:
       „Angst, Teilung, Gewalt“, listet Geneviève auf. Die Gleichsetzung
       Muslim/Islamist steht hoch im Kurs. Und wie das tragische Ereignis keine 20
       Stunden nach dem Attentat bereits für reaktionäre und absurd
       widersprüchliche Zwecke instrumentalisiert wird, macht Mehdi wenig Mut.
       
       11 Jan 2015
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.cartooningforpeace.org/?lang=en
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Elise Graton
       
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