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       # taz.de -- Überwachung potenzieller Attentäter: Durch die Maschen geschlüpft
       
       > Kouachi und Coulibaly waren schon vor Jahren aufgefallen, aber ihre
       > Überwachung wurde reduziert. Reichen die Mittel der
       > Terrorismusbekämpfung?
       
   IMG Bild: Am Samstag in Paris, Porte de Vincennes
       
       PARIS taz | Immer mehr Einzelheiten sind bekannt geworden über den
       Werdegang der drei islamistischen Terroristen, die in den letzten Tagen in
       Frankreich mit ihren mörderischen Anschlägen Angst und Schrecken verbreitet
       haben. Die französischen Zeitungen haben sowohl all ihre familiäre Probleme
       geschildert, als auch die Tatsache, dass sie sich mehr oder weniger wie
       alle anderen Jungen vergnügten, bevor sie sich zu radikalen Islamisten
       entwickelt haben.
       
       Heute stellt sich aber auch die Frage, wie es kommen konnte, dass diese
       drei – 32 und 34 Jahre alten – Männer, Chérif und Saïd Kouachi und Amedy
       Coulibaly, die alle der Antiterrorpolizei und auch der Justiz seit vielen
       Jahren schon bekannt waren, zuletzt doch durch alle Maschen der Überwachung
       schlüpfen konnten.
       
       Am Freitagabend räumte Premierminister Valls, der zuerst die Arbeit der
       Polizei in den letzten Tagen und Stunden würdigen wollte, freimütig ein,
       dass es zweifellos „Lücken“ in der Überwachung gegeben habe. Er gab indes
       zu bedenken, dass es niemals „null Risiko“ geben werde. Denn, wie auch im
       Fall der Brüder Kouachi, könne es potenziell gefährlichen Radikalen
       gelingen, sich ruhig zu verhalten – und so die Wachsamkeit der zuständigen
       Beamten zu täuschen.
       
       Vor allem aber seien diese Dienste überfordert von der Zahl der potenziell
       gefährlichen Sympathisanten des radikalen Islamismus. Rund 1.400 seien nach
       Syrien oder Irak in den Dschihad gegangen oder beabsichtigten, dies zu tun.
       Die Regierung könne nicht jeden individuell um die Uhr überwachen, gesteht
       der Premierminister, der auch darauf hinweist, dass die Mittel der
       Terrorismusbekämpfung und der Prävention bereits massiv verstärkt worden
       sind.
       
       ## „Keine Priorität“ wegen brisanterer Risiken
       
       Verhaltene Kritik kommt auch aus den USA. Mehrere Reisen von Saïd Kouachi
       nach Jemen ab 2009 und ein längerer Aufenthalt dort, allem Anschein nach in
       einem Kaida-Ausbildungslager, hätten bei den französischen Polizeidiensten
       Alarm auslösen müssen, heißt es aus amerikanischen Geheimdienstquellen. Für
       Frankreich sei aber damals Jemen „keine Priorität“ gewesen und die
       Kontrollen der beiden Kouachi-Brüder seien wohl mit der Zeit etwas
       vernachlässigt worden, weil es andere aktuellere und brisantere Risiken
       gab.
       
       Zu spät wurde auch entdeckt, welche langjährigen Verbindungen zwischen
       Chérif Kouachi und Amedy Coulibaly existierten. Beide standen im Gefängnis
       in Kontakt mit äußerst gefährlichen und verurteilten Organisatoren von
       Attentaten. Erst jetzt erfährt man auch, dass Chérif Kouachis Gattin und
       Coulibalys Partnerin Hayat Boumedienne, die wegen ihrer eventuellen
       Beteiligung an der blutigen Geiselnahme noch steckbrieflich gesucht wird,
       seit Jahren enge Freundinnen sind.
       
       Coulibaly war in seiner Jugend fünf Mal wegen Raubüberfällen verurteilt und
       von Gerichtspsychiatern als „unreife und psychopathische Persönlichkeit“
       beschrieben worden. Dennoch gelang es ihm, alle zu überlisten. Sogar den
       damaligen Staatspräsidenten Sarkozy, der ihn im Juli 2009 zusammen mit
       anderen Teilnehmern eines Programms für professionelle Integration im
       Elysée-Palast empfing. Wie ein Musterschüler gab Coulibaly der Zeitung Le
       Parisien dazu ein Interview. Nichts verrät, dass er damals schon Vorstrafen
       hatte und mit Chérif Kouachi in derselben islamistischen Gruppe aktiv war,
       die rund fünfzig Jungen nach Irak und Syrien in den Krieg geschickt hatte.
       
       ## Kontakte verheimlicht
       
       Offen ist derzeit noch, wie diese Terroristen zu ihren schweren Waffen und
       der Munition kamen. In französischen Medien wird dazu berichtet, wie leicht
       es angeblich sein soll, im Internet für gerade mal 300 Euro eine
       Kalaschnikow aus Ex-Jugoslawien zu kaufen. Auch in der französischen
       Unterwelt sind diese Waffen sehr verbreitet. Insgesamt sollen rund hundert
       Millionen Schnellfeuergewehre dieses sowjetischen Modells im Umlauf sein.
       
       In einem Telefongespräch mit dem Fernsehsender BFMTV soll Saïd Kouachi vor
       der Erstürmung ihres Verstecks in einer Druckerei gesagt haben, er sei im
       Jemen nicht nur von Al-Kaida ausgebildet, sondern auch geschickt und
       finanziert worden. Wenn das stimmt, ist es ihm aber auch gelungen, diese
       Kontakte zu verheimlichen. Sicherheitsexperten wie der ehemalige Gründer
       der Sondereinheit GIGN, Christian Prouteau, bedauern in diesem Zusammenhang
       den Mangel an Mitteln und Personal. Das führe leider dazu, dass bei der
       Überwachung Prioritäten gesetzt werden, und derzeit gelte das Augenmerk vor
       allem den aus Syrien heimkehrenden Dschihadisten, die als besonders schwere
       Bedrohung eingestuft werden.
       
       Nun muss man im Nachhinein die Lehren daraus ziehen. Man hat zwar
       verstanden, dass es Leute gibt, die wie bei der Spionage als „schlafende
       Agenten“ während Jahren den Anschein braver Bürger erwecken können, bevor
       sie aktiv werden. Das ist allerdings alles andere als beruhigend für die
       Bevölkerung – und eine ganz besondere Herausforderung für die
       Verantwortlichen der Staatssicherheit.
       
       10 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Rudolf Balmer
       
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