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       # taz.de -- Bremen trauert um Charlie Hebdo: Getrenntes Gedenken
       
       > In der Bremer Bürgerschaft wurde der ermordeten Karikaturisten aus Paris
       > gedacht. Auch islamische Gemeinden trauern – allerdings woanders und
       > unter sich.
       
   IMG Bild: Gemeinsames Gedenken nach dem 11. September: Damals beteten christliche und muslimische Geistliche gemeinsam.
       
       BREMEN taz | Beim Freitagsgebet in der Al-Fadilah-Moschee in der Bremer
       Innenstadt herrschte angespanntes Schweigen. Und auch wenn der
       Mord-Anschlag auf MitarbeiterInnen des Pariser Satiremagazins Charlie Hebdo
       nicht ausdrücklich angesprochen wurde, lag die inhaltliche Nähe doch auf
       der Hand: Der Prophet lehne Gewalt ab und verachte die Zwietracht und den
       Hass, sagte der Imam.
       
       Wegen Mohammeds außergewöhnlicher Sprachfertigkeit könne es daran in der
       Auslegung auch keine Zweifel geben. Einen solchen Anspruch, die heilige
       Schrift deuten zu können, erheben allerdings auch Islamisten. Eben darum
       könnte man auch nicht sagen, dass der Islam mit dem Terrorismus nichts zu
       tun habe, sagte ein Gemeindemitglied: „In Bremen rufen heute viele im Namen
       des Islam zum Gebet.“ Darunter seien „gefährliche Menschen“. Auch andere
       Besucher sprechen auf dem Weg aus der Moschee über Frankreich. „Das ist
       schrecklich“, sagt einer in gebrochenem Deutsch. Von einer
       Gedenkveranstaltung in der Bürgerschaft habe er nichts gehört.
       
       Dort sprach Bürgerschaftspräsident Christian Weber (SPD) am Abend von einem
       „Anschlag auf die Seele und Würde des Individuums“ – ein Gefühl, das ihn an
       den 11. September erinnere. Zur offiziellen Trauerfeier in der Bürgerschaft
       waren rund 200 BesucherInnen gekommen. Die Veranstaltung sollte besorgten
       BremerInnen eine Raum geben, ihrer Trauer Ausdruck zu verleihen, sagte
       Weber. Zugleich warnte er davor, dass rechte Populisten die Anschläge für
       ihre Zwecke missbrauchen könnten. Deren potenzielle Opfer allerdings, die
       Muslime, kamen in der Rede nur indirekt vor. Ein ausdrückliches
       Gesprächsangebot an die islamischen Verbände sei im Vorfeld nicht
       ausgesprochen worden, sagte Bürgerschafts-Pressesprecher Horst Monsees zur
       taz. Man habe lediglich über „die üblichen Kanäle“ eingeladen.
       
       Aber auch ohne eine ausdrückliche Einladung zur Gedenkveranstaltung, ist
       die Stadt durchaus im Gespräch mit den islamischen Verbänden. Der Bremische
       Verfassungsschutz bemüht sich in Zusammenarbeit mit den Gemeinschaften
       schon länger um Präventionsarbeit. Wo es dafür zu spät sei, müsse das Ziel
       nun Deradikalisierung heißen, sagte Verfassungsschützer Hans-Joachim
       Wachter gegenü ber Radio Bremen. Besonders die vier aus Syrien
       zurückgekehrten IS-Terroristen sind im Visier der Behörde. Als Reaktion auf
       den Pariser Anschlag haben Polizei und Verfassungsschutz einen Krisenstab
       ins Leben gerufen.
       
       Auch die christlichen Kirchen bemühen sich um den Dialog – und darum, die
       Ruhe zu bewahren. Pastor Volker Keller von der Bremischen Evangelischen
       Kirche warnte davor, Pegida-Anhänger könnten die Anschläge für ihre Zwecke
       missbrau chen. Am kommenden Sonntag soll es bei einem Gottesdienst in der
       Stadtkirche Vegesack um die Verständigung der Religionen gehen. Anschließen
       diskutiert Keller mit Imam Bilal Güney und Vahit Bilmez von der Islamischen
       Föderation Bremen über die Radikalisierung von Muslimen, Islamfeindlichkeit
       und den Islam in Bremen.
       
       In Bremen überwiegen allerdings die Solidaritätsbekundungen:
       MitarbeiterInnen des Institut Français bedankten sich in der Bürgerschaft
       für die zahlreichen Einträge in die Kondolenzbücher, für Blumenspenden und
       Hilfsangebote aus der Nachbarschaft. Immer wieder mischte sich
       Kampfbereitschaft unter die Trauer: Weber kündigte an, weiterhin
       anti-islamistische Karikaturen in der Bürgerschaft auszustellen. Man werde
       sich mit „allen Mitteln von Rechtsstaat und Zivilisation“ gegen die
       Angriffe zur Wehr setzen. Und letztlich ist man sich darin mit den
       Moschee-Besuchern einig: „Wir leben jetzt in diesem Land“, sagte einer,
       „und es ist unsere Aufgabe, es gegen die Mörder im Namen des Islam zu
       verteidigen.“
       
       9 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan-Paul Koopmann
       
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