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       # taz.de -- Initiative will Tierwohl fördern: Das Ende der Sparschwein-Haltung
       
       > Mehr Platz im Stall und weniger Stress für die Tiere: Große Supermärkte
       > wollen tausende Bauern dafür bezahlen, dass sie ihre Tiere besser
       > behandeln.
       
   IMG Bild: Für zehn Prozent mehr Platz im Stall gibt es je Schlachtschwein 2,80 Euro extra.
       
       Die Schweine für mein Schnitzel werden auf engstem Raum in fensterlosen
       Ställen eingesperrt. Bioware kommt zwar aus Höfen mit Auslauf und mehr
       Platz, ist mir aber zu teuer. Und Fleisch will ich, einfach weil es
       schmeckt. Ein Dilemma ohne Ausweg?
       
       Keinesfalls, sagt der Deutsche Bauernverband. Am Dienstag, kurz vor Beginn
       der weltgrößten Agrarmesse Grüne Woche in Berlin, wird sich die maßgeblich
       von ihm organisierte „Initiative Tierwohl“ der Öffentlichkeit präsentieren.
       Sie soll die Massentierhaltung salonfähig machen – nach all den Skandalen
       um an die Wand geworfene Ferkel, mit Mistgabeln aufspießte Enten und
       zerrupften Hühnern.
       
       Die Idee: Die großen Supermarktketten zahlen für jedes verkaufte Kilogramm
       Schweine- und Geflügelfleisch 4 Cent in einen Fonds ein. Der überweist den
       Bauern dann Zuschläge, wenn sie ihre Tiere besser behandeln, als das Gesetz
       vorschreibt. Für 10 Prozent mehr Platz im Stall etwa gibt es je
       Schlachtschwein 2,80 Euro extra.
       
       Es wäre nicht das erste Projekt für mehr Tierschutz. Viele sind
       gescheitert. Der Marktanteil des vor zwei Jahren gestarteten „Mehr
       Tierschutz“-Siegels des Tierschutzbundes etwa ist bis heute kaum messbar.
       Schuld ist laut Experten vor allem der Handel, der für das Fleisch mit dem
       blauen Label nie richtig warb.
       
       ## Druck aus der Politik
       
       Bei der neuen Initiative dagegen sind fast alle großen Supermarktkonzerne
       dabei: Aldi, Edeka/Netto, Lidl/Kaufland, Rewe/Penny und Kaiser’s
       Tengelmann. Sie teilen rund 80 Prozent des Umsatzes im deutschen
       Lebensmitteleinzelhandel unter sich auf. „Die Einzelhandelsunternehmen
       zahlen seit dem 1. Januar in den Fonds ein“, sagt Alexander Hinrichs,
       designierter Geschäftsführer der Gesellschaft zur Förderung des Tierwohls,
       Trägerin des Projekts. Für Schweinefleisch sollten so jedes Jahr bis zu 64
       Millionen Euro, für Geflügel rund 20 Millionen zusammenkommen. Die Konzerne
       haben sich zunächst für drei Jahre verpflichtet.
       
       Unklar ist bislang, wie viele Landwirte mitmachen werden. Schweinehalter
       können sich erst ab April anmelden. Wann die Geflügelbetriebe folgen, ist
       noch nicht bekannt. Wahrscheinlich werden am Ende aber mehr Betriebe in der
       Initiative versammelt sein als die wenigen Biohöfe, die bei Schweinefleisch
       laut Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft nur auf rund 0,5 Prozent und
       bei Geflügel auf 1,5 Prozent Marktanteil kommen.
       
       Der Bauernverband, der fast alle deutschen Landwirte organisiert, wirbt
       massiv für die Teilnahme. Und Pressesprecherin Jana Püttker von der
       Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands sagt: „Die Landwirte
       haben ja auch gemerkt, dass es eine gesellschaftliche Diskussion um die
       Tierhaltung gibt und insbesondere auch um Tierwohl im Stall.“
       
       Tatsächlich wächst der Druck aus der Politik. Die rot-grünen
       Landesregierungen in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und
       Schleswig-Holstein wollen das Kürzen von Schweineschwänzen und
       Geflügelschnäbeln verbieten. Bisher werden die Tiere massenhaft
       verstümmelt, damit sie sich in der reizarmen Umgebung und dem Stress in den
       Ställen nicht gegenseitig in den Schwanz beißen oder bepicken können.
       
       ## Bonus für mehr Platz
       
       Das System der Tierwohl-Initiative setzt dagegen auf eine Mischung von
       verpflichtenden und freiwilligen Maßnahmen, die über den gesetzlichen
       Standard für die Haltung hinausgehen. Wer teilnimmt, muss mindestens eines
       der beiden Kriterien „10 Prozent mehr Platz“ und „Ständiger Zugang zu
       Raufutter“ wie Stroh oder Erbsenschalen erfüllen. „Raufutter ist positiv,
       weil es einerseits den Tieren als Beschäftigungsmaterial dienen kann und
       andererseits die Darmgesundheit fördert“, erläutert Tierschutzexperte Lars
       Schrader vom bundeseigenen Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit.
       
       Er hätte sich zwar mehr als 10 Prozent zusätzlichen Platz gewünscht, aber:
       „Wir wissen aus der Praxis, dass bei 10 Prozent schon die Gewichtszunahme
       steigt. Da kann man sich vorstellen, dass die Tiere mehr Bewegungsfreiheit
       haben und weniger gestresst sind.“ Pro erfülltem Kriterium bekommen die
       Landwirte jeweils 2,80 Euro mehr pro Schlachtschwein.
       
       Um noch mehr Bonus zu kassieren, können die Bauern mehr Platz schaffen. Hat
       ein Tier 40 Prozent mehr Stallfläche, gibt das auf einen Schlag 8 Euro. 20
       Prozent bringt die Hälfte, eine Liegefläche mit einer weichen Unterlage
       2,50 Euro und Auslauf 1 Euro. All das sollen private Kontrollstellen
       regelmäßig und unangekündigt überprüfen.
       
       Sabine Ohm ist Expertin für Schweinehaltung bei der Tierschutzorganisation
       Pro Vieh. Sie hat die Grundlagen des Systems anfangs mitkonzipiert. Als die
       Grundzüge standen, haben die Wirtschaftsvertreter die Details aber lieber
       ohne die lästigen Tierschützer festgelegt. Ohm kritisiert jetzt vor allem,
       dass die Bauern auf Raufutter verzichten können, obwohl es nachweislich
       einen großen Vorteil für das Tierwohl bringe. Aber sie hofft, dass das bald
       geändert wird. „Wir werden in einem Beirat sitzen, der dem Fachausschuss
       bei der Entscheidung über die Kriterien zur Seite stehen soll“, sagt Ohm.
       
       ## Biosiegel bleibt besser
       
       Trotz aller Kritik an Einzelheiten urteilt die Tierschützerin: „Die
       Initiative ist schon strukturell gesehen ein ziemlich großer Wurf.“
       Erstmals würde der großen Mehrheit der konventionellen Landwirte Anreize
       gegeben, mehr für den Tierschutz zu tun. Die Kriterien seien flexibler als
       die von Siegeln, so dass mehr Tierhalter einsteigen könnten.
       
       Ohm lobt zudem, dass die Betriebe der Initiative den Antibiotikaverbrauch
       und den Gesundheitszustand der Tiere bei der Schlachtung analysieren lassen
       müssen. „Da kann man sehr schnell sehen, wo Bauern sind, die
       Beratungsbedarf in Sachen Tierwohl haben“, formuliert Ohm diplomatisch.
       Soll heißen: Tierquäler fallen leichter auf.
       
       Selbst die Zeitschrift der ökologisch orientierten Arbeitsgemeinschaft
       bäuerliche Landwirtschaft schreibt: „Ein Ruck geht durch Deutschlands
       Ställe.“ Man könne meinen, „hier sei ein Stück Geschichte geschrieben
       worden“. Auslauf, Raufutter, mehr Platz – das verlangten ja auch
       Bioverbände. Der Bauernverband akzeptiere endlich, dass diese Kriterien
       „den anzustrebenden Zustand wiedergeben“.
       
       ## Keine Hinweise auf Verpackungen
       
       Also soll man jetzt tatsächlich Fleisch bei Aldi kaufen? „Die private
       Tierwohl-Initiative ist nur ein kleiner Schritt“, sagt Niedersachsens
       Agrarminister Christian Meyer (Grüne) der taz. In der Tat werden die Tiere
       auch in den meisten Betrieben der Tierwohl-Initiative stärker leiden als
       etwa auf Biohöfen. Sie erlaubt zum Beispiel weiterhin, Schweine und Hühner
       zu verstümmeln. Die Landwirte können sich für den Bonus „Auslauf“
       entscheiden, aber auch für andere Optionen wie Scheuermöglichkeiten, die
       lange nicht so viel Tierwohl garantieren.
       
       Die Supermärkte wollen dem Käufer auf der Verpackung nicht verraten, welche
       Kriterien der Stall erfüllt, aus dem genau sein Schnitzel kommt. „So ist
       keine Wahlfreiheit und keine Honorierung von mehr Tierschutz durch den
       Verbraucher möglich“, kritisiert Meyer. Er will lieber neue Gesetze: Die
       Art der Haltung soll auf der Packung gekennzeichnet, das Kupieren verboten
       werden. Davon dürften private Initiativen nicht ablenken.
       
       Wer Fleisch essen will, das garantiert auf einem hohen Tierschutzniveau
       erzeugt wurde, der muss weiter zum Biosiegel greifen, auch wenn das locker
       150 Prozent mehr kosten kann. Sparen lässt sich nur dadurch, Fleisch so
       selten zu essen, wie es Ernährungswissenschaftler empfehlen: nicht mehr als
       300 bis 600 Gramm pro Woche.
       
       12 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jost Maurin
       
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