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       # taz.de -- Die Ästhetik der Gendernormen: „Muschirosapink“
       
       > Früher galt sie als aggressiv und männlich, später als feminin,
       > pathologisch und Kennzeichen der Tussis. Die Historie einer Farbe.
       
   IMG Bild: Dieses Kunstwerk von James Turell hat genug Pink für alle von uns.
       
       Pink war das Dreieck, das homosexuelle Männer während des
       Nationalsozialismus markieren sollte. Rosa ist das Leben von Edith Piaf.
       Rosa, pink und lila ist die Mädchenabteilung in günstigen Textilketten.
       Gegenüber, bei den Jungs, ist es blau und grün. 
       
       Pink ist das englische Wort für alle Rosatöne. Auf Deutsch gelten
       insbesondere schrille Rosatöne, die einen geringen Weißanteil haben, als
       Pink. Mitgemeint sind auch Töne wie Fuchsia und Magenta, die rotviolett
       sind. Blassere Nuancen wie Rosé oder Altrosa bekommen in der Regel ihre
       eigene Benennung.
       
       Dass Pink Mädchenhaftigkeit zugeschrieben wird, war nicht schon immer so.
       Vor dem Zweiten Weltkrieg galt Rosa noch als eine sehr aggressive Farbe,
       zumal sie „das kleine Rot“ genannt wurde und somit eine abgeschwächte
       Version des Synonyms für Blut und Kampf symbolisierte. Dieser Pathos war
       immer eine Zuschreibung für Männlichkeit, während Weiblichkeit mit Unschuld
       und Reinheit assoziiert wurde. Ein sanftes Blau, wie es die Jungfrau Maria
       in jeder ihrer Darstellung trägt, passte damaligen Standards nach viel
       besser zu heranwachsenden Frauen.
       
       Als das Rosa Dreieck im Nationalsozialismus schwule Männer markieren und
       sanktionieren sollte, war die Farbe lediglich mit Verkindlichung, nicht
       aber mit Verweiblichung behaftet. In der Weimarer Republik etablierte sich
       Lila und nicht Rosa als die Farbe der Homosexualität, zum Beispiel bei dem
       Ball der „Lila Nacht“. Lila wiederum gehört heute dem Feminismus und
       Lesbianismus und wird in nicht unumstrittenen pseudopsychologischen
       Farbanalysen als Farbe der sexuellen Frustration bewertet.
       
       ## Eine Frage des Budgets
       
       In der Nachkriegszeit steigerte sich die Tendenz, Rosa mit Weiblichkeit und
       Blau mit Männlichkeit zu verknüpfen. Schwule und Lesben kämpften für ihre
       Rechte – das allerdings eher getrennt als gemeinsam. Das rosa Dreieck wurde
       in diesen Bewegungen neu angeeignet und gilt heute noch als
       selbstermächtigendes Symbol für schwule Identitäten.
       
       Wer dagegen als kleines Mädchen eine Vorliebe für Rosa hat, gilt nun in den
       Augen mancher Eltern akademischen Hintergrunds als unterdrücktes Wesen. Wie
       es dazu kommt, dass ein Kind gewisse Spielzeuge und Klamotten besitzt, wird
       dabei selten hinterfragt. Ist es, weil stark gegenderte Kinderkleidung in
       der Regel auch die günstigste ist? Ist es, weil die gesamte Garderobe von
       Bekannten und Angehörigen weitergereicht wurde? Ist es, weil das Kind die
       Farbe liebt und sich selbst dafür entscheidet?
       
       Pink ist die Farbe, die im Film „Mean Girls“ mittwochs getragen wird. Pink
       ist die Farbe der Tussis. Tussis gelten als besonders oberflächlich, hohl,
       sexuell und intrigant. Pink sind auch Himbeeren und Himbeermarmelade. In
       Schweden heißen Himbeermarmeladenkekse „Hallongrotta“, übersetzt heißt das
       „Himbeerhöhle“. „Hallongrotta“ ist auch ein Synonym für Vulva. 
       
       ## Revival durch Riot-Grrrls
       
       In den 1990ern startete in den USA die Riot-Grrrl-Bewegung, die zunächst
       männlich dominierte Räume wie in der Punkszene zurückerobern konnte. Auch
       gelang es ihnen, Dichotomien wie feminin und maskulin, passiv und aktiv,
       schwach und stark oder zahm und wild zumindest innerhalb gewisser
       subkultureller Szenen aufzubrechen.
       
       Sexistische Strukturen wie Vergewaltigungskultur und Raumeinnahme konnten
       auch im rosa Kleid kritisiert werden. Die Annahme, dass Femininität
       unpolitisch sei, entlarvt sich als frauenfeindlich. Denn vermeintlich
       feministische Kritik an Rosa bietet Anschlussfähigkeit für die ständige
       Herabsetzung von Femininität.
       
       Pink, oder wie im erstmals 1947 durchgeführten Lüscher-Farbtest genannt
       „Violett“, wurde laut dem Farbpsychologen Max Lüscher insbesondere von
       „psychisch unreifen“ Menschen favorisiert. Darunter zählten laut seiner
       Definition Homosexuelle, Jugendliche, diverse nichteuropäische Kulturen,
       schwangere Frauen und Menschen mit Schilddrüsendysfunktion.
       
       Aufgrund ihres vermeintlich außergewöhnlichen Hormonhaushaltes wurden
       zahlreiche Menschen pathologisiert. So absurd es klingt, passt dies nach
       wie vor in die fragwürdige Tradition von Farbpsychologie, in der Farben
       unhinterfragt exotisiert, infantilisiert, gegendert und rassifiziert
       verwendet werden.
       
       ## „Muschirosapink“
       
       Der Lüscher-Farbtest wird heute noch als seriöse Diagnosequelle für
       Krankheiten und Persönlichkeitsanalysen betrachtet. Solche
       unwissenschaftlichen Thesen knüpfen an gesellschaftliche Tendenzen von
       Biologismus, Rassismus und Sexismus an.
       
       Pink wird nicht nur mit Sexismus verknüpft, sondern auch mit Sex. Nicht nur
       der deutschsprachige Feuilleton weiß, worum es geht, wenn eine Nuance
       „Muschirosapink“ benannt wird. Charlotte Roches bildhafter Debütroman
       „Feuchtgebiete“ thematisierte das Leben der 18-jährigen Helen, die ihrer
       Sexualität alles andere als prüde auslebt, ein positives Verhältnis zu
       ihrem Körper und Hämorrhoiden hat. Viele empörten sich darüber: Wenn eine
       Frau ihr Sexleben selbst bestimmt, mit Hygienestandards bricht und sich zur
       Abwechslung mal nicht für ihren Körper schämt, werden viele Säulen
       sexistischer Dynamiken getreten.
       
       „Cool Down Pink“ heißt der Farbton, der in Schweizer Gefängniszellen
       vermeintlich aggressive Insassen beruhigen soll. Rosa ist die Farbe der
       schwedischen Partei Feministiskt Initiativ, die die Romni-Aktivistin Soraya
       Post ins EU-Parlament gewählt hat. Pink ist die Erkennungsfarbe der
       US-amerikanischen Rapperin Nicki Minaj, die derzeit mit ihrem neuen Album,
       „The Pinkprint“, und feministischen Positionierungen für Schlagzeilen
       sorgt. 
       
       Zwischen diesem muschirosapink Einband steht eine Geschichte, die als
       Paradebeispiel vermeintlich übertriebener weiblicher Lust benutzt wird.
       Eine sanftere Nuance ziert auch das Logo des Pornoportals Youporn.
       Explizite Sexualisierungen von Frauenkörpern finden auch hier statt, zu
       einigen Teilen allerdings auf keine besonders selbstermächtigende Art.
       Männliche Sexualität, ob hetero oder homo, symbolisiert Pink in westlicher
       Kultur häufig, Männlichkeit an sich jedoch selten. Das bedeutet nicht, dass
       ein weißer heterosexueller Mann niemals Rosa tragen kann.
       
       ## Die FDP wählte Magenta
       
       Männer aus der Oberschicht in rosa Polohemden sind kein neues Phänomen,
       bereits in Zeiten von „Miami Vice“ konnte Stilbewusstsein pastellfarben
       sein. Was wären Kollektionen von Lacoste und Konsorten ohne sanftgelbe und
       hellrosa Hemden?
       
       Und auch heute mögen Oberschichtmänner in Designerhemden die Farbe Pink:
       Der FPD imponierte die Farbe so sehr, dass die Partei auf ihrem
       Dreikönigstreffen beschloss, das blau-gelbe Logo um Magenta zu ergänzen und
       mit einer warmen Note das Klischee der gefühlskalten Partei zu widerlegen.
       
       Doch nicht alle Erwachsenen bekommen Mut und Geschmack zugesprochen, wenn
       ihre Garderobe sich im rotvioletten Spektrum bewegt. Eine stereotype Frau
       aus der Arbeiterklasse trägt in vielen Darstellungen einen pink- oder
       rosafarbenen Jogginganzug. Ihr Körper weicht häufig von der normativen
       Vorstellung von Gesundheit ab, sie ist dick und trägt viel Make-up.
       Trendbewusstsein ist jedoch keine ihrer vielen Zuschreibungen.
       
       7 Jan 2015
       
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