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       # taz.de -- Elektronische Tanzmusik im Museum: Visionäres zahlt sich aus
       
       > Kraftwerk spielt den „Katalog“ in der Neuen Nationalgalerie in Berlin.
       > Beim ersten Konzert (von acht) geht es mit 3-D-Brille über die Autobahn.
       
   IMG Bild: „Wir sind die Roboter“ – sehen nur etwas schicker aus...
       
       Als sich der Vorhang in der Neuen Nationalgalerie Berlin am Dienstagabend
       um 20.00 Uhr öffnet – auf die Sekunde pünktlich – und die vier Künstler von
       Kraftwerk auf der Bühne sichtbar werden, während Ralf Hütters Stimme schon
       in den Minuten zuvor in einer Art Roboter-Countdown zu hören war, wirkt es
       so, als teile sich der Raum der rundum verglasten Halle und einzelne
       Komplexe flögen ins All.
       
       Lautsprecherboxen sind unter dem Quadratraster der Decke angebracht, und
       der charakteristische Synthesizersound des Düsseldorfer Quartetts zischt
       kreuz und quer durch den Raum von Mies van der Rohe. Er verbündet sich mit
       dem eiskalten Januarwind, der auch im Gebäudeinneren weht und die
       Notausgang-Schilder konstant in Bewegung hält.
       
       Eine Melange aus Ästhetik und Akustik, wie sie sich Tim Renner, Berlins
       Kulturstaatssekretär, erträumt hat. Okay, es ist nicht besonders laut, aber
       die Zimmerlautstärke genügt, um die Zuschauer in Wallung zu bringen. Dieses
       prominent besetzte, sehr deutsche Ü-40-Publikum wackelt doch tatsächlich
       etwas mit den Ärschen: Ja ist es denn die Möglichkeit?
       
       Es klappt alles wie am Schnürchen, Kraftwerk leisten der Ankündigung, ihre
       Konzertabende jeweils mit einem ihrer Signatursongs beginnen zu lassen,
       Folge. Am Dienstag ist es „Autobahn“ von 1974, dessen langsam
       anschwellendes Tempo den fließenden Verkehr auf den Fernstraßen in
       Deutschland-West zu jener Zeit zu einer Art elektronischer Debussy-Etude
       vertont.„Fahrn, fahrn, fahrn auf der Autobahn. Vor uns liegt ein weites Tal
       / Die Sonne scheint mit Glitzerstrahl“ – das Blecherne von Hütters Stimme
       fügt dieser simplen Natur-Retro-Romantik das Brachial-Industrielle hinzu.
       
       ## Zwitschern und Wabern
       
       Die Zuschauer, ausgestattet mit 3-D-Brillen, fahren mit auf der „Autobahn“,
       die auf der Leinwand zu sehen ist – genauer gesagt, blicken sie in den
       Rückspiegel im Fond eines VW-Käfers und sehen, wie ein Mercedes-Benz mit
       Heckflosse frontal näher kommt, bis auch er im Dunkel der Neuen
       Nationalgalerie verschwindet. Dieses Product Placement freut natürlich auch
       die Sponsoren, ohne die derartige Großevents nicht mehr zu stemmen sind.
       
       Aber es wird so auch nach wenigen Momenten deutlich, wie Kraftwerk zu dem
       Popmythos geworden sind, den sie seit mehr als 40 Jahren erfolgreich
       verkörpern: Ihre Musik, die Klangwelten ihrer Songs sind weit wichtiger als
       die Künstler, die hinter ihnen stehen. Visionäres zahlt sich aus. Für sich
       genommen wirken die Figuren auf der Bühne austauschbar: Sie tragen
       deckungsgleiche Catsuits in Gittermustern und stehen fast regungslos an
       ihren Pulten wie Manager, die an einer Vorstandssitzung
       Power-Point-gestützte Vorträge halten.
       
       Aber der Sound und die Bilderwelten von Kraftwerk, die sie auf der Leinwand
       präsentieren, überstrahlen alle Performance-Fallstricke. So können
       Kraftwerk das Technologische und das Melodiöse am Dienstag versöhnen. Es
       ist auch zu merken, wie ihr charakteristisches Zwitschern und Wabern,
       besonders in ihrem Frühwerk, dazu beigetragen hat, den Muff aus dem
       Wirtschaftswunderland Bundesrepublik zu kehren. Ihr Sound steht für das
       Dezentrale der alten BRD, das macht gerade auch den Reiz vor Ort in der
       alles eingemeindenden Berliner Republik aus.
       
       ## Es ist kalt
       
       Tatsächlich warten Kraftwerk mit einer upgedateten Version ihres Songs
       „Radio-Aktivität“ von 1975 auf. „Strahlen und Mutation / Durch die schnelle
       Kernfusion“, singt Hütter, auf der Leinwand werden Namen wie Sellafield,
       Harrisburg und Fukushima eingeblendet, der Applaus brandet umso lauter.
       
       Es gäbe schlicht keine elektronische Tanzmusik ohne das Ingeniöse von
       Kraftwerk und den Rhythmen ihres Albums „Computerwelt“ (1981), dessen Songs
       den zweiten Teil des Abends dominieren.
       
       Für die Zugabe, „Wir sind die Roboter“, platzieren Kraftwerk dann
       tatsächlich vier ebensolcher auf die Bühne und lassen sie mit ihren
       Doppel-Doppelgängern auf der Leinwand interagieren. Nur ungern setzt man
       die 3-D-Brille hernach wieder ab. Es ist kalt in Deutschland.
       
       7 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julian Weber
       
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