# taz.de -- Kommentar Flüchtlingspolitik in Europa: Das Erschrecken ist nur Heuchelei
> Die Flüchtlingsfrachter vor Italien sind nicht die Folge der
> eingestellten Mare-Nostrum-Operation. Sie sind das Resultat der
> europäischen Abschottung.
IMG Bild: Etwa 450 Flüchtlinge versuchten, auf diesem Frachter nach Italien zu kommen – weil Europas Türen zu bleiben.
Europa ist aufgeschreckt. Kaum, so scheint es, hat Italien seinen unter dem
Namen Mare Nostrum laufenden humanitären Einsatz im Mittelmeer gestoppt, da
kommen die Flüchtlinge auf verrotteten Frachtern vor die italienische
Küste, machen skrupellose Schlepper den Autopiloten an und riskieren
Katastrophen, um Millionen zu verdienen.
Da klingt es durchaus plausibel, was das UN-Flüchtlingshilfswerk sagt: Die
Rückkehr zum EU-Abschottungseinsatz Frontex unterbreche die
Fluchtbewegungen nicht, sondern eröffne bloß einen neuen, mindestens
genauso gefährlichen Weg. Mit der Wirklichkeit der Flüchtlinge allerdings
hat diese Einschätzung wenig zu tun.
Wer als Syrer in einem Camp in der Türkei sitzt, dem stand schon vorher der
Weg über Libyen kaum offen. Geschäftstüchtige Schleuser haben schlicht
einen weiteren Reiseweg aufgemacht. Nicht umsonst fuhren die ersten
Frachter bereits im September von der Türkei aus los, als Mare Nostrum noch
perfekt funktionierte, als Italiens Marine noch bis dicht an Libyens Küste
heranfuhr, um Menschen aus Seenot zu retten.
Nein, nicht die Einstellung von Mare Nostrum ist dafür verantwortlich, dass
Tausende Syrer den Weg vom östlichen Mittelmeer aus nach Italien
einschlagen. Verantwortlich ist und bleibt die generelle Ausrichtung der
europäischen Abriegelungspolitik. Sie ist es, die die Menschen auf die
Schiffe der Schleuser zwingt, wo immer auch sie in See stechen.
Selbst im Fall der Millionen Syrer, an deren Fluchtgründen kein
vernünftiger Mensch zweifeln kann, bleibt Europas Tür einfach zu;
beschämenswert niedrige Aufnahmequoten einer Handvoll EU-Staaten waren
bisher die einzige „Antwort“. Das Erschrecken über die Risiken einer
Flucht, egal ob auf der Libyen- oder auf der Türkeiroute, ist reine
Heuchelei.
5 Jan 2015
## AUTOREN
DIR Michael Braun
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