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       # taz.de -- Vanja über die Kampagne für eine dritte Option: „Ich bin weder Mann noch Frau“
       
       > Vanja, intersexuell, über das Fehlen einer dritten Option in amtlichen
       > Dokumenten, dumme Sprüche, krasse Operationen und strukturelle
       > Diskriminierung.
       
   IMG Bild: Versuchte als junger Mensch, als Frau zu leben und hat sich nun einen Bart wachsen lassen: Vanja.
       
       taz: Vanja, was wird für Sie im Jahr 2015 wichtig? 
       
       Vanja: Zu sehen, wie es mit der Einführung der dritten Geschlechtsoption
       weitergeht. Stellvertretend für viele versuche ich, das Geschlechtsmerkmal
       in meinem Reisepass in „inter/divers“ ändern zu lassen. Einfach ist dieser
       Weg durch die Gerichtsinstanzen nicht: Mittlerweile liegt die Klage beim
       Oberlandesgericht in Celle.
       
       Warum gerade in Celle – Sie leben doch in Köln? 
       
       Stimmt. Geboren bin ich aber in Gehrden bei Hannover. Und um mein
       Geschlechtseintrag im Pass ändern zu lassen, muss erst einmal meine vom
       dortigen Standesamt geführte Geburtsurkunde geändert werden. Das aber
       wollten die Beamten nicht machen. Die waren zwar sehr freundlich, haben mir
       aber gleich gesagt, dass sie meinen Antrag ans Amtsgericht Hannover
       weiterreichen werden. Jetzt liegt die Sache in Celle. Mit Hilfe meiner
       Unterstützer gehe ich aber notfalls bis vor’s Bundesverfassungsgericht.
       
       Warum ist es Ihnen so wichtig, dass im Pass „inter/divers“ steht? Seit dem
       Jahr 2013 kann der Geschlechtseintrag in amtlichen Dokumenten doch auch
       einfach weggelassen werden? 
       
       Gerade dieser Nicht-Eintrag ärgert mich. Stellvertretend für viele
       intersexuelle Menschen will ich etwas gegen die Unsichtbarkeit tun, die uns
       immer noch umgibt.
       
       Inwiefern? 
       
       Aktuell ist es so: Zwar leben in Deutschland mindestens 80.000 Menschen,
       die wie ich sagen: Ich bin weder Mann noch Frau. Trotzdem wird so getan,
       als gäbe es uns gar nicht. Intersexualität wird von Staat und Gesellschaft
       als nicht gleichwertig betrachtet. Wenn es in amtlichen Urkunden zwar die
       Kategorien männlich und weiblich gibt, Intersexualität aber verschämt
       verschwiegen wird, ist die fehlende Gleichberechtigung doch offensichtlich.
       
       Ist das nicht hochtheoretisch? 
       
       Der Eintrag „inter/divers“ in amtlichen Papieren ist natürlich nur ein
       erster Schritt, ein selbst gewähltes, selbstbewusstes Symbol für das Ende
       der Unsichtbarkeit.
       
       Warum? 
       
       Noch heute legen oft Ärzte oder Hebammen fest, ob ein Neugeborenes männlich
       oder weiblich sein soll. Da wird dann manchmal ein Geschlecht festgelegt,
       das gar nicht passt – schließlich ist Intersexualität sehr vielfältig. Das
       Geschlecht macht sich nicht nur am Körper fest.
       
       Sondern? 
       
       Auch biologisch ist das Geschlecht komplex. Es spielen Chromosome, Hormone
       und andere Faktoren eine Rolle. Dazu dann die Frage nach der eigenen
       Identität – also wie ich mich ganz persönlich fühle. Bei mir etwa ist erst
       in der Pubertät festgestellt worden, dass ich keine Frau bin – aber eben
       auch kein Mann.
       
       War das nicht völlig verunsichernd – als Teenager? 
       
       Sehr sogar. Mein Anderssein habe ich erst einmal verdrängt. Darüber geredet
       habe ich nicht. Ich hätte gar keine Worte gehabt, um auszudrücken, wie ich
       mich fühle.
       
       Und dann? 
       
       Eine Zeit lang habe ich versucht, als Mädchen, als junge Frau zu leben.
       
       Heute tragen Sie einen Bart. 
       
       Ja, weil ich andere Geschlechtshormone nehme. Darauf bin ich angewiesen,
       weil mein Körper nicht so viele dieser Hormone produziert. Früher habe ich
       mich eher weiblich gegeben, jetzt gebe ich mich anders. Das passt besser zu
       mir.
       
       Also fühlen Sie sich jetzt eher als Mann denn als Frau? Oder ist das viel
       zu sehr in überkommenen Geschlechterklischees gedacht? 
       
       Mit der Männerrolle komme ich etwas besser klar als mit der einer Frau, das
       stimmt schon. Trotzdem kann ich nicht behaupten, dass ich ein Mann bin.
       Natürlich könnte ich jetzt versuchen, mich möglichst männlich zu geben,
       dieses Rollenbild zu erfüllen. Aber dann würde ich wieder einen Teil von
       mir verstecken.
       
       Ist es nicht unheimlich anstrengend für Sie, sich nicht einem der
       gesellschaftlich vorgegebenen Rollenbilder zu beugen? 
       
       Natürlich gibt es Leute, die verwirrt sind, wenn sie die Welt nicht in
       Schwarz und Weiß einteilen können. Die reagieren verunsichert, manchmal
       auch aggressiv.
       
       Sie werden öfter blöd angemacht. 
       
       Manchmal höre ich blöde Sprüche. Dann gibt’s von mir aber einen dummen
       Spruch zurück. Mir geht es aber weniger um die persönliche Ebene, sondern
       um die immer wiederkehrende strukturelle Diskriminierung.
       
       Wie sieht die aus? 
       
       Ich werde jeden Tag an mein Anderssein erinnert. In welchen Sportverein
       gehe ich, welche Umkleide benutze ich? Ganz schwierig ist, beim
       Klamottenkauf von der Männer- in die Frauenabteilung zu wechseln. Vor
       Kurzem habe ich ein Fernbus-Ticket gebucht. Selbst die wollten von mir
       wissen, ob ich ein Mann oder eine Frau bin.
       
       Manche Eltern glauben noch heute, ihren Kindern diese Diskriminierung
       ersparen zu können – und stimmen Operationen zu, die das Geschlecht
       eindeutig festlegen sollen. Und da weibliche Geschlechtsorgane zumindest
       optisch einfacher zu gestalten sein sollen als männliche, werden
       intersexuelle Kinder oft schon kurz nach der Geburt zu Mädchen geformt… 
       
       Ich halte das für einen ganz krassen Eingriff, gerade wenn er ohne die
       Zustimmung des Menschen geschieht, der operiert wird. Für diese Operationen
       gibt es keinerlei medizinische Notwendigkeit – es geht nur um die Anpassung
       an eine vorherrschende Norm. In einer Gesellschaft wie unserer, die von
       sich behauptet, dass sie sich von überkommenen Rollenbildern löst, ist das
       doch absurd!
       
       Auf was hoffen Sie in diesem Jahr? 
       
       Ich hoffe, dass mein Engagement für die dritte Option „inter/divers“ Eltern
       und Ärzten klarmacht, dass solche Operationen bei Kindern nicht okay sind.
       Ich wünsche mir, dass Intersexualität nicht mehr als Krankheit, sondern als
       Variation von Geschlecht wahrgenommen wird. Natürlich brauchen solche
       Gesellschaftsveränderungen Zeit. Aber ich hoffe einfach, dass mehr Leute
       beginnen nachzudenken, wenn sie selbst auf amtlichen Formularen sehen, dass
       es nicht nur männlich und weiblich, sondern auch eine dritte Option gibt.
       
       5 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Wyputta
       
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