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       # taz.de -- Sekundärliteratur zu Thomas Piketty: Ökonomie für Entspannte
       
       > Es gibt eine neue Literaturgattung: die Piketty-Zusammenfassung. Wem das
       > Original zu anstrengend ist, kann sich anders darüber informieren.
       
   IMG Bild: Der Autor von „Das Kapital im 21. Jahrhundert“: Thomas Piketty.
       
       Inzwischen sind schon drei Piketty-Zusammenfassungen erschienen, die
       allesamt beweisen: Piketty hätte sich deutlich kürzer fassen können.
       
       Einig sind sich die drei Bücher, dass Piketty wichtiges Datenmaterial
       liefert, indem er internationale und historische Steuerstatistiken
       auswertet. Piketty kann zeigen, wie stabil die Ungleichheit in den
       vergangenen drei Jahrhunderten war: In allen westlichen Ländern
       konzentriert sich der Reichtum bei wenigen Familien. Nur die beiden
       Weltkriege und die Wirtschaftskrise ab 1929 haben diesen Trend für kurze
       Zeit umgekehrt. Doch seit 1980 ist erneut zu beobachten, dass sich das
       Volksvermögen bei einer kleinen privilegierten Schicht sammelt.
       
       Aber wie sind diese Daten zu deuten? Piketty selbst formuliert als „Gesetz
       des Kapitalismus“, dass die Rendite des Vermögens stets über dem Wachstum
       liege (r > g). Reiche werden also reicher, während die Arbeitnehmer
       verlieren. Dieses „Gesetz“ wurde vielfach kritisiert – was die drei
       Zusammenfassungen sehr unterschiedlich spiegeln.
       
       Ärgerlich ist das Buch von Ulrich Horstmann: Weite Teile hat er bei dem
       kanadischen Autor A. D. Thibeault abgeschrieben, wie er selbst zugibt. Und
       bevor Horstmann endlich mitteilt, worum es bei Piketty eigentlich geht, hat
       er schon 36 Seiten mit eher unergiebigen Betrachtungen vergeudet. Besonders
       abstrus ist allerdings, dass Horstmann Pikettys illustrative Grafiken nicht
       abbildet, sondern Internetadressen angibt, wo diese zu finden sind.
       
       Daniel Stelter hingegen arbeitet klar und methodisch eine zentrale Schwäche
       bei Piketty heraus: Dieser betrachtet nur die Nettovermögen – von denen die
       Schulden also schon abgezogen sind. Damit aber entgeht Piketty, dass
       Staaten, private Haushalte und Unternehmen ihre Verschuldung seit 1980 mehr
       als verdoppelt haben, wenn man die Kredite in Bezug zur Wirtschaftsleistung
       setzt.
       
       ## Triebkraft Schuldenblase
       
       Ohne diese Schuldenblase wäre aber gar nicht denkbar gewesen, dass die
       Vermögen so rasant wachsen. Denn Kredite haben einen Hebeleffekt und
       vergrößern den Reichtum scheinbar, weil sie die Preise von Aktien und
       Immobilien nach oben treiben. Stelter nennt sein Piketty-Buch daher
       programmatisch: „Die Schulden des 21. Jahrhunderts“.
       
       Stelter ist im Hauptberuf Unternehmensberater, und häufig schimmert seine
       neoliberale Grundausrichtung durch – etwa wenn er begründungslos raunt,
       demnächst könnte eine „Hyperinflation“ drohen.
       
       Das Autorenpaar Stephan Kaufmann und Ingo Stützle entstammt der
       entgegengesetzten Tradition: Für sie ist Marx noch immer die entscheidende
       Autorität, um den heutigen Kapitalismus zu erklären. Vor dieser Folie
       kritisieren sie zu Recht, dass Piketty zwar ein „Gesetz des Kapitalismus“
       formulieren will, diesen aber nicht definiert und vom Feudalismus nicht
       unterscheiden kann. Denn Piketty schreibt zwar über Wachstum, kann jedoch
       nicht erklären, wie Wachstum entsteht.
       
       Auch die Rolle von Eigentum oder Löhnen kommt nicht vor, so dass Piketty
       die Ungleichheit zwar statistisch erfasst – aber letztlich begründungslos
       voraussetzt. Diese Einwände hätten Stützle und Kaufmann allerdings auch
       formulieren können, ohne gleich das ganze Theoriegebäude von Marx zu
       übernehmen, das ebenfalls empirische Schwächen besitzt. Trotzdem: Wer
       Piketty verstehen will, sollte Stelter sowie Stützle und Kaufmann lesen –
       am besten im Vergleich.
       
       2 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrike Herrmann
       
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