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       # taz.de -- Eine neue Form der Kolonialisierung: „Das ist die echte Globalisierung“
       
       > Bauern im Kongo kämpfen nicht mehr gegen Kolonisatoren aus Europa,
       > sondern gegen Landkäufer aus Brasilien. Sozialabbau und mächtige Konzerne
       > gibt es weltweit.
       
   IMG Bild: Unter chinesischer Planung: Addis Abeba bekommt ein elektrifiziertes Schienensystem
       
       BERLIN taz | Die Welt, in der Victor Nzuzi Mbembe aufgewachsen ist, gibt es
       nicht mehr. „Was wir jetzt erleben, ist die echte Globalisierung“, sagt der
       Bauer aus dem Kongo und Aktivist von La Via Campesina. Das internationale
       Kleinbauernnetzwerk hat sich dem Kampf gegen Landraub, den Aufkauf von
       Ackerflächen durch Agrarkonzerne, verschrieben.
       
       Nzuzi lebt in der Region Bas-Congo, im Westen des Landes. Dort haben
       belgische Unternehmen schon Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Export von
       Tropenholz begonnen. Heute ist vom Regenwald nicht mehr viel übrig.
       
       „Wir haben viele Erfahrungen mit den Belgiern gesammelt“, sagt Nzuzi. „Aber
       jetzt sind es die neuen, aufstrebenden Mächte, mit denen wir uns
       auseinandersetzen müssen.“ In Nzuzis Region kaufen Investoren aus Brasilien
       und dem Libanon Ackerflächen auf, berichtet er, in anderen Teilen des
       Landes sind es auch Unternehmen aus Südafrika oder China. Ähnliches gelte
       für die Ausbeutung der Bodenschätze im Land. „Es ist eine neue Form der
       Kolonisierung“, sagt Nzuzi.
       
       Die Globalisierungsgegner des letzten Jahrzehnts blickten oft mit einer
       gewissen Herablassung auf den vermeintlich schnöden Internationalismus der
       Siebziger. Ihre Welt nach dem Ende der Blockkonfrontation sei ungleich
       komplexer, dynamischer als die Zeit des Kalten Kriegs mit seinen bloßen
       Stellvertreterkonflikten im Süden der Erde, hieß es gern.
       
       Die neuen Protestbewegungen plusterten sich als postmoderne „Multitude“
       auf, bei der Anamnese der Weltlage aber gab es wenig Neues: Nordamerika und
       die EU als Architekt und Profiteur eines im Kolonialismus gründenden
       Ausbeutungsregimes, der Rest der Welt als dessen Leidtragender.
       
       Auf diesen Gegner konnten sich die sozialen Bewegungen praktisch weltweit
       einigen, wenn auch mit regionalen Unterschieden: Während in Lateinamerika
       die Erinnerung an die spanische Conquista angesichts der vielen
       US-Interventionen gegen die Befreiungsbewegungen in den Hintergrund rückte,
       spielten in Afrika und Teilen Asiens die Auseinandersetzungen mit den
       früheren Kolonialmächten in Europa eine wichtige Rolle. Aber gilt das heute
       noch?
       
       Unter den Top Ten der weltweiten Ackerlandkäufer listet die International
       Land Coalition nur zwei EU-Staaten, nämlich Großbritannien und die
       Niederlande auf. Mehr als die Hälfte der schlimmsten Landgrabber sind
       Schwellenstaaten. Zählt man die erfassten Ackerflächengeschäfte zusammen,
       liegt China mit Hongkong weit vor Großbritannien, auf Platz drei dann
       Indien. Die neue Welt ist multipolar. Handels- und Investitionsströme
       verlaufen zunehmend quer zu alten Achsen.
       
       ## Leere Versprechungen
       
       Es gebe kaum Kataster oder Besitztitel, die die Kleinbauern im Kongo
       schützen, sagt Nzuzi. Das sei an sich nichts Neues, „doch die Gesetze, die
       einst zur Vertreibung genutzt wurden, kamen aus der Kolonialzeit“, sagt er.
       Jetzt gründe die Vertreibung auf dem Versprechen von Teilhabe am Wohlstand,
       ausgesprochen auch von rohstoffhungrigen Boomökonomien Asiens oder
       Ölstaaten auf der Suche nach lohnenden Investments.
       
       „Heute sind wir Kongolesen es selbst, die darauf eingehen und die
       entsprechenden Gesetze erlassen.“ Doch das Wohlstandsversprechen, glaubt
       Nzuzi, werde sich für viele Kongolesen so nicht erfüllen. Er kämpft deshalb
       vor allem gegen die eigene Regierung. „Die sagt, der Landverkauf sei eine
       Chance. Doch sie irrt sich. Für uns Bauern ist er eine existenzielle
       Gefahr.“
       
       Jeraud Marius* betreibt im kamerunischen Douala eine kleine NGO. Ihr
       Themenspektrum ist breit: Soziales, Demokratisierung, Menschenrechte. Kein
       leichtes Unterfangen in einem Land, in dem der Präsident Oppositionelle
       verfolgt und seit 33 Jahren die Macht nicht mehr hergibt. Ohne Frankreichs
       Unterstützung wäre das nicht denkbar. Für Maurius ist Europa deshalb ein
       traditionell wichtiger, aber ambivalenter politischer Bezugspunkt.
       
       ## Migrationspolitisches Netzwerk
       
       Zum Teil wird seine NGO von der EU und einer französischen Stiftung
       finanziert. Doch es gibt auch politische Kooperationen. Viele Kameruner
       gehen ins Exil, Europa ist eines der Hauptziele. Die NGO arbeitet deshalb
       zu Migrantenrechten. „Wir können hier zum französischen Botschafter gehen
       und dem unsere Forderung nach dem Recht auf zirkuläre Migration übergeben.
       Aber es ist etwas völlig anderes, wenn man Partner hat, die das vor Ort an
       die französische Regierung tragen.“
       
       Die NGO ist deshalb Teil des migrationspolitischen Netzwerks Migreurop in
       Paris. „So sind wir viel stärker und effektiver. Wenn der politische Druck
       auf Frankreich in Frankreich aufgebaut wird, gibt es eine ganz andere
       Resonanz.“
       
       Auch zum Thema Recht auf Wohnraum würde er gern mit Aktivisten im Ausland
       kooperieren. „Das wird in Städten wie Douala immer wichtiger und wir
       wissen, dass das auch immer mehr Menschen in Europa betrifft.“ Die
       Asymmetrie zwischen Nord und Süd nivelliert sich in dieser Frage. Doch hier
       sucht man noch nach Partnern.
       
       Ansonsten aber sei der Austausch mit Initiativen aus dem subsaharischen
       Afrika, aus Asien oder Lateinamerika interessanter: „Sie haben die gleiche
       wirtschaftliche Situation, die gleiche Perspektive, ähnliche Probleme. So
       kann man voneinander lernen.“ Doch für Begegnungen fehlt oft der Rahmen.
       
       ## Weltsozialforum in Tunis
       
       Maurius fährt deshalb regelmäßig zu den Weltsozialforen. „Aktivisten aus
       dem Süden können die Politik des Nordens nur gemeinsam infrage stellen“,
       sagt er. Das nächste Weltsozialforum findet im März in Tunis statt. Zuletzt
       litt die Veranstaltung an leichter Blutarmut und politischer Beliebigkeit,
       aber auch daran, dass die mächtige lateinamerikanische Fraktion es kritisch
       sah, dass das Forum zum dritten Mal in Folge im für sie fernen Afrika
       ausgetragen wird. Die Europäer hingegen haben es nicht weit. Welche Rolle
       werden sie spielen? „Bis jetzt haben wir nicht viele Anmeldungen aus
       Europa“, sagt Zina Benhida vom Organisationskomitee des Forums. „Aber jetzt
       mobilisieren wir.“
       
       Die wenigen Mittel, die es für die Anreise von Aktivisten aus armen Ländern
       gebe, sollen diesmal vor allem Frauen aus Kôbane bekommen. Bewegungen,
       deren Beteiligung besonders wünschenswert sei, wurden gezielt angesprochen:
       „Es gab Einladungen an die Demokratiebewegung in Hongkong und die
       protestierenden Studenten in Mexiko.“
       
       Die dortigen Konstellationen sind wohl noch am ehesten vergleichbar mit
       jenen im Maghreb. „Das heißt aber nicht, dass Europa keine Rolle spielt“,
       sagt Benhida. Auch auf dem WSF soll es um das Recht auf Wohnen gehen.
       Deshalb wurden etwa spanische Initiativen gegen Zwangsräumungen eingeladen.
       Zudem hoffe man auf Beteiligung aus Griechenland: „Austeritätspolitik ist
       ein Thema, das den Norden wie den Süden der Welt betrifft.“
       
       ## Neue Partnertschaften
       
       Ruth Tanner von der Antiarmutsinitiative War on Want in London geht weiter:
       „Früher haben wir gegen die Globalisierung gekämpft, um den globalen Süden
       zu retten“, sagt sie. „Aber die Vorzeichen dieses Kampfes haben sich
       geändert.“ War on Want hat über Jahrzehnte ein Netzwerk von
       Partnerorganisationen in Entwicklungsländern aufgebaut, ist allerdings 2010
       wegen einer Israel-Boykottkampagne in die Kritik geraten.
       
       Das Verhältnis zu den Partnern im Süden der Erde ändere sich gerade
       erheblich, sagt Tanner. Grund seien die EU-Sparpolitik und die
       Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP. Dadurch hätten die Menschen in
       Europa jetzt ähnliche Probleme wie in den letzten Jahrzehnten die
       Entwicklungsländer: Abbau öffentlicher Vorsorge, wachsende soziale
       Ungleichheit, mehr Macht für Konzerne. „In Zukunft wird es weniger ein
       ’Wir‘ und ein ’Die‘ geben“, glaubt Tanner. „Und wir sind nicht mehr
       notwendigerweise die dominante Nation.“
       
       Für die sozialen Bewegungen bedeute dies, vom Süden zu lernen: „Unsere
       Partner haben viele Jahre gegen ungerechte Handelsabkommen und die
       Spardiktate der Strukturanpassungsprogramme gekämpft.“ Ein Beispiel sei das
       auf den Philippinen besonders starke Jubilee Debt Movement, das einen
       Schuldenerlass für Entwicklungsländer zum Jahrtausendwechsel gefordert
       hatte. „Von diesen Erfahrungen können wir jetzt profitieren.“
       
       *Name geändert
       
       31 Dec 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Jakob
       
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