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       # taz.de -- Präsidentschaftswahl in Kroatien: Ein „Anarchist“ mischt die Politik auf
       
       > Staatschef Josipovic tritt in der Stichwahl gegen die Konservative
       > Grabar-Kitarovic an. Sein Sieg gilt als sicher, doch es gibt noch eine
       > Überraschung.
       
   IMG Bild: Der bisherige Präsident Ivo Josipovic gibt sich zwar siegessicher, doch er hat viele Gegner.
       
       SARAJEVO taz | Am Sonntagabend war sogar Ivo Banac baff. Mit diesem
       Ergebnis der kroatischen Präsidentschaftswahlen hatte nicht einmal der
       sonst so treffsichere Professor und politische Analytiker gerechnet. Auch
       die anderen Teilnehmer der Nachwahlanalyse im kroatischen Fernsehen konnten
       ihre Überraschung nicht verhehlen. Denn ein 24-jähriger langhaariger
       politischer Nobody erreichte aus dem Stand 16,5 Prozent der abgegebenen
       Stimmen. Dagegen wurde der Vertreter der nationalistischen Rechten mit 6,1
       Prozent deutlich ins Abseits gedrängt.
       
       Zwar wird in zwei Wochen wie erwartet der amtierende sozialdemokratische
       Präsident Ivo Josipovic (38,6 Prozent) in der Stichwahl gegen die
       Kandidatin der Konservativen und Exaußenministerin Kolinda Grabar-Kitarovic
       antreten, die auf 37,1 Prozent der Stimmen kam. Doch der von den
       Presseagenturen etwas voreilig als „Anarchist“ bezeichnete Ivan Vilibor
       Sincic hat jetzt schon die politische Landschaft Kroatiens verändert.
       
       Der noch vor vier Wochen fast unbekannte Aktivist der Gruppe „Lebendige
       Mauer“ (Zivi zid) hat mit seinen überlegt-frechen Auftritten im Fernsehen
       nicht nur Jugendliche und bisherige Nichtwähler gewonnen, sondern viele
       Menschen, die sonst vermutlich Josipovic unterstützt hätten.
       
       Sein Engagement für von Zwangsräumung bedrohte Mieter in Zagreb brachten
       ihm lokal schon große Sympathien ein, seine während des Wahlkampfs
       präzisierte Stellungnahme gegen die „Geldhaie und Banker“ sowie seine
       kritische Position gegenüber der Politik der EU in Kroatien verfingen
       schließlich bei einer breiten Wählerschicht in ganz Kroatien.
       
       ## Keine Zukunft für Kroatien
       
       Der 1990 in Karlovac geborene Sincic sieht keine Zukunft für Kroatien, wenn
       alles so bleibt, wie es ist. „Immer mehr junge Menschen gehen weg, weil sie
       hier keine Perspektive sehen, wir lassen die Schlüsselfiguren der künftigen
       Gesellschaft ziehen“, beklagte er sich im Wahlkampf. Mit Erfolg. Die um 3
       Prozent höhere Wahlbeteiligung der 4,2 Millionen Wähler, die aber mit 47,1
       Prozent weiterhin niedrig bleibt, hat sicher mit seinen Auftritten zu tun.
       Nun hoffen er und seine Mitstreiter auf ein gutes Ergebnis bei den
       kommenden Parlamentswahlen. „Ins Parlament zu kommen ist unser nächstes
       Ziel“, erklärte er am Sonntag.
       
       Dagegen konnte der bisherige Präsident Josipovic, der Kroatien im Juli 2013
       in die EU führte, zunächst seine Enttäuschung nicht verhehlen. Kurze Zeit
       später äußerte sich der 57-jährige Juraprofessor für die Stichwahl zwar
       siegesgewiss. Doch noch ist nicht ausgemacht, ob er auf die Stimmen von
       Sinsic bauen kann.
       
       Seine konservativ-rechte 46-jährige Gegenkandidatin Grabar-Kitarovic
       dagegen kann auf die Stimmen des Rechtsradikalen Milan Kujundzic rechnen.
       Der Wahlkampf wird sehr hart geführt werden. Schon begannen die
       Konservativen mit ihren Diffamierungskampagnen gegen Josipovic. Weil er für
       eine Versöhnung mit Serbien eintritt, wird er als „Freund der Serben“
       tituliert.
       
       Seine Vorschläge für eine Reform des Staates – so will er Kroatien in nur 5
       statt bisher 20 Verwaltungsdistrikte aufteilen und die Bürokratie
       verschlanken – hat viele Gegenkräfte auf den Plan gerufen. Und sein Kampf
       gegen die Korruption stößt auf immer deutlicheren Widerstand. Dennoch
       rechnen die politischen Experten mit einem Sieg des alten Präsidenten.
       
       29 Dec 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erich Rathfelder
       
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