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       # taz.de -- Orang-Utan in Argentinien: Die nichtmenschliche Person
       
       > Tierschützer haben die Freilassung eines Affenweibchens aus dem Zoo
       > Buenos Aires erstritten. Die Ähnlichkeit zum Menschen wurde geltend
       > gemacht.
       
   IMG Bild: Menschenaffen wie Sandra sind intellektuell hoch entwickelt, zeigen sogar deutliche Anzeichen eines Ich-Bewusstseins.
       
       BERLIN taz | Es klingt wie eine düstere Geschichte aus der Zeit der
       Militärjunta: In Argentinien lebt seit 20 Jahren eine aus Rostock stammende
       Deutsche hinter Gittern. Trotz intensiver Bemühungen von Anwälten haben die
       Gerichte bislang keine Rechtsmittel zur Haftprüfung zugelassen. Nun stellt
       ein neues Urteil die bisherige Rechtsprechung auf den Kopf. Die
       Unterstützer der Rostockerin haben schon alles für die Ausreise nach
       Brasilien vorbereitet. Falls die letzte Instanz in dieser Sache nicht
       anders entscheidet, kommt Sandra frei.
       
       Das Besondere: Sandra ist ein Orang-Utan. Sie wurde im Zoo von Rostock
       geboren und kam in den Zoo von Buenos Aires, wo sie bis heute lebt. Zu
       Unrecht in Gefangenschaft, wie argentinische Tierrechtler meinen.
       
       Sie haben deswegen eine „Habeas corpus“-Klage eingereicht. Unter diesem
       Begriff wird das Menschenrecht verstanden, das Individuen vor willkürlichen
       Gefangennahmen schützt. Zwar sei Sandra kein Mensch, aber doch so
       menschenähnlich, dass sie juristisch nicht als Sache betrachtet werden
       könne, wie dies traditionell bei Tieren gehandhabt wird. Vielmehr sei
       Sandra eine nichtmenschliche Person.
       
       ## Kein Gorilla, kein Mensch
       
       Dass die 2. Strafgerichtskammer Argentiniens dieser Argumentation nun
       folgt, ist eine handfeste Überraschung. Schon lange wird darüber
       gestritten, inwieweit grundlegende Menschenrechte auch für Menschenaffen zu
       gelten haben. Bislang hat sich nur Neuseeland der Sichtweise der
       Tierrechtler angeschlossen. Die Argumentation: Die Ähnlichkeit von
       Menschenaffen zum Menschen zählt. Genetisch sind die Unterschiede gering,
       auch intellektuell sind Menschenaffen hoch entwickelt, und sie zeigen
       deutliche Anzeichen eines Ich-Bewusstseins. Aber reicht das, um
       Menschenaffen juristisch als Personen anzuerkennen?
       
       Die Mehrheit der Zoologen lehnt diese Forderung strikt ab. Genetische
       Ähnlichkeit begründe noch lange keine Gleichheit: Ein Orang-Utan sei ebenso
       wenig ein Mensch, wie er auf der anderen Seite auch kein Gorilla ist. Der
       Zoologe und ehemalige Direktor des Kölner Zoos, Günter Nogge, schrieb in
       der FAZ: „Gorillas wollen sicher keine Menschenrechte. Sie wollen nichts
       weiter als das Recht, Gorilla zu sein, ob in der Natur oder im Zoo.“
       
       Menschenaffen in Zoos gehe es sehr gut, weil alles daran gesetzt werde,
       ihre Ansprüche zu erfüllen, bei gleichzeitiger Ausschaltung von Gefahren
       und Krankheit. Vor allem trügen die Zoo-Affen zur Durchsetzung der
       Lebensrechte ihrer Artgenossen in der Natur bei – indem sie bei einer
       breiten Öffentlichkeit Verständnis für die desaströse Lage von
       Menschenaffen in ihrer natürlichen Heimat weckten.
       
       ## Sandra soll nach Brasilien umsiedeln
       
       Tatsächlich ist die Lage der Orang-Utans in freier Natur deprimierend: Ihr
       südostasiatischer Biotop wird zerstört – in jüngerer Zeit vor allem durch
       Ölpalm-Plantagen, um pflanzliche Öle für die Industriestaaten zu gewinnen.
       Zudem werden sie nach wie vor gejagt. Ob es der Rostockerin Sandra also in
       der Heimat ihrer Ahnen besser ergehen würde als in Argentinien, darf
       getrost bezweifelt werden.
       
       So weit wollen die Tierrechtler aber nicht: Sandra soll unter
       seminatürlichen Bedingungen in einem Schutzgebiet in Brasilien angesiedelt
       werden. Ob das Tier, das sein Leben lang nur Zoo-Bedingungen kennen gelernt
       hat, das als Fortschritt empfindet? Wir werden es nie erfahren. Denn
       Menschenrechte für Affen hin oder her – für das entscheidende Problem haben
       auch Tierrechtler keine Lösung: Wir können Sandra nicht fragen. So oder so
       bestimmen also Dritte darüber, was das Beste ist für diese nunmehr
       womöglich nichtmenschliche Rechtsperson.
       
       22 Dec 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Heiko Werning
       
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